Nordeuropa im TrendSkandinavien und Island: Der Reiseboom hat auch Schattenseiten
Die Sommerhitze treibt immer mehr Touristen in den Norden. Hotspots kommen in der Hochsaison unter Druck – selbst Reiseanbieter sprechen von Overtourismus.

- Nordeuropa boomt: Auch Schweizer reisen im Sommer vermehrt nach Skandinavien statt ans Mittelmeer.
- An einigen Orten zeigten sich nun bereits Tendenzen von Overtourismus, sagen Experten.
- Dadurch wird die Nebensaison, beispielsweise der Frühherbst, für Reisen nach Nordeuropa immer interessanter.
Derzeit ploppen in den sozialen Medien Bilder und Filmchen auf von Nordlichtern, im Schnee tollenden Huskys und bizarren Winterlandschaften. «Instagram und Tiktok gehören zu den Treibern des Skandinavien-Booms», sagt Bruno Bisig, Geschäftsleiter des auf nordische Ziele spezialisierten Reiseveranstalters Kontiki.
In wenigen Monaten wird die Mitternachtssonne die Nordlichter ablösen, angereichert durch malerische Fjorde in Norwegen oder geheimnisvolle isländische Geysire.

Es gibt wenige Regionen der Welt, die sich so ideal für digitale Begeisterungsbotschaften eignen wie die nordischen Länder. Kein Wunder, dass Schweizerinnen und Schweizer auch 2025 in Massen Richtung Polarkreis fahren und fliegen.
«Es kündigt sich wieder ein Skandinavien-Jahr an», sagt Claudia Crugno, Co-Geschäftsführerin des Nordland-Spezialisten Glur Reisen. «Wir werden den Umsatz im Vergleich zu 2024, einem sehr guten Jahr, erneut steigern.»
Natur und nordischer Lifestyle
Crugno konstatiert, wie Leute die sommerliche Hitze am Mittelmeer gegen Ferien im kühleren Norden eintauschen, und Kontiki-Boss Bisig registriert einen ungebrochenen Drang zu nordischem Lifestyle, Outdoor-Erlebnissen, Natur und Entspannung.
Das gängigste Format, Skandinavien und Island zu entdecken: die Rundreise im Mietwagen, gekrönt von ein paar Tagen in einem gemütlichen Blockhaus (Finnland, Schweden) oder auf einem Bauernhof (Island). Norwegen, Schweden, Finnland und Island: Norden ist nicht gleich Norden, jedes der vier hier beleuchteten Länder hat ein eigenes Profil mit unterschiedlichen Saisons.
Finnland: Weniger Sommertouristen
Besonders in Nordfinnland ist das Business mehrheitlich auf Wintergäste ausgerichtet. In der kalten Jahreszeit fliegen unzählige Chartermaschinen nach Rovaniemi, angeblich die Heimat des Samichlaus. Es bestehe eine Disbalance zwischen Winter und Sommer, sagt Bruno Bisig.
Der Kontiki-Chef kann nicht verstehen, dass die finnischen Touristiker den Winter, der ein Selbstläufer ist, energischer bewerben als den Sommer. Immerhin profitieren Sommergäste von der breiten Winterinfrastruktur und den vielen Unterkünften.

Kontiki legt auch in diesem Sommer zusammen mit Edelweiss einen Flug nach Kittilä auf. Im Winter ist diese Region ein Paradies für Hundeschlittentouren und Blockhausidylle, im Sommer ein Gateway für länderübergreifende Reisen, denn Schweden und Norwegen sind nicht weit entfernt. Anziehungskräftig im finnischen Sommer sind auch die Seenplatte und die malerischen Städtchen mit den kulturellen Highlights im Süden.
Schweden: Grosse Distanzen
Stockholm gehört im Sommer zu den beliebtesten Städtereisezielen Europas – Overtourismus ist hier kein Fremdwort. In Vimmerby lockt die Astrid-Lindgren-Welt, auch Göteborg und Malmö sind eine Reise wert.
Einst gab es Charterflüge von Zürich ins nordschwedische Kiruna. «Doch das Netz ist nicht engmaschig genug, die Distanzen sind gross», so Bisig. Deshalb bleibt Schweden im Portfolio der Anbieter eher ein Nischenprodukt.
Norwegen: Angst vor dem Ansturm
Ein guter Indikator für die Nachfrage ist der Flugplan von Edelweiss. Mit Tromsø, Lofoten/Evenes und Bergen fliegt die Schweizer Airline gleich drei norwegische Sommerziele an. «Die einmalige Fjordlandschaft und die Lofoten sind viral ein Renner, die Nachfrage ist riesig», sagt Claudia Crugno von Glur Reisen. Aber sie erkennt Anzeichen von Overtourismus, nicht nur in den Fjord-Dörfchen, sondern auch auf den Lofoten.

Bruno Bisig von Kontiki legt nach: «Die touristische Infrastruktur in Nordnorwegen kann den grossen Ansturm nicht bewältigen. Das schadet der Natur und der lokalen Bevölkerung.» Crugno erzählt von Wohnmobilen, welche die Zufahrten zu Fähren auf den Lofoten versperren und die Einwohner nerven.
Bisig nimmt die Airlines in die Pflicht: «Es ist nicht einfach damit getan, Flugverbindungen einzurichten, ohne sich um den weiteren Weg der Reisenden zu kümmern.» Der Kontiki-Chef wünscht sich, dass man in den Teppichetagen der Airlines zunehmend auch die gesamte Entwicklung einer Region bewerte.
Bei Edelweiss nimmt man die Kritik zur Kenntnis: «Die Lofoten sind tatsächlich kein Massenziel», sagt Edelweiss-Manager Oliver Lenz. «Entsprechend vorsichtig gehen wir die Flugplanung an. Der typische Edelweiss-Kunde will nicht nur die überlaufenen Hotspots sehen, sondern bewegt sich mit dem Mietwagen in der ganzen Region. Und wir versuchen, durch Flüge auch ausserhalb der Wochenenden und der absoluten Hochsaison die Ströme besser zu verteilen.»
Island: Umstrittene Preispolitik
Hier ähnelt die Situation im Sommer jener in Norwegen. «Island ist seit drei Jahren unser absoluter Trendsetter», sagt Claudia Crugno. «Man muss in der Hochsaison schon flexibel sein, um noch unterzukommen.»

Bei Kontiki, räumt Bruno Bisig ein, spüre man hingegen eine gewisse Zurückhaltung seitens der Kundschaft. Als Grund sieht er nicht etwa die latente Furcht vor Vulkanausbrüchen, sondern die hohen Preise: «Die Isländer haben es zuletzt übertrieben mit den Preisen und scheuen sich nun vor einer Korrektur.»
Der Norden lässt sich durchaus mit hochalpinen Destinationen in der Schweiz vergleichen – Arosa, Saas-Fee oder dem Oberengadin. Dort bemühen sich die Player, die Nebensaison, insbesondere den Frühherbst, attraktiver zu machen. Das wäre auch ein Rezept, dem Overtourismus etwa in Island oder Nordnorwegen zu begegnen. Und so versuchen sowohl Claudia Crugno als auch Bruno Bisig, der Kundschaft vermehrt die Vorzüge des Indian Summer schmackhaft zu machen.
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