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Meinung

Gastkommentar zur Justizinitiative
Ist wirklich etwas faul im Rechtsstaat Schweiz?

Wer soll hier Recht sprechen? Das Bundesgericht in Lausanne.
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1964 konstatierte der Staatsrechtler und Politiker Max Imboden ein «helvetisches Malaise» – eine verbreitete Missbilligung des politischen Systems, die sich plötzlich und explosiv zu entladen droht. Herrscht heute ein helvetisches Richter-Malaise – und entlädt es sich mit der Justizinitiative?

Unser System der Richterwahl mit Volks- oder Parlamentswahl, begrenzter Amtszeit sowie Parteibindung und -abgabe wird von Gremien des Europarates gerügt; auch im Inland wächst die Kritik. Mit der Vorselektion durch eine vom Bundesrat bestellte Fachkommission und der Auslosung für eine langjährige Amtsdauer verspricht die Initiative zumindest für das Bundesgericht nun eine Radikalkur.

Eine solche Fachkommission wird aber nicht unpolitisch sein, und das Losverfahren überzeugt nicht. Liegen viele Lose im Topf, kann die Initiative kaum ihr Versprechen einlösen, das Richteramt allein nach Kompetenz zu vergeben: Das Los ist blind gegenüber individuellen fachlichen Stärken. Zudem würde so ein Fremdkörper auf das jetzige Justizsystem aufgepfropft. Bundesverwaltungs- und -strafgericht würden weiterhin von der Bundesversammlung und die kantonalen Gerichte vom Volk oder Parlament gewählt. 32 von 38 amtierenden Mitgliedern des Bundesgerichts waren zuvor an einem dieser Gerichte tätig. Wo sollten denn künftig erfahrene, aber parteipolitisch «unbefleckte» Kandierende herkommen?

Nachhaltige Reformen im schweizerischen Staatswesen erfolgten meist nicht von oben nach unten, sondern in umgekehrter Richtung, nachdem sich eine Lösung in den Kantonen bewährt hatte. Die grosse Mehrheit der Kantone hält am Wahlverfahren fest. In einigen Kantonen spielen zwar Justizräte eine vorbereitende Rolle. Doch verbleibt die Wahlkompetenz beim Parlament und garantiert so die Verbindung zwischen demokratischer Repräsentation und Justiz. Diese Verbindung ist wichtiger denn je: Die zentralen Fragen unserer Zeit – Stichwort Klimaschutz – werden immer häufiger auch vor Gericht verhandelt.

Die gelebte Praxis der Bundesgerichtswahl hat sich bewährt.

Die Richterwahl darf nicht für parteipolitisches Geplänkel missbraucht werden. Aber die politischen Aspekte der Richtertätigkeit verschwinden nicht, nur weil man eine Urne mit Losen davorstellt. Deshalb kann die Justizinitiative das postulierte helvetische Richter-Malaise nicht beheben. Aber besteht dazu Bedarf? Gerade internationale Expertengremien, oft mehrheitlich mit Richterinnen und Richtern besetzt, sehen die richterliche Unabhängigkeit gefährdet. Diese Unabhängigkeit ist zentral für Gewaltenteilung und Rechtsstaat. Aber sie setzt beispielsweise nicht voraus, dass aus Richterinnen und Richtern bestehende Justizräte die Gerichte besetzen. Diese Gremien zeigen auch wenig Verständnis für nationale Eigenheiten, etwa für den Konnex zwischen Parteiabgabe und nicht staatlicher Parteienfinanzierung.

Bereits Max Imboden mahnte, externe Kritik zu beherzigen. Sollten wir, fragte er, nicht mehr aus dem Spiegel lernen, den andere uns mit Wohlwollen hinhalten? In der Tat haben wir allen Grund, unsere Ordnung und unsere Institutionen kritisch zu überprüfen. Aber man darf weder übersehen, wer den Spiegel hält, noch die positiven Aspekte des Spiegelbildes ignorieren. Die gelebte Praxis der Bundesgerichtswahl hat sich bewährt.

* Der Autor ist Assistenzprofessor für Völkerrecht und öffentliches Recht an der Universität Zürich.