Italienreise im FrühlingDie Stadt von Hinterschinken, Höllenfeuer und Haute Cuisine
Udine geht noch immer als Geheimtipp durch. Das Herz des Friaul schlägt für den Genuss: Kunst- und Kulinarikfans kommen voll auf ihre Kosten.
Fast wähnt man sich im falschen Film, in einem ganz andern Land. Die Piazza della Libertà in Udine gehört zwar zu den schönsten venezianischen Plätzen Italiens, aber sie wirkt seltsam ausgestorben. Kein Café, kaum Flaneure, allein das Geläut des nahen Doms Santa Maria Annunziata sorgt neben dem Verkehrsgebrumme für etwas Stimmung.
Diese abgehobene Ruhezone passt irgendwie nicht zu Udine. Denn am späten Nachmittag vibrieren die Piazza San Giacomo und die angrenzenden Gassen. Büroleute, Studierende, flotte Rentnerinnen und Touristen haben sich in den Aussenbereichen von Restaurants, Bars und Cafés zum Apéro eingefunden, man versteht ob des munteren Geplauders, das von den historischen Mauern widerhallt, sein eigenes Wort kaum mehr.
In der Chiesa San Giacomo direkt am Hauptplatz wird der Lärm der Innenstadt zu einem beruhigenden Klangteppich. Eine Weihrauchnote hängt in der Luft, eine Kerze flackert vor dem Bild von Papst Johannes Paul II.
Udine, 100’000 Einwohner, Zentrum des Friaul, gehört nicht zu den grossen Sightseeing-Magneten in Italien. Aber Udine hat Charme, eine von Venezianern und Österreichern geprägte (Architektur-)Geschichte, einen Erzbischof, wunderbares Essen, einen Fussballclub in der Serie A und ein paar Highlights, welche die Reise in den Nordosten Italiens lohnen.
Tiepolos Sündenfall
Einer der weltbesten Freskenmaler arbeitete dreimal in Udine. Die beeindruckenden Decken- und Wandgemälde im zweiten Stock des Palazzo Patriarchale krönen das Schaffen von Gian Battista Tiepolo (1696–1770).
Ob das Urteil Salomons, der Sündenfall, das Höllenfeuer oder Jakob, der aufmerksam in die Runde blickt: Der spätbarocke Maler aus Venedig scheint biblische Figuren und Szenen zum Leben zu erwecken. Tiepolo gilt als Grossmeister der hellen Farben und gestaltet den Himmel so schön, dass man gerne ins Blau eintauchen möchte. Der Erzbischof wacht aus dem dritten Stock des Palastes über seine Diözese. Ob er sich nach Torschluss der hauseigenen Galerie jeweils heimlich zu Tiepolos Fresken schleicht und dort himmlische Inspiration sucht?
Schweinische Leckerbissen dank Mikroklima
Lorenzo Bagatto holt einen Schinken vom Haken und streicht zärtlich über das gute Stück. «Wir sind klein, aber fein», sagt der Unternehmer, der mit seinem Bruder Dante eine von 30 Schinkenmanufakturen in San Daniele, 20 Autominuten vor den Toren Udines, führt.
«Wir haben hier auf dem Hügel ein Mikroklima, sind nur 45 Kilometer vom Meer entfernt, der Fuss der Alpen ist auch nicht weit», erklärt Bagatto. «Das sind ideale Verhältnisse zum Trocknen der Schinken bei konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit.» Das Ergebnis: ein vollkommener Geschmack, diskret gesalzen, butterzart. 2,3 Millionen Hinterschinken von italienischen Schweinen, die maximal 18 Monate leben, werden pro Jahr in San Daniele verarbeitet und gehen streng kontrolliert und mit einem Qualitätsstempel versehen in den Handel.
Prosciutto Bagatto stellt 6000 exklusive Schinken her. Seit 2012 ein Laden mit Degustationsraum eröffnet wurde, läuft auch der Direktverkauf an Touristen, die einen Ausflug aufs Land schätzen.
Gourmetfreuden am Stadtrand
Regionale Küche verspricht heute ausser Burger King oder dem Chinesen jeder Gastronom, in geradezu inflationärer Verwendung des Begriffs. Aber Chefkoch Emanuele Scarello im Gourmettempel Agli Amici 1887, einem Mitglied der Relais-&-Châteaux-Familie, widmet sich mit selten gesehener Leidenschaft den regionalen Speisen und Zutaten. Mehl? Bezieht er aus der uralten Mühle im Dorf. Kartoffeln? Praktischerweise gedeihen rund um dieses Dorf, Godia am Stadtrand von Udine, die gesuchten Godia-Kartoffeln. Kräuter? Die sammelt Emanuele mit seinen Köchen in der Umgebung.
Okay, Friaul-Julisch Venetien ist gutes Terrain für einen ambitionierten Küchenmeister: das Meer nicht weit, prima Klima für Ackerbau und Viehzucht. Scarello erhielt für seine Kunst auf dem Teller 2002 den ersten und elf Jahre später den zweiten «Michelin»-Stern. Er führt das vom Ururgrossvater gegründete Restaurant zusammen mit seiner Schwester Michela, die den passenden Wein zu Vorspeisen wie Tartelettes mit Wachtelei oder Gerichten wie Rebhuhnragout, Risotto mit Parmigiano und schwarzen Trüffeln kredenzt. Ein perfekter Ort, aus dem kleinen Städtetrip ein grosses kulinarisches Erlebnis zu machen.
Anreise: mit der Bahn via Milano Centrale und Venedig nach Udine.
Weitere Informationen zu Udine: turismofvg.it
Die Reise wurde unterstützt von den SBB und der Italienischen Zentrale für Tourismus, ENIT.
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