Wirecard-AffäreJetzt werden Merkel und Scholz «gegrillt»
Die Aufarbeitung der 20-Milliarden-Pleite des Zahlungskonzerns Wirecard geht ins politische Finale: Vizekanzler Olaf Scholz und Kanzlerin Angela Merkel werden befragt.
Als im Juni vor einem Jahr beim bayerischen Finanzdienstleister Wirecard auf einmal Milliarden in der Bilanz fehlten und das mutmasslich kriminell aufgetürmte Kartenhaus in sich zusammenbrach, war die deutsche Öffentlichkeit schockiert. Vom grössten Finanzskandal der Nachkriegsgeschichte sprachen die Medien.
Wirecard, das Zahlungen im Internet abwickelte, war eines der ganz wenigen deutschen Digitalunternehmen gewesen, das weltweit erfolgreich zu sein schien. Entsprechend intensiv war es von deutschen Behörden und Politikern in den Jahren vor seinem Zusammenbruch gehegt und gepflegt worden. Diese Zuneigung hatte bei Politik und Aufsicht zu einer Blauäugigkeit, ja Blindheit geführt, die im Rückblick nicht nur naiv, sondern geradezu fahrlässig anmutet.
Deutsche «Wagenburgmentalität»
Der Journalist Dan McCrum, der in der britischen «Financial Times» seit Anfang 2019 enthüllte, dass es bei Wirecard nicht mit rechten Dingen zugehen konnte, sprach von einer «Wagenburgmentalität»: «Die deutschen Regulierungsbehörden waren extrem unwillig, sich vorzustellen, dass Wirecard lügt und Probleme hat.» Statt den Konzern hart zu überprüfen, habe die Finanzaufsicht (Bafin) lieber Journalisten wie ihn angezeigt und Wirecard geglaubt. Damit habe sie den Ruf des deutschen Finanzplatzes stark geschädigt.
Politisch verantwortlich für die Finanzaufsicht war seit 2018 Finanzminister Olaf Scholz (SPD), für die Aufsicht über die Bilanzprüfer Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wiederum wurde kritisiert, weil sie sich 2019 für Wirecard in China eingesetzt hatte.
Akribische Untersuchung des Bundestags
Seit Oktober werden die Verantwortlichkeiten von einem Untersuchungsausschuss des Bundestags akribisch aufgeklärt. Es handelt sich dabei um eine Art parlamentarisches Gerichtsverfahren. In München läuft gleichzeitig ein Strafverfahren gegen die Wirecard-Verantwortlichen wegen Bilanzfälschung, Betrug, Marktmanipulation und Geldwäsche.
Der Untersuchungsausschuss des Bundestags tagte im vergangenen halben Jahr fast Tag und Nacht und befragte mehr als 80 Zeugen und Experten. Bis Freitag sagen nun, zum Finale, die höchsten politischen Verantwortlichen aus: Scholz, Altmaier und Merkel, dazu Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sowie die Staatssekretäre Jörg Kukies (SPD) und Dorothea Bär (CSU). Der Abschlussbericht soll noch vor den Wahlen im Herbst vorliegen.
Vor allem Scholz hat ein Problem
Besonders heikel ist der Skandal für Vizekanzler Scholz. Im Unterschied zu Merkel, Altmaier und Lambrecht glaubt der 62-Jährige, seine politische Zukunft noch vor sich zu haben: Scholz ist der Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl. Die Wirecard-Affäre belastet ihn und seine Partei also im Wahlkampf – zumal er sich schon nächste Woche noch in einem zweiten Skandal rechtfertigen muss: der sogenannten Cum-Ex-Steueraffäre, in die er als früherer Bürgermeister von Hamburg verwickelt ist.
Scholz sei politisch verantwortlich dafür, so der Vorwurf, dass die Bafin das kriminelle Vorgehen Wirecards nicht bemerkt und auf Warnungen kaum reagiert habe. Der Finanzminister rechtfertigt sich mit dem Argument, die Aufsicht habe getan, was ihr damals rechtlich möglich gewesen sei. Im Übrigen habe er die Verantwortlichen längst entlassen und der Bafin mit Mark Branson, dem bisherigen Leiter der Schweizer Aufsicht, einen unbelasteten und international renommierten neuen Chef gegeben.
Von vielen Verdachtsmomenten gegen Wirecard, die intern geäussert wurden, habe er erst spät erfahren, so Scholz. Um zu verhindern, dass sich ein ähnlicher Skandal noch einmal ereigne, habe er bereits ein neues Gesetz vorgelegt. Das werde die Aufsicht in Zukunft «professioneller, bissiger und besser» machen.
Merkels heikle Lobbyarbeit
Merkel muss sich zum Vorwurf äussern, sie habe sich bei einem Besuch in China im September 2019 bei der dortigen Regierung für den Markteintritt Wirecards eingesetzt. Dass die Kanzlerin dies getan hat, auf Vermittlung ihres früheren Verteidigungsministers und Wirecard-Lobbyisten Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) übrigens, ist unbestritten.
Man habe zu jenem Zeitpunkt auch von den Vorwürfen der «Financial Times» gegen Wirecard gewusst, heisst es aus dem Kanzleramt. Allerdings habe man sich auf die Einschätzung der Finanzaufsicht verlassen, die die Vorwürfe als Teil einer Spekulationsattacke abtat und deswegen sogar ein Leerverkaufsverbot von Wirecard-Aktien erlassen hatte.
Dass es heikel sein könnte, Wirecard allzu nah zu kommen, war dem Kanzleramt allerdings schon damals bekannt. Anfang 2019 hatte Merkel den von ihrer Staatssekretärin Bär überbrachten Wunsch von Wirecard-Chef Markus Braun abgelehnt, die Kanzlerin persönlich zu treffen. Es gebe ungeklärte Vorwürfe gegen das Unternehmen, hatten Merkels eigene Experten gewarnt.
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