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Ausnahmezustand in Italien
Ist das wirklich noch nötig?

«Das überrascht sicher niemanden», sagte Giuseppe Conte, als er die Ausdehnung des Notstands verkündete. Da täuschte er sich aber.
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Sondervollmachten sind immer umstritten, gerade in Demokratien, und so soll es ja auch sein. Selbst in Zeiten einer Pandemie. Dennoch: Als Italiens Premier Giuseppe Conte sagte, es sei schon vernünftig, dass die Regierung drauf und dran sei, den Ausnahmezustand wegen Corona bis zum Ende des laufenden Jahres zu verlängern, dachte er wohl nicht, dass dieser Satz eine grössere Debatte auslösen würde. Er schickte sogar noch nach: «Das überrascht sicher niemanden.»

Doch da hat sich Conte getäuscht, zumindest die Politik reagierte irritiert. Nun soll der Entscheid auch vom Parlament diskutiert und genehmigt werden, obschon das Gesetz die Verhängung des Ausnahmezustands eigentlich ganz dem Ministerrat vorbehält. Das Plazet der Kammern soll für mehr Legitimität sorgen. Oppositionschef Matteo Salvini von der rechten Lega sagte, die Italiener hätten «Vertrauen und Respekt» verdient. Was er damit genau meinte, war nicht klar.

Schnell und schlank und unbürokratisch

Niemand denkt ernsthaft, Conte strebe nach autokratischen Sonderbefugnissen. Doch in einer parlamentarischen Republik, wie die italienische eine ist, sind Ausnahmeregelungen, die die Exekutive über die Massen stärken, immer ein besonderes Politikum. Conte regiert die Krise seit einem halben Jahr mit sogenannten DPCM. Das Akronym steht für Decreto del Presidente del Consiglio dei Ministri, also Dekret des Präsidenten des Ministerrats. Die sind nur im Notstand zugelassen und brauchen keine Zustimmung des Parlaments, sie treten also sofort in Kraft. Die Einrichtung von Sperrzonen, sogenannten Zone rosse rund um Infektionsherde, Landeverbote für Flugzeuge aus einzelnen Ländern, die Schliessung der Schulen, die Anschaffung von Gütern und Geräten ohne öffentliche Ausschreibungen – solche Prozesse gehen im Ausnahmezustand schlank und schnell.

Alle Massnahmen, die am Ende zum fast totalen Lockdown und dem Shutdown der Wirtschaft führten, hatten ihren Ursprung in einem DPCM. Die Italiener sind sich grossmehrheitlich einig, dass ihr Premier das Instrument in der akuten Phase 1 zu Recht und mit nachvollziehbarer Konsequenz eingesetzt hat. Nun fragt sich aber, ob der schnelle Weg – am Parlament vorbei – noch immer notwendig ist, jetzt, da das Land die erste Welle der Pandemie ganz gut unter Kontrolle gebracht hat.

Der Trend ist okay – aber wie lange bleibt das so?

Es kommen in Italien zwar noch immer täglich zwischen 100 und 200 Neuinfektionen dazu, vor allem im Norden des Lands. Da und dort bilden sich auch lokale Ansteckungsherde. Doch die Behörden reagieren prompt, kreisen die Seuchenherde ein. Auch die Zahl der Todesfälle ist zuletzt stark gesunken, am Samstag zum Beispiel meldete der Zivilschutz sieben weitere Covid-19-Opfer.

Ist also die Ausdehnung des Ausnahmezustands um weitere sechs Monate übertrieben? Es stehen sich zwei Denkschulen gegenüber. Die erste argumentiert, dass die Notlage fürs Erste überwunden sei. Sie hört auf Virologen und Ärzte, die sagen, das Virus habe an Intensität verloren, man sehe das am Zustand der Patienten, die eingeliefert würden: Solche mit schweren Symptomen seien viel seltener geworden. Die Intensivstationen vieler Spitäler sind unterdessen leer, auch die im Ospedale Papa Giovanni XXIII. in Bergamo.

Noch zirkuliert das Virus

Wer dieser ersten Denkschule anhängt, hält sich vielleicht auch nicht mehr so streng an die Sicherheitsvorschriften. Die italienischen Medien zeigen Bilder von einzelnen überfüllten Stränden, von heimlich organisierten Grosspartys und Konzerten. Auch die Disziplin beim Maskentragen, die bislang immer gross war, nimmt etwas ab – zumindest draussen. Das mag auch an der anhaltenden Hitze liegen, unter der weite Teile des Lands leiden.

Der Strand in Jesolo, in der Nähe Venedigs, ist bereits wieder gut besucht.

Die zweite Denkschule pocht auf Vorsicht, das Virus zirkuliere nach wie vor. Auch sie lässt sich von Virologen und Epidemiologen leiten und steht eher auf der Seite der Regierung. Nichts garantiere, dass auf die erste im Herbst nicht eine zweite Welle folge. Ausserdem sei die Gefahr gross, dass das Virus durch die Hintertür wieder nach Italien komme – aus dem Ausland, über Touristen. Oder über ausländische Bewohner, die das Land während der akuten Phase verlassen haben und nun wieder zurückkommen.

Das Exempel der Bangladesher

Die Rückkehr von Hunderten Bangladeshern mit Charterflügen aus ihrer Heimat etwa löste in Rom eine mittlere Aufregung aus: In einer Maschine allein sassen 36 infizierte Passagiere. Bald wurden in der Gemeinde der Bangladesher 77 Positive gezählt, sie leben meistens eng an eng in kleinen Wohnungen. Und da sie hauptsächlich als Köche und Kellner in italienischen Restaurants arbeiten oder kleine Lebensmittelläden betreiben, war die Sorge gross, dass sich der Herd schnell auswächst. Die Regierung reagierte schnell, testete viel und untersagte alle Flüge aus Bangladesh. Von einem Tag auf den anderen, per Notstandsdekret.