Viele Neurenten, wenig AbgängeDie IV kann ihre Schulden kaum zurückzahlen
Die Invalidenversicherung richtet immer mehr Renten an psychisch Erkrankte und Teilzeitangestellte aus. Die Schuldentilgung erscheint illusorisch.
- Die Invalidenversicherung hat 10 Milliarden Franken Schulden bei der AHV.
- Reformmassnahmen reduzierten Schulden bis 2017 um 5 Milliarden Franken.
- Signifikante Neurentensteigerung verschlechterte die Finanzperspektiven.
- Politik muss über Rückzahlung der IV-Schulden entscheiden.
Die Invalidenversicherung steht bei der AHV mit rund 10 Milliarden Franken in der Kreide. Angehäuft wurden diese Schulden in den 90er-Jahren und den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausends, als die Zahl der Rentenbezüger stark zunahm. Mit befristeten Steuereinnahmen und einer Verschärfung der Rentenpraxis konnte die finanzielle Situation der Sozialversicherung verbessert und die Schulden bis 2017 um 5 Milliarden reduziert werden. Doch den weiteren Schuldenabbau aus eigener Kraft schafft die IV kaum.
Dies geht aus den aktualisierten Finanzperspektiven des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) hervor, die am Mittwoch publiziert wurden. Die finanziellen Perspektiven der IV hätten sich verschlechtert, hält das BSV fest. Als Gründe nennt das Bundesamt einen «signifikanten Anstieg» der Neurenten sowie tiefere Abgangsquoten als bisher angenommen. Dies bedeutet, dass weniger Menschen ihren Rentenanspruch verlieren als angenommen.
Das BSV präsentiert drei Szenarien für die IV. Im mittleren Szenario entspricht die Zahl der jährlich neu erteilten Renten dem Durchschnitt der letzten drei Jahre. Die Ausgaben und Einnahmen halten sich demnach in den nächsten zehn Jahren etwa die Waage. Dank Kapitalerträgen kann die IV bis 2033 ihre Schulden beim AHV-Fonds auf rund 9 Milliarden Franken reduzieren.
Jede zweite IV-Rente geht auf psychische Erkrankung zurück
Damit weicht die Sozialversicherung jedoch vom ursprünglichen Abbaupfad deutlich ab. Noch vor gut einem Jahr ging das BSV im mittleren Szenario davon aus, dass die Schulden bis 2033 bis auf 3 Milliarden reduziert werden. Nun stellt das Bundesamt fest, dass es bei diesem Szenario nicht möglich sei, «dass sich die IV mittelfristig aus eigener Kraft entschulden kann».
Noch schlechter sieht es aus, wenn die Zahl der Neurenten so hoch bleibt wie im letzten Jahr. Dann fällt die Versicherung zurück in die Schuldenwirtschaft und braucht bis 2033 ihr Kapital von derzeit 4 Milliarden Franken fast auf. Besser fällt die Rechnung hingegen aus, wenn die Zahl der Neurenten unter dem Durchschnitt der letzten drei Jahre liegt.
Zu den Ursachen der schwierigen finanziellen Situation publizierte das BSV kürzlich eine Studie. Darin wird eine überproportionale Zunahme an psychisch bedingten Neurenten für Versicherte bis zum Alter von 34 Jahren festgestellt. Inzwischen wird rund jede zweite Rente aufgrund einer psychischen Krankheit gewährt. Im Jahr 2000 betrug dieser Anteil noch 35 Prozent.
Rentenzunahme wegen neuen Berechnungsmodells
Ein weiterer Grund für die Rentenzunahme ist ein neues Berechnungsmodell, das 2018 aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingeführt wurde. Dieser hatte festgestellt, dass die Schweizer Rentenpraxis Teilzeiterwerbstätige diskriminiert. Betroffen waren Versicherte, die ihr Erwerbspensum reduzieren, um sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Die neue Berechnungsmethode führte nun zu einer Zunahme an Neurenten und zu Erhöhungen bei bestehenden Renten.
Die Frage, ob die IV ihre Darlehen bei der AHV zurückzahlen soll, muss die Politik beantworten. Noch vor fünf Jahren kursierte im Parlament die Idee, dass die IV Kapital aufnimmt und so die Schulden bei der AHV tilgt. Weil damals Negativzinsen erhoben wurden, hätte die IV mit der Geldaufnahme sogar noch Geld verdient und den Kredit zurückzahlen sollen. Diese Pläne haben sich aber mittlerweile zerschlagen.
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