Trend zur InfantilisierungKuscheltiere trösten das innere Kind in Erwachsenen
Egal ob Jellycat-Plüschtiere, selbst bemalte Möbel oder verspielte Accessoires: Erwachsene wenden sich vermehrt kindlichen Dingen zu. Was der Trend über aktuelle Sehnsüchte verrät.
- Erwachsene zeigen vermehrt Interesse an kindlichen Objekten wie Kuscheltieren und Spielzeug.
- Die britische Spielzeugfirma Jellycat erlebt einen Boom bei erwachsenen Käufern.
- Auch in der Mode und bei Inneneinrichtungen spielt man mit kindlichen Designs.
- Der Wunsch nach Nostalgie ist mit der düsteren Weltlage zu erklären.
Einfach mal wieder für einen Tag Kind sein – das ist ein Wunsch, den viele Erwachsene hegen, wenn ihnen das Leben zu viel wird. Doch jetzt nimmt diese Sehnsucht nach unbeschwerteren Tagen eine neue Dimension an: Auffallend viele Erwachsene lassen im Alltag gerade ungeniert ihr inneres Kind raus.
Der grösste Indikator dafür sind Plüschtiere, die einen regelrechten Boom erleben. Insbesondere die laut Fans besonders flauschigen Modelle der britischen Marke Jellycat, die es schon seit mehr als 25 Jahren gibt. Bei ihr haben nicht nur Hasen und Marienkäfer ein charmantes Lächeln im Gesicht, sondern auch Lebensmittel wie Broccoli oder Objekte wie Zimmerpflanzen oder Kaffeebecher.
So gingen an Weihnachten Videos viral, in denen über 18-Jährige unter Freudenschreien Jellycats aus dem Geschenkpapier rissen. Oder stolz ihre Sammlung zeigen, die sie sorgfältig auf dem Bett aufgereiht haben. Auch der 75-jährige Schauspieler Bill Nighy bezeichnete sich jüngst als «riesengrosser Jellycat-Fan» und liess sich bei einer Filmpremiere mit einem Fuchs-Plüschtier ablichten.
Das Warenhaus Globus ist bereits auf den Hype aufgesprungen und hat eine grosse Auswahl an Jellycats in sein Sortiment aufgenommen. In der Filiale an der Zürcher Bahnhofstrasse haben die Plüschtiere einen prominenten Platz erhalten und sind wie in einem Supermarkt dargeboten – inklusive Obstregal und Fake-Gefriertruhe.
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Andernorts geht der Kuscheltierhersteller noch einen Schritt weiter und bietet in Pop-up-Stores immersive Erfahrungen mit seinen Produkten an. Etwa in Paris, wo die Verkaufsfläche im Stil eines Cafés eingerichtet wurde und Angestellte als Baristas und Konditorinnen verkleidet so tun, als ob sie Plüsch-Cappuccinos und -Macarons zubereiten. Die Inszenierung ist weniger für Kinder gedacht als vielmehr für spielwütige Erwachsene, sogenannte «Kidults».
Ganz neu ist das Phänomen nicht: In Japan wird schon lange alles zelebriert, was «kawaii», also niedlich, ist. Aber nun sammeln selbst Stars wie Victoria Beckham, Dua Lipa und Bella Hadid fleissig japanische Plastikfiguren namens Sonny Angels. Die kleinen Engel mit Kulleraugen und lustigen Kopfbedeckungen kamen schon vor 20 Jahren auf den Markt, doch sie sind jetzt so begehrt, dass es immer wieder zu Lieferengpässen kommt.
In Grossbritannien, im Heimatort der Jellycats, wird gemäss dem Marktforschungsinstitut Circana inzwischen jedes fünfte Spielzeug und jedes fünfte Game von über 18-Jährigen gekauft – und zwar für sich selbst.
Kindheitsträume ausleben
Aber auch in anderen Branchen greift der Infantilismus um sich. Etwa in der Modewelt, wo gerade alles angesagt ist, was man auch in einem Kinderzimmer finden könnte. So zeigte Coach an der aktuellen Frühjahrsmodenschau eine XXL-Handtasche in Form eines Teddybären, während ein anderes Modell mit etlichen Stickern übersät war. Auch Accessoires wie eklektische Taschenanhänger und Halsketten, die wie selbst gemacht aussehen, liegen im Trend.
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In der Inneneinrichtung orientiert man sich ebenfalls an Kindlichem. Nachdem jahrelang beige und fast schon karge Wohnräume allgegenwärtig waren, tendiert man nun zum kinderfreundlicheren Motto: Mehr ist mehr.
So setzen maximalistische Stilrichtungen wie «Kindercore» und «Primary Play» auf kräftige Farben und spielerische Details. Laut einer Analyse von Pinterest wird es 2025 sogar zum Trend, seine Möbel und Wände einfach spontan von Hand und mit wilden Mustern zu bepinseln – der Traum jedes Kindes.
Doch wieso sehnen sich Erwachsene gerade wieder zurück in die Kindheit?
Erwachsene suchen Trost in Objekten
Eine grosse Rolle dürften dabei die Pandemie und alle weiteren globalen Krisen spielen. Schliesslich ist seither alles willkommen, das Ablenkung bietet und Freude macht. Dass es keine bessere Art des Eskapismus als Nostalgie gibt, zeigt der seit Corona allgegenwärtige Y2K-Trend, der uns mit Lowrise-Jeans und analogen Fotos in die unbeschwerten 2000er-Jahre zurückkatapultiert.
Für positive Gefühle sorgen auch Objekte aus der Kindheit, die einen emotionalen Wert besitzen. Wo Kinder Trost in weichen Kuscheltieren und immer lächelnden Plastikfiguren suchen, wenn sie traurig sind, tun es ihnen heute Erwachsene inmitten der düsteren Weltlage gleich. Das zeigt auch das im Internet grassierende Phänomen der «Emotional Support Objects», an die sich Erwachsene zunehmend klammern. Also an Objekten, die ihnen als emotionale Unterstützung und Anker dienen.
In unsicheren Zeiten können nicht nur ein Assistenzhund oder eine geliebte Babydecke beruhigend wirken, sondern auch ein übergrosser Thermosbecher oder eben eine Plüsch-Avocado. Vor allem Letzteres macht Sinn, haben Forscher doch herausgefunden, dass Kuscheltiere, auch solche mit Robotertechnik, eine therapeutische Wirkung haben und Senioren sogar bei Einsamkeit oder Demenz helfen können.
Auffällig ist aber auch, dass der zunehmende Infantilismus mit dem Selbsthilfetrend der «Inneren Kind»-Heilung einhergeht, der dank Bestsellern wie «Das Kind in dir muss Heimat finden» von Stefanie Stahl Hochkonjunktur hat. Dabei setzt man sich mit möglichen Verletzungen aus der Kindheit auseinander und schenkt seinem inneren Kind nachträglich Trost und Geborgenheit. Offenbar gehört dazu mittlerweile auch, seinem inneren Kind mit dem Portemonnaie eines Erwachsenen all das zu kaufen, was ihm damals verwehrt blieb – und heute besonders guttut.
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