Ende der Pandemie-MassnahmenLehren aus zwei Jahren Pandemie: Diese Fehler dürfen wir nicht wiederholen
Wir stehen nicht zum ersten Mal an diesem Punkt: Das Ende der Pandemie scheint nah. Ist es dieses Mal tatsächlich so weit? Was haben wir aus den Irrtümern der Vergangenheit gelernt? Eine Rückschau in Zitaten.
Warnrufe bei Lockerungen
«Wir sollten aufpassen, dass wir uns mit den aktuellen Lockerungen den Sommer nicht verspielen.»
«Im April war ich brutal überrascht. Die Fallzahlen gingen hoch, dazu kamen Lockerungen. Wir gingen davon aus, dass die Fallzahlen weiter steigen.»
Es gibt für alles einen richtigen Moment. Und jetzt ist nicht der Moment, um miesepetrig zu sein. Ob Lockerungen angebracht sind oder nicht, war in den letzten zwei Jahren stets umstritten. Meistens erwiesen sich aber nicht die Lockerungen als Problem, sondern die rechtzeitige Verschärfung der Massnahmen. Einiges ist epidemiologisch ohnehin umstritten – etwa der Nutzen der 2-G-Regel. Aber natürlich kann man darüber streiten, ob jetzt ein guter Moment ist, die Masken im Fitnesscenter und beim Einkaufen fallen zu lassen. Diverse Epidemiologen warnten in den letzten Tagen davor.
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Allerdings: Vorsorgliche Massnahmen bringen in diesem Stadium niemandem etwas. Also wann sollen sie fallen, wenn nicht jetzt? Zwischen Anfang Januar und Anfang Februar haben sich 30 bis 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit Omikron angesteckt – ohne dramatische Folgen für das Gesundheitssystem. Dank der Impfung: «Omikron infiziert in grösserem Masse als Delta Geimpfte und Genesene, was dazu führt, dass ein höherer Anteil der Infizierten durch die Impfung gegen einen schweren Verlauf geschützt ist», schreibt dazu die Taskforce in ihrer aktuellsten Lagebeurteilung.
Wir sind also in einer einmaligen Ausgangslage: Die Omikron-Welle ebbt ab, ohne dass wir Massnahmen hätten ergreifen müssen. Die Zahlen sänken aufgrund der Immunität, so Epidemiologe Christian Althaus.
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Wichtiger wäre, mit der Aufhebung der Massnahmen klar zu sagen, dass es gewisse Dinge wie Masken oder Tests wieder brauchen wird – und vielleicht nicht bloss diesen Herbst, sondern immer wieder.
Das Ende ist nah
«Wir können Corona.»
«Eine flächendeckende zweite Welle wird es so nicht mehr geben.»
«Wir sehen Licht am Ende des sprichwörtlichen Tunnels.»
«Wir reden jetzt nur noch von wenigen Monaten, bis sich Normalität einstellt.»
«Das Risiko einer Überlastung des Gesundheitssystems ist praktisch ausgeschlossen.»
«Aber bald, hoffentlich im Frühling, sollten wir über den Berg sein.»
«Die Pandemie ist vorbei.»
Wenn wir eins gelernt haben in dieser Krise: Das Virus macht nicht das, was wir von ihm erwarten. Und es geht auch nicht plötzlich wieder weg. Wir stehen im Moment besser da als zu irgendeiner Zeit in den letzten zwei Jahren. Ob und wann sich das wieder ändert, weiss aber niemand. Epidemiologen sind zwar zuversichtlich, was die Bedrohung durch neue Varianten betrifft, aber selbst die waren schon öfter zu optimistisch («Es sieht gerade wirklich, wirklich gut aus», sagte Marcel Salathé am 16. September 2020, keine zwei Wochen bevor die Herbstwelle so richtig abhob.)
Dass Corona seinen Schrecken nicht verlieren muss, zeigt das Beispiel Malaria: Die Krankheit «ist in vielen tropischen Ländern endemisch (und nicht pandemisch) und führt jährlich zu mehr als 400’000 Todesfällen», schreibt die Taskforce. Nur weil Corona also endemisch wird, wird es nicht plötzlich ungefährlich. Bei Malaria schlage ja auch niemand vor, einfach keine Moskitonetze mehr zu verwenden, so die Taskforce. (Eine staatliche Pflicht, mit Moskitonetz zu schlafen, gibt es allerdings nicht.)
Prognosen und Szenarien
«Mit Prognosen können wir nicht arbeiten.»
«Wir wussten, dass die Zahlen steigen, wenn wir öffnen. Aber wir haben nicht erwartet, dass sie so früh so stark steigen.»
«Unsere Kristallkugel hat auch schon den einen oder anderen Bruch erlebt. Wir haben deshalb tatsächlich Schwierigkeiten, zu sagen, wo wir in einem Monat stehen.»
Die Taskforce hat immer wieder kurzfristige Modelle präsentiert – und lag damit oft falsch. Bei der Omikron-Welle zum Beispiel war die Prognose der Fallzahlen richtig, aber die Konsequenzen fürs Gesundheitswesen wurden grob überschätzt. Kurzfristige Prognosen und Modellrechnungen sind aber per Definition fehleranfällig, weil sie auch darauf abzielen, ein mögliches Ergebnis zu verhindern. Anders verhält es sich mit langfristigen Szenarien: Wie entwickelt sich Sars-CoV-2 über die nächsten Jahre – und was heisst das für die nächsten 12 bis 18 Monate?
Das britische Gegenstück zur Schweizer Taskforce hat genau das gemacht: Die Wissenschaftler haben sich überlegt, wie sich Corona in den nächsten Monaten und Jahren weiterentwickeln könnte, und vier mögliche Szenarien entwickelt. In ihrem besten Fall ist die Pandemie tatsächlich vorbei. Im schlechtesten geht alles von vorne los, weil eine Variante entsteht, vor der wir trotz Immunität nicht geschützt sind.
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Basierend auf solchen Szenarien, kann man Risikoabwägungen machen, Handlungsoptionen ableiten – sich als Staat vorbereiten. Die Schweizer Taskforce hat mittlerweile nachgezogen und zwei Szenarien präsentiert – eines, das dem Worst-Case-Szenario der Briten entspricht, und eines, das sämtliche milderen Varianten einschliesst.
Die entscheidende Frage ist: Wie lange sind wir nach einer Infektion oder einer Impfung vor einem schweren Verlauf geschützt? Und taucht plötzlich wieder eine gefährliche Variante auf? Erste Studien legen zumindest nahe, dass man nach einer Infektion mit Omikron keine Immunität besitzt gegenüber Delta oder anderen Varianten. Das dürfte der Grund dafür sein, dass die Taskforce vorschlägt, noch einmal über ein Impfobligatorium zu diskutieren.
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Die Datenlage und der Katastrophenschutz
«Wir beobachten die Lage.»
«Mich überrascht, dass wir in unserem hochmodernen Land so schlecht sind in der Datenerhebung.»
«Bereits seit dem Frühling weisen wir den Kanton auf die Problematik hin und bitten um den Bau von Testzentren.»
«Ein nationales Vorgehen bezüglich Monitoring mittels Sequenzierung würden wir begrüssen.»
«Das ist ja eben das Problem! Es werden noch viel zu wenig Daten erhoben … Es würde sich lohnen, viel mehr Proben zu sequenzieren … Wir sind im Blindflug.»
Eigentlich wissen wir ziemlich gut, was im Umgang mit Naturgefahren zu tun ist: Wir analysieren die Situation, entwerfen Szenarien und Modelle, gewichten das Risiko und machen eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Sind die Böden durchnässt und es drohen heftige Gewitter, warnen wir die Bevölkerung im gefährdeten Gebiet, alarmieren die Rettungskräfte, schütten Dämme auf, verteilen Sandsäcke, evakuieren Menschen.
Das gleiche System kann man auf Sars-CoV-2 übertragen. Nach dem Jahrhunderthochwasser werden die Messstationen nicht einfach abgebaut, der Hochwasserschutz ist seit fast 150 Jahren im Schweizer Gesetz verankert. Nach der Jahrhundertpandemie – oder mittendrin, wer weiss – braucht es nicht weniger Daten, sondern mehr und bessere.
Die Taskforce skizziert in ihrem Bericht ein Überwachungsprogramm, das sich aus vier Elementen zusammensetzt: Sie plädiert für eine Automatisierung, damit die Daten schneller und zuverlässiger fliessen: «Als Teil der Vorbereitung auf künftige Epidemiewellen bietet es sich an, alle Systeme, die zu nationalen Schlüsselindikatoren führen, zu automatisieren.» Ausserdem brauche es weiterhin Gratis-Tests für bestimmte Bevölkerungsgruppen und die Möglichkeit, die Testkapazitäten schnell wieder auszubauen. Auch die Sequenzierung positiver Proben müsse weitergeführt werden, und man müsse ein System aufbauen, um die Immunität in der Bevölkerung zu überwachen.
Was die Taskforce nicht thematisiert: Welche Rettungskräfte bieten wir beim nächsten Corona-Notstand auf? Welche Massnahmen treffen wir? Fragen, die wir bei einem drohenden Hochwasser ja schliesslich auch nicht mehr klären müssen. Aber dafür bleibt uns hoffentlich den Sommer über Zeit.
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