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Vizekanzler Olaf Scholz
Eine schöne Affäre, dieser Kandidat!

In der Corona-Krise beliebter geworden denn je: Der deutsche Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). 
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Olaf Scholz’ Leute können wunderbar erklären, warum ihr Mann sehr viele bessere Chancen habe, Angela Merkel im Kanzleramt zu beerben, als alle denken. Es laufe bisher doch alles für ihn: Die Corona-Krise bekämpft Scholz als Vizekanzler und Finanzminister an vorderster Front, was ihn zu einem der beliebtesten Politiker Deutschlands machte. Früher als erwartet nominierte ihn die SPD zudem zu ihrem Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2021.

Und im nächsten Jahr, so glaubt Scholz, beginne der Kampf ja erst richtig. Mit dem Abgang der «ewigen Kanzlerin» suchten sich deren Wähler aus der Mitte eine neue Heimat. Zerlege sich die Union im Kampf um ihre Nachfolge und schwächelten die Grünen plötzlich, wie bisher vor Bundestagswahlen noch immer, dann schlage unversehens seine grosse Stunde – und die der SPD.

Möchte Angela Merkel 2021 als Kanzler beerben: Olaf Scholz leitete das Treffen der europäischen Finanzminister am Wochenende in Berlin.

Ausser Scholz und seinem Team glauben nicht viele an eine solche Entwicklung, recht geben muss man dem 62-Jährigen aber darin: Sein Sommer lief tatsächlich wie am Schnürchen. Die neuen linken SPD-Chefs, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, krönten den Mitte-Politiker ohne Federlesens zu ihrem Spitzenkandidaten, obwohl sie ihn im internen Wahlkampf noch erbittert bekämpft hatten. Und im Masse, wie die staatlichen Milliarden Arbeitnehmer und Unternehmen durch die Seuche retteten, stieg die Zustimmung zum Finanzminister, der die Gelder lockermachte. (Nur die Umfragewerte der SPD, die blieben so tief wie seit Monaten.)

Zwei milliardenschwere Skandale

Einen Monat später jedoch ist Scholz’ Sommermärchen bereits zu Ende. Zwei Finanzskandale haben ihn eingeholt, einer aus seiner Vergangenheit als Bürgermeister von Hamburg, einer aus der Gegenwart. Der Finanzdienstleister Wirecard war eines der hoffnungsvollsten deutschen Internetunternehmen, bis sich vor kurzem herausstellte, dass die Firma Vermögen und Geschäfte vortäuschte, die es gar nicht gab. Seither ist Wirecard insolvent, Anleger verloren Milliarden, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen bandenmässigen Betrugs.

Die deutschen Aufsichtsbehörden hatten von den Betrügereien über Jahre nichts mitbekommen und nie ernsthaft ermittelt, selbst als die Londoner «Financial Times» schon handfeste Hinweise im Dutzend publizierte. Oberster Aufseher der deutschen Finanzaufseher aber ist der Finanzminister.

Nun wird gegen ihn ermittelt

Scholz reagierte auf den Skandal erst, als es längst zu spät war. Er beklagte, seine Aufseher hätten gar nicht über die Kompetenzen verfügt, so gewieften Betrügern auf die Schliche zu kommen, und kündigte eine umfassende Reform der Finanz- und Geldwäschereiaufsicht an. Im Übrigen hätten die privaten Wirtschaftsprüfer genauso versagt – und für die sei nicht er, sondern der Kollege von der politischen Konkurrenz zuständig, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

Den Liberalen, Grünen und Linken genügen Scholz’ Erklärungen freilich nicht. Die Oppositionsparteien schicken sich gerade an, im Bundestag einen Ausschuss einzurichten, der das historische Debakel umfassend untersuchen soll.

Böses Cum-Ex-Erbe

Der zweite Skandal, jener aus der Hamburger Vergangenheit, hört auf den Namen Cum-Ex. Es ist die Chiffre für einen Milliardenraubzug, bei dem Banken sich Steuern doppelt zurückzahlen liessen, die sie nur einmal bezahlt hatten. Scholz wird seit längerem vorgeworfen, dass er 2016/17 die Hamburger Privatbank Warburg davor bewahrt habe, 47 Millionen Euro aus Cum-Ex-Geschäften an die Steuerkasse zurückzahlen zu müssen.

Letzte Woche kam heraus, dass sich Scholz vor dem Entscheid häufiger mit Warburg-Bankern getroffen hatte, als er bisher zugab. Im Bundestag meinten Politiker, Scholz habe den Finanzausschuss, der in der Sache ermittelt, schlichtweg «belogen» – und luden ihn erneut vor. Der Finanzminister wiederum gab an, sich an die Treffen «nicht mehr konkret zu erinnern».

Im Wahlkampf möchte Scholz lieber über anderes reden als über Betrügereien, die sich quasi unter seiner Nase ereigneten.

Es ist eine von Scholz’ politischen Stärken, dass er, obwohl Sozialdemokrat, das Vertrauen von Finanz und Industrie geniesst. Doch im Zusammenhang mit Wirecard und Cum-Ex werfen ihm nun auf einmal auch Liberale vor, seine Nähe gehe mitunter offenbar etwas zu weit.

Besonders belastend für Scholz ist der Ausschuss in Sachen Wirecard, weil sich die Ermittlungen wohl weit ins nächste Jahr hineinziehen werden – mitten in den Bundestagswahlkampf also, in dem der Spitzengenosse bestimmt lieber über anderes reden möchte als über Betrügereien, die sich quasi unter seiner Nase ereigneten.

Auf die nicht eben rosigen Perspektiven des Kandidaten und der Partei angesprochen, erzählen Scholz’ Leute nun gerne die Geschichte, wie dieser 2011 in Hamburg eine entmutigte Partei wiederaufgerichtet und am Ende zu einem Wahlsieg mit absoluter Mehrheit geführt habe. Jetzt müssen nur noch andere daran zu glauben beginnen.