Gastkommentar zur EuropapolitikJetzt muss das Volk beim Rahmenvertrag mitreden
Im Verhältnis zur EU funktioniert die Geheimdiplomatie nicht mehr. Der Bundesrat muss die Diskussion öffnen.
Verstehen Sie die bundesrätliche Europapolitik noch? Ich nicht. Seit 2014 wird das Rahmenabkommen verhandelt. Im Dezember 2018 nahm der Bundesrat das Ergebnis zur Kenntnis, hat aber nicht unterschrieben. In gewissen Teilen sei das gar kein Verhandlungsergebnis, sondern eine Offerte der EU. Immerhin eröffnete der Bundesrat über den Text, den er dann doch als Verhandlungsergebnis bezeichnete, eine «Konsultation». Das ist zwar so nicht vorgesehen. Aber wenns hilft.
Nach der «Konsultation» bekräftigte der Bundesrat im Juni 2019 seine positive Beurteilung. Der Vertragsentwurf sei in weiten Teilen im Interesse der Schweiz. In einem Brief an die EU-Kommission verlangte er aber «Klärungen» in drei Bereichen: Lohnschutz, staatliche Beihilfen und Unionsbürgerrichtlinie. Man war danach zuversichtlich: «insgesamt positiv», «in weiten Teilen im eigenen Interesse». Da wird man die paar Klärungen wohl finden.
Seit dem Besuch des Bundespräsidenten bei der Kommissionspräsidentin spricht man aber von erheblichen Differenzen, und wenig später wurden daraus wundersamerweise gar fundamentale. Von Mittwoch zu Mittwoch erwartet man eine Öffnung der Restaurants und befürchtet die Schliessung der Verhandlungen.
Offenbar gibt es im Bundesrat erhebliche, vielleicht sogar fundamentale Differenzen.
Der Schaden eines Verhandlungsabbruchs wäre enorm: Der bilaterale Weg erodiert, die Beziehungen zu unserem weitaus wichtigsten Partner werden vergiftet und auf lange Sicht beschädigt.
Wie konnte es so weit kommen? Offenbar gibt es im Bundesrat erhebliche, vielleicht sogar fundamentale Differenzen. Im Bereich der Innenpolitik kommt das auch vor. Damit kann man aber umgehen. Parlament und Bundesrat sind unter sich. Die Vorlagen des Bundesrats können im Parlament beliebig verändert werden. Die bundesrätlichen Botschaften – so heissen seine Anträge – haben nichts Definitives. Zum unterschriebenen Rahmenabkommen kann das Parlament und allenfalls das Volk aber nur Ja oder Nein sagen. Da tut man sich offensichtlich schwerer. Der Schweiz liegt es nicht, sich festzulegen.
Der Bundesrat ist weniger eine Regierung, sondern mehr eine Konferenz von Departementsvertreterinnen und -vertretern. Es gibt «eigene» Geschäfte und die Geschäfte der anderen. In dieser Logik ist Aussenpolitik mit ihrer Diplomatie ein Geschäft des Aussendepartements. Europapolitik ist aber ein Geschäft von allen. Die Methoden der klassischen Diplomatie mit geheimen Verhandlungsmandaten, Notenaustausch und protokollarischen Gepflogenheiten funktionieren da nicht mehr.
In einer Welt, in der jeder Minister aus jeder Verhandlung twittert, «öffentliche» Verhandlungen geführt werden und enge Abhängigkeiten zwischen unterschiedlichen Dossiers bestehen, braucht es neue Methoden der Europapolitik. Ein bewährtes Instrument der europapolitischen Koordination, das sogenannte Integrationsbüro, wurde vor Jahren abgeschafft. Es war zwei Departementen zugeteilt.
Und kürzlich ist das Europadossier von einer eigenständigen Direktion im Aussendepartement in eine blosse Abteilung der Politischen Direktion verschoben worden. Das ist der falsche Weg. Es braucht eine Aufwertung der Europapolitik mit einer departementsübergreifenden Struktur. Erfolg und Misserfolg der Europapolitik liegen in der Hand des ganzen Bundesrats.
Der Bundesrat muss seinen eignen Brief an die EU-Kommission vom Juni 2019 lesen.
Wie kommt man aber kurzfristig aus der Sackgasse? Der Bundesrat muss seinen eignen Brief an die EU-Kommission vom Juni 2019 lesen. Dort heisst es: «Gleichzeitig bekräftigt der Bundesrat, dass die Beteiligung der Bevölkerung bei der Festlegung seiner Politik unabdingbar ist. Ohne die Unterstützung und das Engagement der Schweizer Bürgerinnen und Bürger ist die Regierungstätigkeit nicht nachhaltig.»
Richtig! Der Bundesrat muss die Bevölkerung an seiner Europapolitik beteiligen. Er muss einen Weg finden, das Rahmenabkommen im Parlament und im Volk zu diskutieren. Er darf nicht am Volk vorbei entscheiden.
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