Israels Krieg gegen die HamasWarum die Bodenoffensive sich verzögert
Noch hat der Einmarsch israelischer Bodentruppen in den Gazastreifen nicht begonnen. Das liegt am Einfluss der USA – und laut Berichten an einer Vertrauenskrise zwischen Armee und Regierung.
Seit Tagen erwartet Israel den Start der Bodenoffensive im Gazastreifen. Doch bisher begnügt sich das Militär hauptsächlich mit Luft- und Artillerieangriffen – und das, obschon die Truppen laut der Führung bereit sind für den Einmarsch. Wie die «Times of Israel» berichtet, fürchten die Militärs nun, dass die israelische Regierung den Start der Operation weiter hinauszögert.
Einer der Gründe: Ein Bodeneinsatz würde die Überlebenschancen der mehr als 200 Geiseln schmälern. Nachdem die Hamas letzte Woche zwei US-Geiseln, eine Mutter und ihre Tochter, freigelassen hatte, konnten am Montag zwei Israelinnen im Alter von 79 und 85 Jahren den Gazastreifen verlassen. Offenbar machen besonders die USA ihren Einfluss geltend und fordern von der Netanyahu-Regierung mehr Zurückhaltung, um weitere Geiseln freizubekommen.
Die Hamas hat das erkannt. Als Vermittler zur Miliz fungieren die Katarer, mit denen die USA in engem Austausch stehen. Den Amerikanern geht es laut Berichten aber auch darum, sich besser auf potenzielle Attacken auf US-Ziele in der Region vorzubereiten.
Offiziell wollen die USA ihre Einflussnahme nicht bestätigen. Natürlich spreche man mit den Israelis über die Auswirkungen von Entscheidungen auf dem Schlachtfeld, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag auf eine Frage zu entsprechenden Berichten. Dabei gehe es auch darum, was alles schiefgehen könne. Letztlich gelte aber, dass das israelische Militär und die politische Führung des Landes die Entscheidungen träfen.
Konträr zu dieser Aussage stellt US-Präsident Joe Biden inzwischen auch öffentlich Forderungen. Auf X verlangte er, dass sich Israel an das Kriegsrecht hält und die Zivilisten im Gazastreifen humanitäre Hilfe erhalten.
Das Problem mit dem Präventivschlag
Unter grossem Druck steht der israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu. Ein Krieg mit Bodentruppen bringt viele Unabwägbarkeiten, und der angeschlagene Netanyahu bräuchte wohl einen klaren Sieg, um sein politisches Überleben zu sichern. Obschon das Gros der Israelis eine Bodenoffensive entschlossen befürwortet, sind die Zustimmungswerte der Regierung nach der überraschenden Hamas-Attacke tief. Es habe noch nie einen Krieg gegeben, in dem die Israelis so wenig, ja null Vertrauen in ihre Regierung hätten, sagte Gil Murciano von der israelischen Denkfabrik Mitvim der FAZ.
Israelische Zeitungen sprechen zudem von einer sich «verschärfenden Vertrauenskrise» zwischen Militär und Regierung. Verteidigungsminister Yoav Gallant befürwortet offenbar eine grösser angelegte Militäroperation, die einen Präventivschlag gegen die Hizbollah im Libanon einschliesst. Netanyahu soll sich dagegen ausgesprochen haben. Die vom Iran unterstützte schiitische Miliz verfügt über ein Waffenarsenal, das dem der Hamas deutlich überlegen ist. Die USA haben wiederholt angetönt, dass eine Ausweitung des Gazakriegs fatale Folgen haben könnte, auch über die Region hinaus. Sie haben darum Berichten zufolge Druck auf Israel ausgeübt und gleichzeitig den Iran und die Hizbollah vor einem Eingreifen gewarnt.
Netanyahu trifft den Armeekritiker
Unklar ist zudem, wie gut die israelische Armee für die Bodenoffensive gegen die Hamas gerüstet ist. Letztmals drang sie 2014 punktuell in den Gazastreifen ein – und erlitt dabei erhebliche Verluste. Seither hat sich das Militär stark mit dem Szenario befasst. Auf der Armeebasis Tzeelim hat sie in einer eigens nachgebildeten Stadt mit rund 600 Gebäuden den Häuserkampf immer wieder geprobt. Dennoch bleibt das Unterfangen hochriskant. Der Gazastreifen ist eines der dichtbesiedeltsten Gebiete der Welt, und das Tunnelsystem der ortskundigen Hamas soll mehrere Hundert Kilometer umfassen.
Die angekündigte Zerschlagung der Hamas würde zudem bedeuten, weite Teile des Gazastreifens zu besetzen und für längere Zeit zu halten. Politanalysten kritisieren, dass bislang völlig unklar sei, welchen Plan Israel für die Zeit nach der Invasion habe.
Viel zu reden gaben in Israel zuletzt zwei Treffen von Netanyahu mit dem pensionierten General Itzhak Brik. Dieser gilt seit Jahren als einer der härtesten Kritiker der israelischen Armee. Vor Monaten hatte er in einem Radiointerview gesagt, das Militär sei nicht bereit für einen Krieg. Zudem sah er den überraschenden Angriff der Hamas voraus. Seither gilt er unter seinen Anhängern als Prophet. Vor allem aber ist Brik Gegner einer israelischen Invasion in Gaza zum jetzigen Zeitpunkt. Auch einen Präventivschlag gegen die Hizbollah lehnt er entschieden ab. «Ein Krieg in der ganzen Region wäre damit garantiert.»
nlu
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