Kommentar zur Corona-ÖffnungJetzt heisst es: Kopf einschalten
Die meisten Beschränkungen im Land fallen, und das ist gut so. Trotzdem – oder gerade deshalb – sollten wir die neue alte Freiheit besonnen geniessen.
Es geht wieder einmal schnell. Inzwischen entspricht es einem Muster, dass die Schweiz beim Aufheben von Corona-Regeln deutlich weniger zimperlich vorgeht als bei der Einführung derselben.
Anders als etwa im ersten Pandemieherbst gibt es nun aber gute Gründe für weitreichende Lockerungen. Die wissenschaftliche Corona-Taskforce hält fest, dass ein Grossteil der Bevölkerung inzwischen durchseucht ist. Die Omikron-Welle hat ihren Höhepunkt überschritten, die Hospitalisierungen sind rückläufig, die Todesfälle ebenso.
Sicher: Es gibt immunsupprimierte und chronisch kranke Menschen, für die eine Covid-Erkrankung immer noch ein hohes Risiko mit sich bringt. Sie müssen wir schützen. Es ist daher richtig, dass die Maskenpflicht in Spitälern und im ÖV vorerst erhalten bleibt.
Auf rigide Regelwerke können wir als freiheitliche Gesellschaft – ausserhalb akuter Krisenzeiten – verzichten.
Eine Tatsache ist jedoch auch, dass sich an der aktuellen Situation in absehbarer Zeit nicht mehr viel ändert. Das Coronavirus bleibt unter uns, mit einem gewissen Ansteckungsrisiko müssen wir bis auf weiteres leben, wie bei anderen Krankheiten auch.
Insofern ist es richtig, dass uns der Staat nicht mehr vorgibt, mit wie vielen Freunden wir Geburtstag feiern dürfen und dass unsere Nasen und Münder an der Bushaltestelle bedeckt sein sollen. Auf solch rigide Regelwerke können wir als freiheitliche Gesellschaft – ausserhalb akuter Krisenzeiten – verzichten.
Gleichzeitig heisst das nicht, dass wir ab morgen wieder munter Seuchenpartys feiern sollten. Vielmehr zwingt uns die neue Realität dazu, etwas zu tun, was wir im Dickicht der staatlichen Regulierungen leicht hätten verlernen können: den Kopf einschalten und Risiken eigenständig abwägen.
Die Science-Taskforce zieht in ihrem neuesten Lagebericht den Vergleich zur Malaria, die in tropischen Ländern endemisch ist. Die Krankheit ist alles andere als ungefährlich – aber die Bevölkerung weiss, dass sie sich etwa mit Moskitonetzen schützen kann.
Auch wir haben in den letzten zwei Jahren vieles gelernt. Wir wissen, dass es Sinn ergibt, in gewissen Situationen Maske zu tragen. Und dass eine FFP2-Maske für den persönlichen Schutz mehr bringt als eine chirurgische Maske.
Wir wissen auch um die Bedeutung von Aerosolen. Es wäre wünschenswert, wenn bis im nächsten Herbst Schulzimmer und andere öffentliche Einrichtungen so umgerüstet wären, dass eine gute Durchlüftung gewährleistet ist.
Wir sollten die 12’500 Toten nicht vergessen, wenn wir unsere zurückerlangte Freiheit umarmen.
Vor allem aber gibt es gegen Corona – anders als gegen Malaria – eine Impfung, die wirksam gegen schwere Verläufe schützt. Es ist richtig, dass sie in der Schweiz nie für obligatorisch erklärt wurde. Umso mehr sollten wir auch künftig unsere Verantwortung wahrnehmen und uns gegen allfällige neue Varianten immunisieren lassen.
Ohne grosses Aufheben, selbst wenn die Selfies mit Pflaster am Oberarm längst out sind und in der Bar niemand mehr nach dem Zertifikat fragt.
Seit Beginn dieser Pandemie sind in der Schweiz rund 12’500 Personen an Corona gestorben. Einige Kranke warten weiterhin darauf, dass ihre verschobenen Operationen endlich nachgeholt werden. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir unsere zurückerlangte Freiheit umarmen.
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