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360'000 Reservisten eingezogen
Und plötzlich stehen Israels Start-ups mitten im Krieg

epa10909659 Israeli reservists stand on an armored personnel carrier (APC) at a military camp near Beer Sheva, Israel, 09 October 2023. Israeli chief military spokesperson Rear-Admiral Daniel Hagari said on 09 October that the country had drafted a record of 300,000 reservists. More than 700 Israelis were killed and over 2,000 were injured since the Islamist movement Hamas carried out an unprecedented attack on southern Israel on 07 October, the Israeli army said. According to Palestinian officials, more than 500 people were killed and nearly 3,000 were injured as a result of Israel’s retaliatory raids and air strikes in the Palestinian enclave.  EPA/ABIR SULTAN

«Der Krieg bringt uns in eine schwierige Situation», sagt Kobi Avidan. Der Unternehmer aus Tel Aviv sucht aktuell für sein Start-up Novella nach Finanzierung. Das Unternehmen entwickelt künstliche Pflanzenfasern, jetzt will Avidan damit den Markteintritt schaffen.

Doch er befürchtet, dass dies nach dem Angriff der Terrormiliz Hamas schwieriger wird. «Kaum jemand aus dem Ausland will in ein Unternehmen aus einem Land investieren, das sich im Krieg befindet», sagt Avidan. Eine ausreichende Finanzierung sei für ihn jedoch entscheidend. Interessierten Anlegerinnen und Anlegern muss er sein Produkt zeigen können: «Eine Präsentation im Ausland mussten wir bereits absagen. Der Flug wurde aus Sicherheitsgründen eingestellt», sagt er.

Der Krieg betrifft sämtliche Teile der israelischen Wirtschaft und Gesellschaft. Auch die Start-ups. Diese Jungunternehmen haben in Israel einen hohen Stellenwert. In keinem anderen Land der Welt werden so viele Unternehmen gegründet, vor allem im Technologiebereich. Ihre Zahl wird auf rund 7000 geschätzt.

Entsprechend viele Personen finden hier Arbeit. Laut der staatlichen Israel Innovation Authority sind rund 500'000 Personen in dem Sektor beschäftigt. Landesweit sind das rund 14 Prozent aller Beschäftigten. Ihr Anteil an der Wertschöpfung des Landes liegt bei 18 Prozent, damit ist die Tech-Branche der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes.

Praktisch alle kennen hier jemanden, der mit der Armee verbunden ist – sei es als aktiver Angehöriger der Streitkräfte oder als Reservist. Normalerweise nehmen die Reservisten ein- bis zweimal pro Jahr an Übungen teil. Nun hat die Armee 360'000 von ihnen nach dem Angriff der Hamas einberufen. Das entspricht knapp 3,6 Prozent der 9,8 Millionen Einwohner Israels. Es ist die grösste Mobilisierung in der Geschichte des Landes.

Auch bei Novella seien zwei der acht Mitarbeitenden derzeit an der Front, sagt Avidan. So wie ihm geht es vielen Start-ups. Plötzlich fehlen ihnen nun die Angestellten. Die meisten Unternehmen könnten damit allerdings gut umgehen, schätzt er.

Viele Tech-Firmen haben ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits seit langem auf den Notfall vorbereitet. «Unsere Angestellten sind dafür ausgebildet, dass sie nicht nur ihre eigenen Jobs machen können, sondern auch die ihrer Kolleginnen und Kollegen», sagt Reuven Aronashvili, Geschäftsführer der auf Cybersicherheit spezialisierten Firma Cye Security.

«Am schwierigsten wird es für kleine Start-ups, die nur eine Handvoll Mitarbeiter haben.»

Gilli Cegla, Investor

Sechzig seiner Mitarbeiter sind derzeit im Militär, etwa ein Fünftel des Personals von Cye Security. Seit der Mobilisierung hätten sie die Arbeit in verschiedene Schichten aufgeteilt, sagt Aronashvili. Vielerorts wird auch wieder auf Homeoffice umgestellt; es gilt, die Kinderbetreuung zu organisieren. Zumindest im Süden des Landes waren in den ersten Tagen nach dem Angriff die Schulen geschlossen.

Aronashvilis Angestellte können je nach ihrer Aufgabe in der Armee auch nach Dienstende noch gewisse Arbeiten erledigen, damit die Kundinnen und Kunden nichts vom Personalengpass merken. «Sicher, für die einzelnen Personen bedeutet es eine grössere Arbeitsbelastung», sagt er. Ein Problem sei das jedoch nicht. «Die Solidarität unter den Menschen in Israel ist hoch.»

Diesen Notfallmodus kann seine Firma laut Aronashvili sehr lange durchhalten. Er schätzt aber auch, dass der Krieg «keine zwölf oder achtzehn Monate dauern wird».

Schwierig wird es für die Kleinen

Das fehlende Personal wird sich trotzdem zumindest kurzfristig negativ auf die Produktivität vieler Start-ups auswirken. Einige Projekte dürften sich verzögern, schätzt Gilli Cegla, Investor und Geschäftsführer der Agentur Novawind, die israelische Jungunternehmer bei der Expansion nach Europa unterstützt.

Er erzählt von einem Unternehmen, an dem er beteiligt ist und das nun nach temporären Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sucht. Bei einem anderen, das kurz vor einem wichtigen Vertragsabschluss steht, wurde der Anwalt eingezogen; sie müssen nun nach einem Ersatz suchen.

«Am schwierigsten wird es für kleine Start-ups, die nur eine Handvoll Mitarbeiter haben», sagt Cegla. Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es für sie. Der Lebensmittel-Unternehmer Avidan sieht daher den israelischen Staat in der Pflicht. Er müsse Unternehmen in Schwierigkeiten finanziell unterstützen. Ob es dazu kommt, ist allerdings noch unklar.

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Der Tech-Branche kommt jedoch zugute, dass viele ihrer Kunden im Ausland sitzen. Ihre Produkte und Dienstleistungen sind nach wie vor gefragt. Andere Bereiche der israelischen Wirtschaft dürfte der Krieg härter treffen, sagt Aronashvili. «Zum Beispiel Restaurants oder Lebensmittelgeschäfte, alles, was den lokalen Markt betrifft.» Tel Aviv sei zwar nicht leer. Auf den Strassen und in den Restaurants herrsche aber bei weitem nicht so viel Betrieb wie normalerweise.

Viele dieser Geschäfte haben während der Corona-Pandemie stark gelitten. Doch anders als während der Pandemie überwiegt nun die Solidarität im Land. «Damals kam es zu Demonstrationen. Jetzt packen Restaurants und Lebensmittelgeschäfte Versorgungspakete für die Soldaten», sagt Aronashvili.

Auch die Tech-Branche engagiert sich – mit privaten Initiativen, wie Cegla erzählt. So wird etwa mittels künstlicher Intelligenz versucht, Personen zu identifizieren, die möglicherweise von der Hamas als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden.

Auch haben sich rasch grosse Netzwerke gebildet, die Personen helfen, die wegen der Angriffe aus dem Gazastreifen evakuiert wurden. Ihnen wird bei der Suche nach einer Unterkunft, Essen oder psychologischer Betreuung geholfen. Cegla ist deswegen überzeugt, dass die israelischen Start-ups gestärkt aus dem Krieg hervorgehen werden, trotz aller Herausforderungen. «Unsere Innovation und unsere Kreativität werden wachsen.» Das könne ihnen niemand nehmen.