Jetzt warnt ein Bürgerlicher vor der 67-Stunden-Woche
CVP-Vertreter machen sich für ein flexibles Arbeitsgesetz stark. Mit Guido Graf weist jetzt ein Gesundheitsdirektor aus ihren Reihen auf Risiken hin.
Seit mehr als drei Jahren brüten die parlamentarischen Wirtschaftskommissionen (WAK) über der Liberalisierung des Arbeitsgesetzes, initiiert vom früheren CVP-Ständerat Konrad Graber. Am Donnerstag nun könnte die bürgerliche Mehrheit der Ständeratskommission die Reform verabschieden. Diese erlaubt unter bestimmten Bedingungen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 67 Stunden und gibt die Sonntagsarbeit frei, wenn Arbeitnehmer einem Jahresarbeitszeitmodell unterstellt sind.
Allerdings sind die Bedenken gegen die «Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes» gross, wie kürzlich die Anhörungen in der Kommission zeigten. Die Kritik kommt nicht nur von Gewerkschaften, Berufsverbänden und Arbeitsmedizinern. Zu den Warnern gehört mit dem Luzerner CVP-Regierungsrat Guido Graf ausgerechnet ein bürgerlicher Politiker, der in seinem Kanton für die Gesundheitsversorgung zuständig ist.
«Die steigenden Gesundheitskosten gehen zweifellos auf die höhere Belastung am Arbeitsplatz zurück.»
Graf trat in der Kommission als Präsident der Gesundheitsförderung Schweiz auf, der Präventionsorganisation mit gesetzlichem Auftrag des Bundes. Graf warnte vor einer Zunahme des Arbeitsstresses, der schon heute gross sei. Erhebungen der Gesundheitsförderung zu den Auswirkungen von arbeitsbedingtem Stress machten dies deutlich. So zeige der Job-Stress-Index 2018, dass der Anteil von stressgeplagten Arbeitnehmern zunehme und mittlerweile bei 27 Prozent liege. Nicht nur die Arbeitnehmer spürten die negativen Folgen. Den Unternehmen entstünden jährliche Produktionsverluste von rund 6,5 Milliarden Franken, weil gestresste Angestellte weniger leistungsfähig seien. Eine «weitergehende Flexibilisierung» der Arbeit berge zu grosse Gefahren für die Gesundheit der Arbeitnehmer, warnte Graf.
Graf verwies aber auch auf den starken Anstieg der Gesundheitskosten für psychiatrische Behandlungen in seinem Kanton. So seien die Kosten der nicht psychiatrischen Spitalbehandlungen (Akutsomatik) seit 2012 um 29 Prozent angestiegen. Im Bereich der Rehabilitation hätten die Kosten hingegen um 54 Prozent und im Bereich der Psychiatrie sogar um 63 Prozent zugenommen. «Die steigenden Gesundheitskosten stehen ohne Zweifel in einem direkten Zusammenhang mit Krankheitsbildern, die unter anderem auf eine zunehmende Belastung am Arbeitsplatz zurückzuführen sind», sagte Graf in der WAK.
Konrad Grabers parlamentarische Initiative wird von SVP, FDP und CVP unterstützt. Die CVP stellte in der Vernehmlassung allerdings die Bedingung, dass der Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer verbessert wird. Diesem Wunsch kam die WAK nach, was auch Graf begrüsst. Dass die Firmen zu einem betrieblichen Gesundheitsschutz verpflichtet würden, sei positiv. Heute verfügten lediglich 23 Prozent der Schweizer Unternehmen über ein systematisches betriebliches Gesundheitsmanagement. Der zunehmende Stress am Arbeitsplatz mache zusätzliche Massnahmen in diesem Bereich nötig.
Nur Gutverdienende und Kaderleute sollen mehr arbeiten dürfen
Ständerat Erich Ettlin, der unter den CVP-Ständeräten die Federführung im Dossier übernommen hat, relativiert Grafs Bedenken. Ziel der Reform seien in erster Linie flexiblere Arbeitszeiten für einen eingeschränkten Kreis, der rund 15 Prozent der Arbeitnehmer umfasse. Zudem müssten die Arbeitnehmer einverstanden sein mit der Unterstellung unter ein entsprechendes Jahresarbeitszeitmodell. Studien zeigten, dass dann flexiblere Arbeitszeiten den Stress auch vermindern könnten.
Heute gilt laut Arbeitsgesetz eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 Stunden. Diese Vorgabe und die Restriktionen für Sonntagsarbeit sollen künftig für Fachspezialisten und leitende Angestellte nicht mehr gelten, wenn sie ihre Arbeit in einem Jahresarbeitszeitmodell flexibel einteilen können. Als zusätzliche Voraussetzung sieht die WAK vor, dass die Arbeitnehmer über einen Bruttojahreslohn von mindestens 120'000 Franken oder einen höheren Bildungsabschluss verfügen müssen. Zudem darf die wöchentliche Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt nicht mehr als 45 Stunden betragen, und die Jahresarbeitszeit muss auf mindestens 40 Wochen verteilt werden. Zur Zahl der betroffenen Angestellten kursieren zahlreiche Schätzungen. So bezifferte der Bundesrat ihren Anteil auf 30 Prozent, das Staatssekretariat für Wirtschaft auf 23 Prozent und die WAK auf 13 bis 19 Prozent.
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