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Rassismus in Japan
Japan zeigt sein fremden­feindliches Gesicht

«Ich kann nicht sagen, dass es keine Diskriminierung gibt»: Der Kurde Tevfik Tas vor seinem Kebabladen in der japanischen Stadt Kawaguchi.
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Vorschnelle Urteile bringen nur denen was, die andere hassen, deshalb hält Tevfik Tas davon nichts. Er, der Kurde aus Gaziantep in der Türkei, lebt schon seit 20 Jahren in Japan, in Kawaguchi genauer gesagt, einer Grossstadt der Präfektur Saitama mitten im riesigen Häusermeer der Metropolregion Tokio. Und das Leben im Inselstaat als Ausländer fand er eigentlich immer problemlos.

Mit 13 kam Tevfik Tas hierher. Er folgte damals seinem Vater, der schon seit den 1990ern in Kawaguchi lebte und sich als Abrissunternehmer etabliert hatte. Heute spricht Tevfik Tas perfekt Japanisch, ist 32, Familienvater und Besitzer von einem Abrissunternehmen, zwei Kebabhäusern, einer Shishabar, einem Frühstückscafé sowie sechs Imbisswagen. Dass die Japanerinnen und Japaner ausländerfeindlich seien, würde er so pauschal nicht sagen: «Die zehn, zwanzig, die ausländerfeindlich sind, sind nicht alle Japaner.» Allerdings ist er ins Grübeln geraten über seine Wahlheimat. Denn es ist etwas passiert.

Tokio war sauer über US-Kritik

Japan und die Ausländer. Das ist ein schwieriges Thema, bei dem der Inselstaat immer mehr an die Grenzen seiner rechtskonservativen Weltsicht gerät. Zuletzt wurde das wieder klar, als US-Präsident Joe Biden bei einer Wahlparty im Mai die Vorzüge der Einwanderung mit Negativbeispielen erklärte. «Warum gerät China wirtschaftlich so stark ins Stocken? Warum hat Japan Schwierigkeiten? Warum Russland? Warum Indien?», fragte Biden und antwortete selbst: «Weil sie fremdenfeindlich sind.» Bei den anwesenden Journalistinnen und Journalisten sorgte Bidens Bemerkung für grosse Verwunderung. Eine Sprecherin versuchte, zu erklären, Biden habe darauf hinweisen wollen, wie wichtig die Immigration für die USA sei.

US President Joe Biden (L) and Japanese Prime Minister Fumio Kishida raise their glasses to toast during a State Dinner in the East Room of the White House in Washington, DC, April 10, 2024. (Photo by Mandel NGAN / AFP)

Geschickt war es aber nicht, den Allianzpartner in dieser allgemeinen Aufzählung zu nennen. Tokio war sauer und teilte mit, Biden sei nicht gut informiert über Japans Zuwanderungspolitik. Verständlich. Allerdings: So einfach ist das nicht. Denn wirklich fremdenfreundlich ist Japan auch nicht.

Japan ist kein Einwandererland wie die USA und als Inselstaat keine direkten Nachbarn gewohnt. Seine bisher längste Friedenszeit erlebte Japan in der Edo-Zeit von 1603 bis 1868, als die Tokugawa-Shogune so gut wie niemanden ein- und ausreisen liessen. Als die Amerikaner die Japaner zu offenen Handelsbeziehungen gezwungen hatten und die Industrialisierung schnell voranschritt, bündelten die Oligarchen des neuen Kaiserreichs die Kräfte im Land mit Nationalismus und identitätsstiftender Kultur. Und nach der Kapitulation, die den Zweiten Weltkrieg beendete, gestanden die Konservativen zwar die Niederlage ein, verteidigten aber gegen alle linken Tendenzen das Selbstverständnis Japans als homogene Einheit.

Ausländer, die sich einfügen, sind willkommen

Bis heute funktioniert der Inselstaat auf der Basis anerzogener Regeln und Codes wie eine still vor sich hinarbeitende Harmoniemaschine. Ausländer, die sich einfügen, sind willkommen. Sie werden sogar bewundert, wenn sie die schwierige Sprache und die klar definierten Umgangsformen meistern. Aber die Vorbehalte gegen die Vielfalt sind tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelt. Deshalb erweitert die Regierung in Tokio nur zögerlich den Rahmen für mehr Arbeiter aus dem Ausland, obwohl die überalterte Nation diese dringend braucht. Deshalb nimmt Japan kaum Flüchtlinge auf; 2023 waren es 303, ein Rekord – aber kein Vergleich zu den mehr als 135’000 Asylanträgen, die vergangenes Jahr in Deutschland angenommen wurden.

Und deshalb kommt es vor, dass in Japan Episoden, die die Polizei anderswo wohl routiniert abfertigen würde, zu grossen Konflikten wachsen.

So wie in Kawaguchi eben, der Wahlheimatstadt des kurdischen Unternehmers Tevfik Tas. Rund 3000 Kurden sollen dort und in der angrenzenden Nachbarstadt Warabi unter den insgesamt rund 680’000 Einwohnerinnen und Einwohnern leben. Die Gegend gilt als Zentrum der kleinen Kurdengemeinde in Japan. Es gibt hier viele Abrissunternehmen, die von Kurden betrieben werden und in denen Kurden arbeiten – darunter vermutlich nicht wenige, die vergeblich Asyl beantragt haben, vom Staat geduldet sind, aber eigentlich nicht arbeiten dürften.

Konfliktfrei war das Verhältnis zwischen Einheimischen und Kurden wohl nie. Tevfik Tas erinnert sich an seine Anfänge in Japan: «Wir durften nicht zu laut sprechen. Ausländer haben von Natur aus lautere Stimmen und die Wände in Japan sind dünn.» Nicht alle seiner Landsleute nahmen immer gleich viel Rücksicht.

Einzelfälle brauchen die Toleranz der Japaner sofort auf

Aber seit vergangenem Jahr ist die Stimmung deutlich schlechter. Das hat viel mit einem Vorfall im Juli 2023 zu tun. Ein «Streit zwischen kurdischen Familien» sei der Auslöser gewesen, sagt Tevfik Tas. Eine Messerstecherei forderte Verletzte. Später gab es einen Tumult vor dem Krankenhaus, in dem die Verletzten lagen. Tas verurteilt den Vorfall, klar. Genauso wie er die Rowdy-Fahrten verurteilt, mit denen junge, kurdisch aussehende Leute immer wieder den Stadtfrieden störten. Trotzdem: Er findet das japanische Echo zu heftig.

Tevfik Tas sitzt in seinem Happy-Kebab-Laden in Kawaguchi. Er ist ein kräftiger Mann, den nichts so leicht einzuschüchtern scheint. Er stellt sich vor seine kurdische Gemeinde, so gut er kann. Ihn stören einseitige Berichte der rechten japanischen Presse, üble Nachrede im Internet, offene Anfeindungen im Alltag. «Im Fernsehen oder auf Instagram hat man das Gefühl, bei uns gehe es zu wie im Wilden Westen.»

Er nimmt sein Smartphone und klickt auf einen Audio-Ordner mit aufgenommenen Telefonanrufen. Man hört Rauschen, eine entfernte brüchige Stimme. «Weg, ihr Kurden aus Japan!» – «Warum?», fragt der Mitarbeiter, der den Anruf angenommen hat. – «Weil ihr Unannehmlichkeiten in Kawaguchi bereitet.» Tevfik Tas sagt, «über Monate» habe es solche Anrufe gegeben. Mit einem Rechtsanwalt sei er zur Polizei gegangen. «Aber die hat nichts gemacht. Da kann ich nicht sagen, dass es überhaupt keine Diskriminierung gibt.»

Es ist, als habe der Vorfall vom Juli die Ängste vor dem Chaos der Vielfalt geweckt und eine Kampagne zum Heimatschutz ausgelöst. Fremde sind für viele Japaner eine potenzielle Gefahr für die Harmoniegesellschaft. Wenn Einzelne aus einer Minderheit das Vorurteil dann tatsächlich bestätigen, ist ihre Toleranz sofort aufgebraucht.

Der Experte für Hassrede Takahiro Akedo von der Osaka Metropolitan University erklärt in der Zeitung «Mainichi»: «In westlichen Ländern eskaliert die ausländerfeindliche Stimmung leicht aus einem Gefühl der Krise um Arbeit und Beschäftigung heraus. Man behauptet: ‹Die nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg.› In Japan gibt es eine Tendenz, den Ausschluss von Einwanderern und Flüchtlingen als Sicherheitsfrage zu fordern, die auf dem Selbstbewusstsein beruht, dass Japan ein sicheres Land sei.»

Ein Faktor ist angeblich die türkische Regierung

Der klassische Vorwurf von Japanern gegen Ausländer sind Fehler bei der Müllentsorgung und Ruhestörung. Bei den Kurden in Kawaguchi kommen viele weitere hinzu. Seiichi Okutomi, Stadtrat der rechtskonservativen Regierungspartei LDP, schickt auf Anfrage dieser Redaktion eine ganze Liste mit Anklagen, darunter Kinderarbeit, Unfälle mit Todesfolge, Alkoholkonsum vor Geschäften, Belästigung von Frauen. Dazu kommt der Tumult vom Juli 2023.

Kurden bringen Verdruss, das ist die Botschaft. Und aus Okutomis Sicht ist es nicht die Aufgabe der Bürger, ausgewogener zu urteilen: «Der Staat ist dafür verantwortlich, zwischen illegalen und kriminellen Ausländern sowie aufrichtigen Ausländern zu unterscheiden», schreibt er.

Die Kurden haben auch Unterstützer in Kawaguchi. Bei einer Anti-Kurden-Demonstration im April waren zum Beispiel viele von ihnen da, um gegen die Rechten zu protestieren. Und Tevfik Tas glaubt, die Ausbrüche von Hass hätten auch damit zu tun, dass die türkische Regierung des nationalistischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan japanische Journalisten beeinflusse.

Aber der Stress ist gross. «Ich habe Japan wirklich geliebt», sagt Tevfik Tas, «trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, ich sollte weggehen.» Er wüsste auch schon, wohin. Nach Kolumbien, ins Land seiner Frau.