Leitartikel zur Corona-PolitikEs ist Zeit, zu zeigen, dass wir Eigenverantwortung können
Es wird kaum mehr getestet, und nur die wenigsten bleiben mit Symptomen zu Hause. Trotzdem wehren sich Politiker und ÖV-Verbände vehement gegen eine erneute Maskenpflicht. Das kann nicht gutgehen.
Die Fallzahlen steigen wieder, viele Spitäler sind am Anschlag, und am Horizont tauchen neue Virusvarianten auf, von denen noch niemand so genau weiss, wie gefährlich sie werden könnten.
Da stellt sich für viele die Frage, ob es diesen Winter wieder Massnahmen zur Eindämmung des Virus brauchen wird, wie etwa eine Maskenpflicht in Innenräumen respektive im öffentlichen Verkehr (ÖV) oder eine Isolationspflicht bei einer Covid-Erkrankung. Vertreter des ÖV und einzelne Politiker wehren sich derweil jetzt schon heftig gegen eine erneute Einschränkung der individuellen Freiheiten und setzen auf das allseits bekannte Mantra hiesiger Politik: Eigenverantwortung.
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Will man wissen, wie das mit der Eigenverantwortung im Alltag funktioniert, reicht es, sich ein wenig umzuhören: «Ich habe so ein Kratzen im Hals», «Das ist nur eine Erkältung», «Wegen des bisschen Fiebers bleibe ich doch nicht zu Hause». Sätze wie diese hört man derzeit allenthalben. Viele Menschen sind krank, sie haben irgendetwas im Hals, im Rachen oder in der Nase. Auf die Frage: «Hast du denn einen Corona-Test gemacht?», erntet man oft nur ein Schulterzucken. Corona kann es doch nicht sein. Seit der Bundesrat Ende März alle Massnahmen zur Eindämmung des Virus aufgehoben hat, ist die Pandemie für viele längst Geschichte.
Die Pandemie ist aber noch nicht vorbei. Mindestens diesen Winter wird sie uns noch, mehr als uns lieb ist, begleiten. Pro Woche stecken sich derzeit – Dunkelziffer mit eingerechnet – rund 200’000 Menschen in der Schweiz mit einer der Omikron-Varianten von Sars-CoV-2 an, viele bereits zum zweiten, dritten oder x-ten Mal. Die meisten entwickeln nur leichte Symptome – zum Beispiel ein Kratzen im Hals oder leichtes Fieber –, weil sie, wie über 95 Prozent der Bevölkerung, durch Impfung, Booster und Infektionen mittlerweile einen guten Grundschutz vor dem Virus haben.
Alles paletti also? Nein. Und zwar aus drei Gründen.
Ältere Menschen und besonders gefährdete Personen – etwa solche mit einem geschwächten Immunsystem oder Schwangere – haben trotz Impfung und Booster ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Bei einer hohen Viruszirkulation steigt auch für sie die Gefahr einer Ansteckung, und damit das Risiko, mit einer Covid-Erkrankung hospitalisiert zu werden. Immerhin: Auf der Intensivstation landen sie nur noch selten.
Die Spitäler sind schon jetzt am Anschlag. Die Notfallstationen laufen landesweit am Limit, und einige grosse Kliniken müssen Betten schliessen, weil schlicht das Pflegepersonal fehlt. Nach den intensiven zweieinhalb Corona-Jahren haben viele den Pflegeberuf an den Nagel gehängt.
Jede Ansteckung birgt nach wie vor das Risiko, dass die Symptome einfach nicht weggehen, Stichwort: Long Covid. Etwa fünf Prozent aller Infizierten sind auch drei Monate oder länger nach der Ansteckung noch nicht wieder richtig auf den Beinen.
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Womit wir wieder bei der Eigenverantwortung sind. Handelt angesichts der genannten Gründe eine Person eigenverantwortlich, die sich bei leichten Symptomen nicht mehr testen lässt – es ist ja «nur eine leichte Grippe»? Ist es eigenverantwortlich, trotz Niesen und Husten am öffentlichen Leben teilzuhaben, am liebsten noch ohne Maske? Und: Ist es wirklich eigenverantwortlich, mit solchem Verhalten möglicherweise andere, besonders gefährdete Menschen anzustecken?
Nein, natürlich nicht. Leider beziehen viele Menschen die Eigenverantwortung nur auf das Wort «eigen», also auf sich selbst, deshalb funktioniert das Konzept nicht wirklich. In der direkten Demokratie Schweiz sind wir es zwar gewohnt, vieles selber zu entscheiden. Eigenverantwortung beinhaltet aber auch das Wort «Verantwortung». Und das bedeutet, nicht nur für sich selbst zu schauen, sondern in erster Linie dafür zu sorgen, dass man mit dem eigenen Verhalten anderen keinen Schaden zufügt. Mit anderen Worten: Eigenverantwortung heisst auch, sich für das Gemeinwohl einzuschränken, wenn es nötig ist.
Nichts deutet darauf hin, dass sich an der Null-Massnahmen-Politik diesen Winter etwas ändern wird.
Wie weiter? Nichts deutet darauf hin, dass sich an der Null-Massnahmen-Corona-Politik in diesem Winter gross etwas ändern wird. Jetzt ist nicht mehr der Bund zuständig, sondern die einzelnen Kantone. Und diese könnten höchstens im beschränkten Rahmen Massnahmen anordnen – etwa eine Maskenpflicht in regionalen Gesundheitseinrichtungen. Eine Maskenpflicht im ÖV ist allerdings mit dieser Konstellation kaum durchsetzbar. Man stelle sich nur vor, dass in einem Kanton im ÖV Maskenpflicht herrscht, im Nachbarkanton aber nicht – das Chaos wäre programmiert!
Bleibt also die Eigenverantwortung – im Sinne des Wortes. Das heisst: Bei Symptomen sich testen lassen, bei einer Infektion zu Hause bleiben, bis das Testergebnis negativ ist, in Innenräumen und im ÖV Maske tragen, genügend Abstand halten – aber das wissen wir ja längst, oder? Jetzt wäre die Zeit, zu zeigen, dass wir Eigenverantwortung auch können.
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