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Bohren ohne Beben
Was das Erdbeben im Jura für das Geothermie-Projekt bedeutet

ETH-Forschende haben das neue Verfahren für ein Wärmereservoir, wie es im Jura zur Anwendung kommt, im Felslabor des Bedrettostollens im kleinen Massstab erfolgreich getestet. 
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«Wir sind auf Kurs», sagt Peter Meier, Chef von Geo-Energie Suisse. Die Gesellschaft mehrerer Schweizer Energieversorgungsunternehmen plant im nächsten Jahr die Sondierbohrung für ein Geothermiekraftwerk auf dem Boden der jurassischen Gemeinde Haute-Sorne. Jahrelang hat sie dafür gekämpft.

Doch dann ereignete sich am 22. März im äussersten westlichen Zipfel der Schweiz, in der Ajoie, 12 Kilometer von Pruntrut entfernt, ein Erdbeben mit der Stärke 4,3. Der Herd lag in sechs Kilometer Tiefe. Es sei ihnen bewusst, dass solche Ereignisse für die Stimmung in der Bevölkerung nicht förderlich seien, sagt Meier. Der Geschäftsführer gibt jedoch vorerst Entwarnung. Der Herd des Erdbebens sei zwar im Kanton Jura, aber 25 Kilometer weit weg vom geplanten Bohrort, genügend weit, dass Haute-Sorne nicht betroffen war.

Bereits im Dezember 2021 bebte in dieser Region die Erde leicht. Die Erschütterung im März sei grundsätzlich keine Überraschung, solche und grössere Beben könnten in der Schweiz überall auftreten, sagt Stefan Wiemer, Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED). «Allerdings sind Erdbeben dieser Grösse in der Region selten», ergänzt der Experte. Ein Beben mit der Magnitude 4,3 ereignet sich statistisch nur einmal in hundert Jahren, wie historische Daten zeigen. Das Beben wurde auch in der Deutschschweiz wahrgenommen, Schäden wurden jedoch keine gemeldet.

Auch der Erdbebendienst, der das Geothermieprojekt in Haute-Sorne wissenschaftlich begleitet, sieht keine Bedenken. «Beben dieser Grösse und grössere sind in der Risikoabschätzung des Projektes bereits berücksichtigt», sagt SED-Chef Wiemer. Dennoch: «Ich hätte eigentlich Fragen aus der Bevölkerung erwartet, bisher sind aber keine gestellt worden», sagt Peter Meier.

Achterbahn der Bewilligungen

Dennoch nimmt der Betreiber die Ereignisse sehr ernst. Aus guten Gründen: Die jurassische Regierung hatte im Juni 2015 einen Sondernutzungsplan bewilligt, und die Umweltverbände hatten keine Beschwerden eingereicht. Auch ein Rekurs von privater Seite wurde durch das Bundesgericht abgelehnt. Zudem erhielt das Vorhaben auch vonseiten der Wissenschaft gute Noten – selbst nach einem Vorfall in Südkorea, wo nach einer Bohrung für ein Geothermiekraftwerk die Erde bebte. Der Schweizerische Erdbebendienst entkräftete in einer Sonderstudie die Bedenken der Regierung für das Projekt in Haute-Sorne. Und trotzdem wollte die jurassische Regierung 2020 die Bewilligung für das Projekt zurückziehen. Die Chancen, die Tiefengeothermie in der Schweiz als Stromproduzent zu etablieren, waren damit praktisch auf null gesunken.

Experiment im Tessin: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im mehr als zwei Kilometer langen Bedrettostollen.

Doch dann kam die Kehrtwende im Januar des letzten Jahres. Die jurassische Regierung hatte sich durchgerungen, das Projekt zu unterstützen – mit weiteren Sicherheitsauflagen. Eine Informations- und Begleitkommission soll zudem die Bevölkerung transparent informieren. «Das wird in den nächsten Monaten eine der grösseren Herausforderungen sein», sagt Peter Meier. Die Grundstimmung gegenüber dem Projekt sei nach wie vor kritisch.

Deshalb will der Betreiber die seismischen Messungen ausweiten. «Für uns ist wichtig, zu wissen, dass wir nicht in einer grösseren tektonischen Störung Wasser einpressen», sagt Meier. Diese Stimulationen braucht es, um das Gestein für den Wärmefluss durchlässig zu machen. Daten aus den 1970er-Jahren zeigen zwar, dass mit einer solch grossen Störung im Untergrund kaum zu rechnen ist. Bedeutsam ist der sogenannte Permokarbon-Trog, eine mehrere Kilometer breite und etwa 60 Kilometer lange Sedimentschicht im Mittelland (Solothurn, Aargau, Schaffhausen und Zürich), die entlang eines Bruches entstand. «Das Erdbeben südwestlich von Pruntrut steht möglicherweise damit in Verbindung», sagt SED-Chef Stefan Wiemer. Die genaue Ausdehnung im Jura sei nicht hinreichend bekannt. Das ist der Grund, warum Geo-Energie Suisse auf Empfehlung des SED in den kommenden Monaten seismische Messungen machen wird. Die neuen Informationen aus dem Untergrund sollen für die Risikoabschätzung Aufschlüsse zur Geometrie der Permokarbon-Tröge in der Region liefern. 

Das abgebrochene Geothermieprojekt in Basel ist noch nicht vergessen. Deshalb setzt Geo-Energie Schweiz im Jura auch ein neues Verfahren ein. Anders als in Basel wird dabei nicht in einem Arbeitsgang ein einziges Wärmereservoir mit Wasserinjektionen stimuliert. Das neue Verfahren erzeugt in etwa 6 Kilometer Tiefe schrittweise bis zu 30 kleinere Wärmereservoirs. So kann der Untergrund mit viel weniger starken Wasserinjektionen behandelt und damit das Risiko eines Bebens minimiert werden. 

Das Multietappenverfahren von Geo-Energie Suisse wurde inzwischen im Felslabor der ETH Zürich, in einem Versuchsstollen im Bedrettotal, im kleinen Massstab erfolgreich getestet. Die Methode wurde zudem in den USA, in Utah, angewandt. Dort werden Ingenieure der US-Universität demnächst bereits eine zweite Bohrung durchführen. Im Herbst sollen weitere Stimulierungen folgen. «Da können wir einiges für unser Projekt noch lernen», sagt Peter Meier.

«Das Interesse in der Stromindustrie ist nun wieder grösser.»

Peter Meier

Das Pilotprojekt im Jura ist das einzige Leuchtturmprojekt für die Tiefengeothermie in der Schweiz. Der Bund rechnet in seiner Energiestrategie 2050 mit einer Stromerzeugung in der Schweiz von rund 2 Terawattstunden durch diese Form der Energiegewinnung. Das entspricht zwei Dritteln des AKW Mühleberg, das 2019 vom Netz ging. Haute-Sorne wäre erst ein Anfang. Das geplante Kraftwerk könnte dereinst Strom für rund 6000 Haushalte produzieren. «Das Interesse in der Stromindustrie ist nun wieder grösser», sagt Meier. Die langjährige Unsicherheit im Jura hat dazu geführt, dass Geo-Energie Schweiz andere geplante Projekte vorerst blockiert hat. 

Geo-Energie Suisse ist inzwischen gut aufgestellt. Investoren haben, so Meier, das Projekt kapitalisiert. Zu ihnen gehören neben der Geo-Energie Suisse die Energieversorger «Energie Wasser Bern» und die Genossenschaft Elektra Baselland. Die Stadt Zürich zahlt 9 Millionen an das Projekt. Der Bund unterstützt es mit einem Erkundungsbeitrag von 90 Millionen Franken. Auch die Verträge mit Bohrunternehmen seien bereits abgeschlossen.   Dennoch: Trotz besserer Ausgangslage denkt Peter Meier Schritt für Schritt. Der nächste Meilenstein ist die Sondierbohrung im Frühling 2024. Die zweite Bohrung ist für 2026 und die Stromproduktion für 2029 geplant. Im nächsten Herbst wird der Betreiber den Bohrplatz bauen. «In den nächsten Monaten wird sich zeigen, wie die Bevölkerung zum Projekt steht», so der Chef von Geo-Energie Suisse. 

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