Rivian und Lucid mischen den Markt aufIst der E-Auto-Boom eine einzige grosse Blase?
An der Börse erreichen Tesla & Co. gigantisches Gewicht. Warner erinnern an den Kollaps der Internet-Börse 2000 und an Rückschläge von E-Auto-Firmen.
Endlose Subventionen und billiges Geld: Anders ist nicht zu erklären, dass zwei US-Hersteller von Elektrofahrzeugen so bewertet sind, als ob sie Umsätze und Gewinne in Milliardenhöhe machten. Aber Lucid und Rivian sind meilenweit von der Gewinnschwelle entfernt, und die Konkurrenz durch etablierte Hersteller wird nur härter. Warnendes Beispiel ist nicht nur der Kollaps der Internet-Börse 2000, sondern sind auch die Rückschläge anderer E-Auto-Firmen.
Den meisten europäischen Konsumenten müssen die Boom-Firmen allerdings erst einmal näher erklärt werden. Da ist zum einen Lucid Motors, gegründet 2007, aus Newark, Kalifornien – das liegt vom Silicon Valley aus gesehen auf der anderen Seite der San Francisco Bay.
Ende Oktober hat die Firma ihre ersten Wagen ausgeliefert – und damit den Tesla Model S als reichweitenstärkstes E-Auto der Welt überholt: Der Lucid Air schafft es mit einer Akkuladung deutlich über 800 Kilometer weit. Von der Schweiz aus kann man das Auto noch nicht kaufen, aber – je nach Ausstattung – für einen Preis ab 300 Franken immerhin vorreservieren. Der Lucid Air kostet in seiner Basisausstattung 77’000 Dollar.
«Der Bullenmarkt in den anderen elektrischen Herstellern neben Tesla ist wenig fundiert. Obwohl es wunderbar aussieht, rate ich, sich davon fernzuhalten.»
Rivian Motors ist ebenfalls in Kalifornien beheimatet, allerdings weiter südlich in Irvine im Speckgürtel von Los Angeles. Anders als Lucid baut Rivian keine eleganten Limousinen, sondern vollelektrische Pick-up-Trucks und SUV. Bisher hat die Firma nur ein paar Dutzend davon ausgeliefert, bis Ende Jahr sollen es 1000 sein. In den Büchern stehen aktuell deutlich über 50’000 Vorbestellungen. Die Rivian-Gefährte gibts für rund 70’000 Dollar zu kaufen.
Die beiden Firmen haben nicht nur gemeinsam, dass sie gerade ihre ersten Modelle ausliefern, sondern auch, dass sie gerade spektakuläre Auftritte an der Börse abliefern. Vorletzte Woche ging Rivian an die Börse, und Mitte letzter Woche überholte das Unternehmen kurzfristig sogar den deutschen Volkswagen-Konzern als drittwertvollsten Autobauer der Welt. Mittlerweile hat die Aktie wieder nachgegeben; am Freitagmittag rangierte Rivian mit einem Börsenwert von 109 Milliarden Dollar auf Rang fünf.
Lucid wird seit Juli an der New Yorker Techbörse Nasdaq gehandelt und hat seinen Börsenwert seither auf knapp 80 Milliarden Dollar verdoppelt. Die grossen Profiteure sitzen in Riad: Der saudiarabische Staatsfonds besitzt knapp zwei Drittel der Aktien.
Die Frage ist allerdings, wie nachhaltig die Freude ist. Der Bullenmarkt – also eine Marktstimmung generell steigender Kurse – sei im Falle von Tesla real und spektakulär», sagte Jim Cramer, seit 20 Jahren als Börsenguru auf CNBC tätig, im August 2020. «Der Bullenmarkt in den anderen elektrischen Herstellern dagegen ist wenig fundiert. Obwohl es wunderbar aussieht, rate ich, sich davon fernzuhalten.»
Er hatte teilweise recht. Tesla hat seither den Marktwert um das Dreifache gesteigert, und andere Börsenstars von damals wurden abgehängt. So sind der Truckhersteller Nikola und der kleine US-Produzent Lordstown nur noch ein Fünftel so viel wert wie im Sommer 2020. Der «chinesische Tesla» Nio hat seit Januar 40 Prozent eingebüsst. Behält Cramer auch weiterhin recht, blüht Lucid und Rivian das Gleiche.
Kommt es zum Déjà-vu?
Die Goldgräberstimmung erinnert an den Kollaps der Internet-Blase im Jahr 2000, als Hunderte von Techfirmen an die Börse drängten und blind gekauft wurden. Die meisten verschwanden spurlos; nur eine Handvoll – darunter Amazon, Ebay und Priceline – überlebten den Crash.
Aus dem Boom von heute dürfte nach Meinung zahlreicher Marktexperten nur Tesla als sichere Gewinnerin hervorgehen, da Elon Musk mit einer exklusiven Batterie- und Antriebstechnik einen Startvorteil von über zehn Jahren erzielt hat. Es brauchte allerdings 18 Jahre und mehrere schwere Krisen, bevor der Durchbruch geschafft war. Wenn Tesla heute mehr wert ist als viele etablierte Autokonzerne zusammen, so spiegelt das den Mehrwert eines Pionierunternehmens, das vergleichbar ist mit den Ambitionen und dem Erfolg von Amazon.
Mangel an Alternativen
Für die himmelhohe Bewertung von Rivian und Lucid gibt es andere Gründe. Erstens surfen beide Unternehmen auf der hohen Welle von Staatssubventionen. Die Regierung Biden offeriert einen Steuerrabatt von 30 Prozent für Unternehmen, wenn sie E-Fahrzeuge bestellen. So hat Amazon bereits 100’000 Rivian-Lastwagen bestellt, weitere dürften mit den steigenden Hauslieferungen folgen.
Wie begehrt Rivian ist, machte Ford vor. Das über 100 Jahre alte Unternehmen kaufte 12 Prozent an Rivian und stach General Motors aus, die ebenfalls interessiert war. Der Börsengang im Juli brachte einen Buchgewinn von über zehn Milliarden Dollar; und der Börsenwert von Ford legte um über 100 Prozent zu. Der Elektroboom ist also nicht mehr nur auf die spezialisierten Hersteller beschränkt; die Autobranche als Ganzes beginnt zu profitieren.
Rückenwind haben die E-Hersteller zweitens noch vom Mangel an Alternativen. Der Elektromarkt ist trotz Prognosen, wonach in 15 Jahren mehr als 30 Prozent der Fahrzeugflotte elektrifiziert sein dürften, noch dünn. Neben Tesla würden sich nur Rivian und Lucid anbieten, sagt Shaniel Ramjee, Vermögensverwalter von Pictet. Die Investoren seien risikofreudig, weil die Realzinsen negativ seien. Aus dem gleichen Grund klettern auch die Kryptowährungen.
Probleme weit verbreitet
Beide Märkte sind aber reif für Schwindler. So ermittelt die US-Justiz seit kurzem gegen die Workhorse Group, Herstellerin von Elektrolieferwagen. Sie wird verdächtigt, den Börsenkurs manipuliert zu haben. Die Aktie hat inzwischen 80 Prozent nachgegeben. Auch der Firma Lordstown droht der Stillstand, nachdem sie im Sommer vor «ernsthaften Zweifeln an der Weiterführung des Betriebs» gewarnt hat.
Wann und ob Lucid und Rivian Gewinn machen, ist völlig offen. Beide Firmen wiesen Ende September Verluste von je 1,3 Milliarden Dollar aus und können sich rühmen, die höchstbewerteten Verlustunternehmen der Geschichte zu sein. Allerdings machte Tesla in seinen ersten 12 Produktionsjahren ebenfalls keinen Cent Gewinn; und Amazon brauchte gar 14 Jahre, bevor ein Nettogewinn resultierte.
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