Abstimmung über PestizidinitiativeNeues Gift für die Beziehungen mit der EU
Stimmt das Volk der Pestizidinitiative zu, läuft die Schweiz Gefahr, eingeklagt zu werden: Davor warnt der Bundesrat, ein Handelsexperte stützt die Sicht. Die Initianten widersprechen.
Alle Lebensmittel in der Schweiz sollen in Zukunft frei von synthetischen Pestiziden sein – auch die importierten: Diese Aussicht verspricht die Pestizidinitiative. Doch so einfach ist die Sache nicht. Heissen Volk und Stände am 13. Juni das Volksbegehren gut, wird es nach einer Übergangsfrist von maximal zehn Jahren untersagt sein, Lebensmittel einzuführen, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt worden sind.
Ein solches pauschales Verbot indes wäre mit dem Recht der Welthandelsorganisation (WTO) «kaum zu vereinbaren», warnt der Bundesrat. Ebenso wenig mit den Verpflichtungen, welche die Schweiz etwa beim Abschluss des Freihandels- und des Agrarabkommens mit der EU eingegangen ist. Beide Verträge fussen auf dem Prinzip, dass ausländische Waren nicht diskriminiert werden dürfen. Sowohl die WTO als auch die EU könnten ein vollständiges Verbot als unzulässiges Handelshemmnis betrachten und einklagen.
«In allen Abkommen gibt es Sonderregime für pflanzenschutzrechtliche Massnahmen.»
Die Initianten entgegnen, beide Abkommen mit der EU würden das Recht beinhalten, Ausnahmen vom Freihandel vorzunehmen und Schutzmassnahmen zu ergreifen. Das gelte auch für Freihandelsverträge mit Nicht-EU-Staaten. Diese würden synthetische Pestizide als gefährlich anerkennen, da diese die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden könnten. «Deshalb», sagt Stephanie Hüsler vom Initiativkomitee, «finden sich in allen Abkommen Sonderregime für pflanzenschutzrechtliche Massnahmen, welche die Staaten aktivieren dürfen».
Als Beispiel nennt Hüsler Frankreich, das die Verwendung eines Pestizids mit dem Wirkstoff aus der Familie der Neonicotinoide verboten hat. Zwar habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch nicht darüber befunden, allerdings empfehle der Generalanwalt, der die EuGH-Richter in ihrer Entscheidungsfindung unterstützt, das Verbot als gültig zu betrachten. Auch mit Blick auf das WTO-Abkommen, so Hüsler, seien gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Massnahmen erlaubt. «Die Mitglieder dürfen solche Massnahmen einführen, die zu einem höheren Schutzniveau führen, wenn dies wissenschaftlich begründet ist.» Diese wissenschaftliche Rechtfertigung sei vorhanden.
Zurück zu Kontrollen an der Grenze?
Die Einschätzung ist umstritten. «Sonderregime für pflanzenschutzrechtliche Massnahmen, die strenger sind als die in der UNO vereinbarten Gesundheitsstandards, müssen mit dem Handelspartner vereinbart werden», sagt Christian Häberli. Der Experte für Handelsrecht arbeitet am World Trade Institute der Universität in Bern und hat zwischen 2002 und 2007 die Schweiz im Gemischten Agrarausschuss mit der EU vertreten. Protektionismus, sagt Häberli, gehe nicht: Dank der WTO sei es der Schweiz gelungen, zum Beispiel ihren Rohmilchkäse bis nach Australien und Neuseeland zu verkaufen.
«Die einvernehmliche Brexit-Abwicklung scheitert auch an solchen Fragen.»
Häberli widerspricht den Initianten auch im zweiten Punkt: Das Vorsorgeprinzip im WTO-Abkommen erlaube zwar sofortige Massnahmen mit höherem Schutzniveau – freilich nur, wenn eine wissenschaftlich hieb- und stichfeste Begründung nachgeliefert werde, also auch für Pestizide in Mengen, die heute als ungefährlich betrachtet würden. Der EU sei dies beim Nachweis der Schädlichkeit von Hormonfleisch für die menschliche Gesundheit nicht gelungen, weshalb sie Strafzölle habe bezahlen müssen. «Auch die berüchtigten Chlorhühner aus den USA zu verbieten, dürfte der EU schwerfallen.» Häberli betont zudem, bei einer Klage werde nicht nur der Gesundheits- und Umweltaspekt berücksichtigt, sondern weitere Kriterien, etwa das Ausmass der Handelseinschränkung.
Keine Prognose wagt Häberli zur Frage, ob es überhaupt zu einer solchen Klage käme. Eine Rolle spielen würde sicherlich, ob die Schweiz die Initiative wortgetreu umsetzen würde. Ein Fragezeichen macht Häberli bei diesem Punkt ohnehin. An der Landesgrenze würden nämlich wieder Kontrollen nötig, wie er sagt: «Die einvernehmliche Brexit-Abwicklung scheitert auch an solchen Fragen.»
Bund sieht Verhandlungsbasis geschwächt
Mögliche Probleme sieht der Bund auch bei einem Abkommen mit der EU, das er weiterentwickeln will. Die Schweiz und die EU wollen neu die gesetzlichen Grundlagen für alle Lebensmittel gegenseitig als gleichwertig anerkennen; heute ist erst der Umgang mit Lebensmitteln tierischer Herkunft geregelt. «Damit würde der Handel erleichtert», sagt Doris Schneeberger vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen.
Für die Ein- und Ausfuhr in und aus der EU wären nur noch Handelsdokumente nötig, zusätzliche Garantien und Bescheinigungen würden entfallen. Auch müsste die Schweiz kontrollpflichtige Lebensmittel aus Ländern ausserhalb der EU, die über den Land- oder Seeweg hierhergelangen, nicht mehr überprüfen, da dies die EU schon getan hat. Zudem könnte die Schweiz an den EU-Informationssystemen zu Lebensmittelsicherheit und Lebensmittelbetrug teilnehmen. «Eine Annahme der Initiative», sagt Schneeberger, «würde die Verhandlungsbasis schwächen, da unsere gesetzlichen Grundlagen dann von denjenigen der EU abweichen würden.»
Ob es je so weit kommt, ist aber nicht nur wegen des noch offenen Ausgangs der Volksabstimmung ungewiss. Die Verhandlungen für eine Erweiterung des Abkommens mit der EU sind 2014 angelaufen, die EU hat sie Ende 2018 jedoch sistiert – wegen der ungelösten institutionellen Fragen. Solange sich keine politische Lösung beim Rahmenabkommen abzeichnet, gibt es für weitere Verhandlungen keinen Spielraum.
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