Papablog: Kulturtipp für FamilienVon schwulen Schafböcken und alleinerziehenden Tiervätern
Eine neue Queer-Ausstellung in Bern steckt voller Augenöffner. Warum sich ein Besuch insbesondere für Eltern und Kinder lohnt.
Nemo ist ein männlicher Clownfisch, einverstanden? Nun, vielleicht nicht mehr. Alle Clownfische werden als Männchen geboren. Sie leben in Haremsgruppen mit jeweils einem Weibchen. Stirbt es, vollzieht das grösste Männchen der Gruppe einen Geschlechtswechsel und wird zum Weibchen. Beim Fahnenbarsch ist es umgekehrt.
Geht es um LGBTQIA-Themen, kommen immer wieder Menschen hinter ihren Öfen hervor, die mit der Natur argumentieren: «Homosexualität ist unnatürlich!», «Es gibt in der Natur nur zwei Geschlechter!», «In der Evolution dient alles nur der Fortpflanzung!»
Queere Tiere überall
Was ist denn diese Natur? Homosexualität kommt beim Menschen offensichtlich vor. Und genauso in der Tierwelt: Bei 1'500 Tierarten wurde bislang Bi- und Homosexualität beobachtet. Nicht als Einzelfall. Bi- und Homosexualität ist insbesondere bei sozialen Tierarten Teil der Norm. Rund 20 Prozent der Schafböcke vergnügen sich gleichgeschlechtlich und knapp 10 Prozent stehen ausschliesslich auf Böcke. Das gilt auch fürs Walliser Schwarznasenschaf. Es gibt ausserdem monogam lebende lesbische Albatrosse, die Kinder grossziehen; und einige Tierarten, bei denen alleinerziehende Väter üblich sind. Alle bei uns heimischen Schnecken sind zweigeschlechtlich und dann existieren da draussen auch noch Lebewesen mit dreizehn, 720 oder mehreren Tausend Geschlechtern.
All das und vieles mehr zeigt die Sonderausstellung «Queer – Vielfalt ist unsere Natur» im Naturhistorischen Museum Bern. Sie nähert sich queeren Themen, also der Vielfalt in Sachen Geschlecht und Sexualpreferenz von naturwissenschaftlicher Seite und räumt dabei gründlich mit dem Begriff «natürlich» auf. Was ist natürlich? Genderfluide Tiere? Homosexuelle Schafe? Transmenschen? Eine Wildblumenwiese im ursprünglich komplett bewaldeten Schweizer Mittelland?
Homophobie und Mobbing
Während der tierische Teil der Ausstellung interessante Fakten und Zahlen bietet, geht es im grösseren Teil um Menschen. Das Naturhistorische Museum zeigt, dass das oft bemühte «biologische Geschlecht» des Menschen weit komplexer und längst nicht so binär ist, wie wir früher in der Schule gelernt haben. In «Queer» kommen nebst Biologen selbstverständlich auch Menschen zu Wort, die geschlechtliche Vielfalt selbst erleben. Zum Beispiel die Eltern, die erfuhren, dass ihre kleine Tochter trans ist oder der intergeschlechtliche Bauernsohn, der von seiner Kindheit und Jugend erzählt.
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«Queer» ist eine von Kurator Simon Jäggi grossartig aufbereitete und äusserst lehrreiche Ausstellung. Ich empfehle sie insbesondere Eltern und Jugendlichen, weil ich finde, dass das Wissen um geschlechtliche Vielfalt für die Entwicklung von Kindern wichtig ist. Konzipiert ist die Ausstellung für Gäste ab 12 Jahren. Jüngere Kinder dürfen sie selbstverständlich auch besuchen, idealerweise in Begleitung von Erwachsenen, die alles erklären und eine Räuberleiter machen, wo die Exponate zu hoch hängen.
Was es gemäss Prof. Dr. Christian Kropf, Biologe und Kurator am Naturhistorischen Museum, in der Tierwelt übrigens nicht gibt: Homophobie und Mobbing gegenüber queeren Tieren. Mir kam auch noch kein Tier unter, das im Internet einen halbgaren Kommentar über «Gendergaga» und «die Agenda der Homolobby» absonderte. Auch wäre mir nicht bekannt, dass Albatrosse jemals das Referendum gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften und deren Adoptionsrecht ergriffen haben.
«Queer – Vielfalt ist unsere Natur» kann seit dem 9. April 2021 besucht werden und läuft für ein Jahr. Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie hier. Auch das Stapferhaus in Lenzburg setzt sich aktuell mit dem Thema Geschlecht auseinander. Die Ausstellung «Geschlecht – jetzt entdecken» läuft noch bis 31. Oktober 2021.
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