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Gefallener Radstar
Whiskey wie Wasser, 600 Zigaretten am Tag – nun wirbt Jan Ullrich für seine Doku

22.11.2023, Bayern, München: Der ehemalige Radprofi Jan Ullrich sitzt nach der Vorstellung seiner Dokumentation ·Jan Ullrich - Der Gejagte· im Filmtheater Sendlinger Tor auf der Bühne. Ab dem 28. November 2023 ist die mehrteiligen Serie bei Amazon Prime zu sehen. Foto: Angelika Warmuth/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Das dritte Leben: «Wie eine Neugeburt»

Jan Ullrich ist auf Promotour. Dieser Tage erscheint die Doku «Der Gejagte» auf Amazon Prime. Darin fährt der ehemalige Radprofi seinen bisherigen Lebensweg nochmals ab: Der steile Aufstieg in seine Zeit als gefeierter Sportheld. Die Talfahrt nach dem Dopingskandal hinein in eine private Misere, gezeichnet von Drogen- und Alkoholexzessen. Bis zum Totalabsturz 2018 auf Mallorca, wo er «fast draufgegangen wäre», wie er kürzlich in einem Interview sagte.

Und nun, nach fünf Jahren Aufarbeitung, Therapie und Entzug, folgt so etwas «wie eine Neugeburt», wie der Deutsche es nennt. «Nur fängt die nicht so schön an wie bei einem Baby.»

Das dritte Leben des Jan Ullrichs beginnt mit einem Geständnis, das er diese Woche in München in aller Öffentlichkeit abgelegt hat. Seit Ullrich des Dopings überführt worden ist, haben sich Journalisten und TV-Moderatorinnen vergeblich darum bemüht.

Bald zwanzig Jahre lang wurde er nicht müde, zu wiederholen: «Ich habe niemanden betrogen.» Und nun, wo alle müde geworden sind, die auf diesen Satz gewartet haben, spricht Ullrich ihn aus: «Ja, ich habe gedopt.»

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Das war wohl längst allen klar. Aber Ullrich beginnt damit nun, sein Leben wieder zusammenzusetzen. Und für seinen persönlichen Verarbeitungsprozess ist es bestimmt essenziell, dass er diesen Schritt in aller Öffentlichkeit geht. Trotzdem: Seine Promotour für die mehrteilige Doku hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.

Sie ist orchestriert. Man zeigt zwei Episoden, gefolgt von einer Podiumsdiskussion mit dem Protagonisten, lässt ihn vorher und nachher Interviews geben. Das zielt darauf ab, die Miniserie so erfolgreich wie möglich zu machen – auch und vielleicht vor allem finanziell.

Zwar ist nicht bekannt, wie viel Ullrich selbst daran verdient. So oder so, die Doku dürfte sich für ihn auszahlen, zumal im Dezember auch noch Ullrichs gedruckte Biografie «Der Grenzgänger» erscheint. Doch ein Geständnis, das sich finanziell lohnt, verliert seinen Zauber – besonders, weil Ullrich dieses auch ohne Doku öffentlich hätte ablegen können.

Es ist eben doch nicht «die ganze Geschichte»

Der ehemalige Radprofi betont seit der Präsentation von «Der Gejagte» immer wieder: «Ich habe alles gesagt.» Und die neue Doku wird als «die ganze Geschichte» propagiert. In Bezug auf Ullrich selbst mag sie das sein. Schliesslich stellt er persönlich seine dunkelsten Seiten ins Rampenlicht.

So schwer das für einen Menschen sein mag, bedeutet es in diesem Fall noch lange nicht, dass nun tatsächlich alles auf dem Tisch liegt. Ullrich war mehr als ein dopender Veloprofi, mehr als einer, der für seine Triumphe unlautere Wege ging. Er war auch Teil eines Systems, das den Radsport von innen heraus verfaulen liess und ihn öffentlich in den Niedergang trieb.

«Ich weiss viel mehr, aber ich würds nie sagen.»

Jan Ullrich

Auch wenn einige Dopingsünder und Strippenzieher von damals nun überführt sind, bleiben Fragen offen. Und Ullrich hätte zumindest einen Teil davon beantworten können. Etwa, wer in welcher Form mitgemischt und wie die Mechanismen um ihn herum funktioniert haben.

Der Deutsche sieht dies allerdings «nicht als meine Aufgabe». Er wolle keinen mit reinziehen. «Ich kann nur für mich sprechen. Ich weiss viel mehr, aber ich würds nie sagen.» Doch erst dann wäre es wirklich die ganze Geschichte gewesen.

Der Erzrivale wird zum Retter

epa10989882 (FILE) Overall standings' Tour winner American Lance Armstrong (L) of Discovery Channel Team and third placed German Jan Ullrich (R) of T-Mobile Team leave the podium in front of the Arc de Triomphe after the 21st and last stage of the 2005 Tour de France cycling race, Sunday 24 July 2005 in Paris, France. For the first time, former German professional cyclist Jan Ullrich has clearly admitted to having taken doping substances during his career. Ullrich made this statement at the presentation of the Amazon documentary "Jan Ullrich - The Hunted" in Munich, Germany on 22 November 2023.  EPA/GERO BRELOER *** Local Caption *** 00488509

Sie waren Helden ihres Sports. Sie dominierten auf dem Rad und prägten eine ganze Generation. Und als im Hochsommer um die Jahrtausendwende die besten Radfahrer an der Tour de France jeweils gegeneinander antraten, waren alle Augen auf sie beide gerichtet: Jan Ullrich und Lance Armstrong. Der Talentierte gegen den Arbeiter, der bodenständige Deutsche gegen den erfolgsgierigen US-Amerikaner.

Ullrich gewann die Frankreich-Rundfahrt 1997, Armstrong ab 1999 siebenmal nacheinander – wobei sich der Deutsche dreimal mit Rang 2 begnügen musste. Armstrong sagt über seinen Rivalen: «Seinetwegen habe ich trainiert. Seinetwegen hatte ich schlaflose Nächte. Über Jahre war er einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich hatte nur diesen einen Gegner. Alle anderen? Habe ich nicht ernst genommen.»

Es ist die wohl grösste Ironie des Dramas um Ullrich, dass ausgerechnet Armstrong, der ihm im Sport oft vor der Sonne stand, vermutlich am Ende zu seinem Retter wurde. Nach dem Karriereende versumpfte Ullrich, er trank «Whiskey wie Wasser», wie er einmal sagte, rauchte bis zu 600 Zigaretten am Tag und betäubte die Wut und die Traurigkeit seines Lebens mit harten Drogen. Er verlor seine Familie und seine Würde.

«Lance hat mich wirklich aufgerüttelt.»

Jan Ullrich

2018 dann kam es zum absoluten Tiefpunkt, die Drogen kosteten Ullrich fast das Leben. Er wollte mit niemandem mehr reden. Freunde Ullrichs kontaktierten Armstrong, in der Hoffnung, dass immerhin er noch einen Draht zu seinem einstigen Rivalen finden könnte. Er, der genauso von der Sportwelt verstossen wurde, der zumindest fast so tief gefallen war.

Und Armstrong kam tatsächlich, besuchte Ullrich in der Entzugsklinik, konnte ihn überzeugen, für seine Kinder zu kämpfen, wieder ein Vorbild zu sein. Heute sagt Ullrich über den US-Amerikaner, dass dieser einer der wichtigsten Gründe für seine Rückkehr zur Gesundheit war. Armstrong sagt: «Ich liebe Jan.» Ullrich sagt: «Lance hat mich wirklich aufgerüttelt.»

Was geschieht mit dem Tour-Titel 1997?

epa10989879 (FILE) - German cyclist Jan Ullrich of Telekom team rides uphill the Abantos Mountain, during the 18th stage of the Spanish cycling tour over 163.3km from Guadalajara to Escorial, near Madrid, Spain, 23 September, 1999. For the first time, former German professional cyclist Jan Ullrich has clearly admitted to having taken doping substances during his career. Ullrich made this statement at the presentation of the Amazon documentary "Jan Ullrich - The Hunted" in Munich, Germany on 22 November 2023.  EPA/Mondelo *** Local Caption *** 99397987

Ullrich selbst scheint sich als Mensch noch immer auch über seine sportlichen Erfolge zu definieren, vor allem über seinen Tour-Sieg 1997 und über seine zwei Medaillen an den Olympischen Spielen 2000.

«Ohne nachzuhelfen, so war damals die weitverbreitete Wahrnehmung, wäre das so, als würdest du nur mit einem Messer bewaffnet zu einer Schiesserei gehen», sagt er über die Zeit damals und rechtfertigt somit seine Handlungen.

«Man ist trotz allem stolz, was man geschafft hat.»

Jan Ullrich

Ob er denn heute bereue, ob er anders handeln würde, fragte ihn Urs Gredig im SRF-Interview: «Ich hätte mir nichts lieber gewünscht, dann Radprofi zu werden, als es keine Doping-Problematik gab. Natürlich haben meine Erfolge nun einen Beigeschmack, aber ich habe das System nicht erfunden. Man weiss trotzdem, was man geleistet hat. Man weiss, was man dafür bezahlt hat. Man ist trotz allem stolz, was man geschafft hat.»

Nun ist offen, ob Ullrichs grösste Erfolge aberkannt werden, auf die er noch immer stolz ist. So jedenfalls ist es seinem heutigen Freund Armstrong sowie weiteren Tour-Siegern ergangen.