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Inhaftierter Stadtpräsident von Istanbul
«In Ankara ist jemand neidisch auf mich»

Menschenmenge versammelt sich vor dem Silivri-Gefängnis in der Nähe von Istanbul, hält Plakate zur Unterstützung von Bürgermeister Ekrem Imamoglu hoch.
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In Kürze:
  • Der inhaftierte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu bekräftigt seine politische Verfolgung vor Gericht.
  • Die Staatsanwaltschaft fordert sieben Jahre Haft wegen angeblicher Angriffe auf Terrorismusbekämpfer.
  • Rund hundert Demonstrierende wurden aus der Untersuchungshaft in Silivri entlassen.
  • Die Opposition gegen das Regime von Präsident Recep Tayyip plant eine Grosskundgebung in Samsun am Schwarzen Meer.

Ekrem Imamoglu, der abgesetzte und inhaftierte Oberbürgermeister von Istanbul, hat seine Anhörung am Freitag genutzt, um der Öffentlichkeit einige Dinge mitzuteilen. Nicht dass er verstummt wäre, seit die Polizei ihn abgeholt hat, sein Team füllt weiterhin jeden Tag seinen Account auf X. Aber am Freitagmorgen sprach Imamoglu selbst, während vor dem Silivri-Gefängnis bei Istanbul Unterstützer demonstrierten.

Er sei in Haft, sagte er dem Richter laut der Zeitung «Evrensel», «weil ich drei Wahlen gewonnen habe». Damit meint er die beiden Bürgermeister­wahlen von 2019, den ersten Wahlsieg hatte ihm die Wahlbehörde damals aberkannt, und seinen erneuten Sieg im vergangenen Jahr. Präsident Recep Tayyip Erdogan nannte er zwar nicht beim Namen, sagte aber, dass «jemand» denke, «dass er Istanbul besitzt».

Imamoglu zitierte damit Erdogans alten Satz, wonach, wer Istanbul gewinne, auch die Türkei gewinne. «Deswegen bin ich verhaftet worden», sagte er. Weil er, anders gesagt, dem Präsidenten gefährlich wurde. Die oppositionelle CHP wählte Imamoglu im März, da war er schon in Gewahrsam, zu ihrem Präsidentschaftskandidaten.

In Silivri ging es am Freitag noch gar nicht um die Vorwürfe, deretwegen Imamoglu dort in Untersuchungshaft sitzt, also um die angebliche Korruption, derer er sich als Rathauschef schuldig gemacht haben soll – glaubt man der Akte, die türkische Juristen für äusserst dünn halten. Nicht bloss Imamoglus Partei betrachtet das Verfahren als politisch motiviert: Erdogan wolle seinen Gegner aus dem Rennen nehmen. Auch weite Teile der Gesellschaft glauben das.

Schon 2022 erging ein ähnliches Urteil

Als der Oppositionelle jetzt vor dem Richter erschien, ging es einerseits um angeblichen Betrug bei Ausschreibungen aus der Zeit vor 2019, als Imamoglu nur einen Istanbuler Bezirk regierte. Andere Vorwürfe stammen vom Februar dieses Jahres, einer Zeit, als die Justiz nach und nach immer neue Anklagen gegen ihn erhob.

Imamoglu warf einem der Staatsanwälte dann vor, direkt im Auftrag des Präsidialamts zu handeln. Der Oberbürgermeister stand noch auf der Bühne, da erhob die Generalstaatsanwaltschaft schon Anklage gegen ihn. Wegen «gezielter Angriffe auf Personen, die an der Terrorismusbekämpfung beteiligt sind», so heisst es.

Ekrem Imamoglu, der neu gewählte Bürgermeister von Istanbul, winkt vor einem schwarzen Hintergrund und feiert mit Unterstützern der Oppositionspartei CHP. 31. März 2024.

Das Strafmass, das die Ankläger dafür fordern, liegt bei mehr als sieben Jahren Haft und Politikverbot. Ein ähnliches Urteil war gegen Imamoglu schon Ende 2022 ergangen, damals wegen angeblicher Beleidigung der Wahlbehörde. Auch wegen der Gefahr, dass das damalige Urteil rechtskräftig werden könnte, nominierte ihn seine Partei im Frühling 2023 nicht als Präsidentschaftskandidaten. Viele glauben, dass Erdogan nur deswegen noch einmal gewann, weil Imamoglu nicht antrat. Damals reichte noch Erdogans Drohung, um das zu verhindern. Der Opposition war das Risiko zu hoch.

Nun, seit Beginn dieses Jahres, da sich Imamoglu offiziell um die Kandidatur bewarb, mehrten sich die juristischen Verfahren gegen ihn – so lange, bis eines davon zur Festnahme führte. Der Anwalt des Staatsanwalts, den der Oppositionelle angegriffen haben soll, erklärte am Freitag vor Gericht, wie das passiert sein soll. «Mein Mandant ist ein Mitarbeiter der Terrorismusbekämpfung», sagte er. «Ekrem Imamoglu hat ihn mit den Worten ‹Seht her, Generalstaatsanwalt› angegriffen.» Fraglich, ob das ausserhalb der Mauern der türkischen Justiz als Angriff durchgeht.

«Lassen Sie die Studenten frei», forderte Imamoglu

Der Angeklagte hatte sich auf den Gerichtstermin erkennbar vorbereitet. Er habe «noch nie jemanden bedroht», sagte Imamoglu. «Ein Friedensstifter» sei er. «Ich bin nicht einmal neidisch, nur in Ankara ist jemand neidisch auf mich.» Das ist wohl sein Satz, der von dieser Anhörung bleiben soll. Er klagte, dass das staatliche Fernsehen TRT den Termin nicht übertrug, und kritisierte in scharfen Worten die vielen Festnahmen von jungen Demonstranten. «Lassen Sie die Studenten frei», forderte Imamoglu, er sehe in allen seine Kinder. «Es ist eine Schande, eine Sünde.»

Tatsächlich hatte ein anderes Istanbuler Gericht am Donnerstag, also am Abend zuvor, die Freilassung von etwa 100 Menschen erwirkt, die wegen ihrer Teilnahme an den Demos für Imamoglu einsassen. Vor dem Gefängnis von Silivri trafen sie auf ihre dort wartenden Familien. Über 200 Protestierende, die meisten von ihnen Studentinnen und Studenten, bleiben aber weiterhin in Haft.

Im Gerichtssaal passierte am Freitag nicht viel, der nächste Termin ist erst für Juni vorgesehen. Auf den türkischen Strassen dagegen soll es wieder laut werden. Am Wochenende plant die Opposition eine Grosskundgebung in Samsun, einer Stadt am Schwarzen Meer. In Istanbul und anderen Städten demonstrieren auch wieder mehr Studenten, ausserdem geht der Boykott gegen regierungsnahe Unternehmen weiter, den die Opposition angestossen hat.