Der Iran und der WestenDer Präsident will reden, die Revolutionsgarden setzen auf Gewalt
Masoud Pezeshkian möchte das Verhältnis zum Westen verbessern, weil sein Land dringend Geld braucht. Doch die Revolutionsgarden machen eine Annäherung zunichte.
Wenn westliche Diplomaten dieser Tage auf das Regime im Iran blicken, dürften sie sich an ein Vexierbild erinnert fühlen. Auf der einen Seite hat der neue Präsident Masoud Pezeshkian einen alten Bekannten mit besten Verbindungen in europäische Hauptstädte zum Aussenminister gemacht: Abbas Araghchi, der auf dem Weg zum Atomabkommen von 2015 als wichtigster Unterhändler neben seinem damaligen Chef Mohammed Jawad Sarif galt. Majid Takht-Ravanchi, damals der Dritte im Bunde und UNO-Botschafter, ist nun stellvertretender Aussenminister. Und Sarif hat nach seinem Rücktritt nach nur elf Tagen im Amt des Vizepräsidenten für Strategische Angelegenheiten verkündet, nun doch wieder für die Regierung zu arbeiten.
Ende August verkündete dann noch der Oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, es liege «kein Schaden» darin, mit dem Feind zu verhandeln, nur dürfe man den Amerikanern nicht vertrauen. Das klingt wie Äusserungen, mit denen er Sarif und dem damaligen Präsidenten Hassan Rohani 2015 gestattet hatte, die Atomverhandlungen abzuschliessen.
Fluglinie Iran Air drohen Sanktionen
Präsident Pezeshkian hat gesagt, sein Land brauche 100 Milliarden Dollar an Investitionen aus dem Ausland. Seine Regierung werde die Inflation von mehr als 40 Prozent pro Jahr nur senken können, wenn «wir unsere Probleme mit unseren Nachbarn und der Welt lösen». Im Wahlkampf hatte der Präsident noch Gespräche mit dem Westen über eine Rückkehr zum Atomabkommen verlangt – denn ohne Erleichterungen bei den Sanktionen kann er, anders als die Ultrakonservativen glauben machen wollen, wirtschaftspolitisch kaum etwas erreichen.
Zugleich aber betreiben auf der anderen Seite die Revolutionsgarden an vielen Fronten eine Eskalation, die sich gegen die Interessen des Westens richtet und eine Annäherung so gut wie unmöglich macht. Gerade erst hat US-Aussenminister Antony Blinken bestätigt, dass der Iran ballistische Kurzstreckenraketen an Russland geliefert hat – eine offene Unterstützung für den Angriffskrieg von Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine.
Die USA und die wichtigsten europäischen Mächte – Frankreich, Grossbritannien und Deutschland – hatten Teheran seit Monaten davor gewarnt. Nun kündigten sie neue Sanktionen an. Paris und London wollen bilaterale zivile Luftfahrtabkommen mit dem Iran kündigen, mit Deutschland besteht kein solcher Vertrag. Zudem wollen sie wie die USA die staatliche Fluggesellschaft Iran Air mit Sanktionen belegen. Die Revolutionsgarden nutzen diese nach Überzeugung westlicher Geheimdienste, um Waffen zu liefern und Komponenten für das Raketen- und Atomprogramm in die Islamische Republik zu schmuggeln.
Geld und Waffen für die Hamas
Die Revolutionsgarden unterstehen direkt dem Obersten Führer Khamenei und sind, wie grosse Teile des Sicherheitsapparates und die Justiz, der Kontrolle der Regierung entzogen. Es ist zugleich unvorstellbar, dass die Garden Waffensysteme an Russland liefern, ohne dass der intransparente Machtapparat im Büro des Obersten Führers seine Einwilligung gegeben hat.
Diese zwei sehr unterschiedlichen Gesichter des iranischen Regimes sind seit jeher ein Kernproblem bei jedem Versuch, den Iran mit diplomatischen Mitteln einzuhegen. Die Revolutionsgarden bestimmen auch die Politik Teherans in seiner Nachbarschaft: Sie führen den Kampf gegen Israel, die US-Präsenz in der Region und den Westen. Sie kontrollieren schiitische Milizen im Irak und in Syrien, die Hizbollah in Libanon, und sie spielen eine zentrale Rolle für die Unterstützung der Hamas und anderer palästinensischer Terrorgruppen wie des islamischen Jihad im Gazastreifen und im Westjordanland mit Geld und Waffen.
Zudem haben sie mit Waffenlieferungen und Ausbildung dazu beigetragen, dass die Huthi in Jemen mit Lenkflugkörpern und Raketen zivile Schiffe im Roten Meer in Brand schiessen, zuletzt den mit einer Million Barrel Rohöl beladenen Tanker Sounion.
Iran baut sein Atomprogramm aus
Auch hat der Iran zuletzt sein Atomprogramm noch einmal deutlich ausgebaut. In der in einem Tunnelsystem unter einem Bergmassiv geschützten Anreicherungsanlage in Fordow stellten die Techniker 6 neue Kaskaden mit Zentrifugen zur Urananreicherung auf, in der Anlage in Natans sogar 15, wie die Internationale Atomenergiebehörde berichtet.
Zudem produzierte das Land in den Anlagen mehr auf 60 Prozent angereichertes Uran. Inzwischen wäre der Iran in der Lage, genug hoch angereichertes Uran für mehrere Atomsprengköpfe binnen weniger Tage herzustellen. Nach Einschätzung der US-Regierung hat der Iran auch wieder Forschungs- und Entwicklungsarbeiten aufgenommen, die für den Bau einer Bombe von Nutzen sein könnten.
EU will Revolutionsgarden auf Terrorlisten setzen
Auch diese Aktivitäten fallen in den Machtbereich der Revolutionsgarden und des Büros des Obersten Führers. Pezeshkian hat zudem den von seinem ultrakonservativen Vorgänger eingesetzten Chef der Iranischen Atomenergie-Organisation im Amt belassen. Neben der nun angestrebten Verschärfung der Sanktionen auf europäischer Ebene läuft in Brüssel auch noch das von Deutschland auf den Weg gebrachte Verfahren, die Revolutionsgarden als Terrororganisation einzustufen.
Zu erwarten ist ausserdem, dass europäische Fluglinien, die noch nach Teheran fliegen, Probleme bekommen werden, wenn die EU Sanktionen gegen Iran Air verhängt. Neue diplomatische Initiativen aber sind ohnehin kaum denkbar, bevor die US-Präsidentenwahl entschieden ist.
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