Reaktion auf iranischen AngriffPakistan schiesst zurück – und beschwichtigt
Am Donnerstag hat Pakistan erstmals Raketen auf iranisches Staatsgebiet geschossen, als Antwort auf die Angriffe des Iran. Die Raketen töteten drei Frauen und vier Kinder.
Der Rückschlag liess nicht lange auf sich warten. Zwei Tage nachdem Teheran Stützpunkte einer iranischen Terrorgruppe auf pakistanischem Gebiet mit Raketen und Kamikaze-Drohnen bombardiert hatte, feuerte Pakistan zurück. Iranischen Medien zufolge schlugen am Donnerstag mehrere Raketen in einem Dorf nahe Saravan ein, einer iranischen Stadt in der an Pakistan grenzenden Provinz Sistan und Belutschistan.
Botschafter abberufen
Die Regierung in Islamabad hatte den Angriff des Iran am Mittwoch als «völlig inakzeptabel» bezeichnet und «ernste Konsequenzen» angedroht. Am Tag darauf sagte die Sprecherin des Aussenministeriums, Mumtaz Zahra Baloch: «Pakistan hat beschlossen, seinen Botschafter aus dem Iran abzuberufen, und der iranische Botschafter in Pakistan, der sich derzeit im Iran aufhält, darf bis auf weiteres nicht zurückkehren.» Teheran wiederum hat nach dem Angriff vom Donnerstag eine Stellungnahme aus Pakistan gefordert.
Die beiden Länder teilen sich eine mehr als 900 Kilometer lange, schwer zugängliche Grenze. Sie verläuft durch die mehrheitlich sunnitisch geprägte Region Belutschistan, die sowohl einen Teil des schiitisch dominierten Iran als auch einen Teil des überwiegend sunnitischen Pakistan einnimmt. Der Angriff Teherans galt der iranischen Rebellengruppe Jaish al-Adl in der pakistanischen Grenzstadt Panjgur, dabei wurden zwei Kinder getötet und drei verletzt. Die Raketen aus Pakistan, die am Donnerstag in dem Dorf bei Saravan einschlugen, töteten drei Frauen und vier Kinder.
Beide Teile Belutschistans sind unruhig, teilweise sogar gesetzlos, und sie sind weitgehend unterentwickelt, aber reich an Bodenschätzen. Der pakistanische Teil ist die nach Landmasse grösste, jedoch am wenigsten bevölkerte Provinz des Landes. Im Iran wiederum sind die Belutschen eine Minderheit und haben sich im vergangenen Jahr den Hidschab-Demonstrationen gegen die autoritäre Regierung in Teheran angeschlossen.
Das theokratische Regime des Iran sperrt immer wieder Grenzübergänge in der Region, was Familien trennt und das Reisen kompliziert und gefährlich macht. Dafür blüht der Schwarzmarkt. Der Verkauf von iranischem Öl ist aufgrund der US-Sanktionen schon seit längerem stark eingeschränkt, der illegale Handel über die Grenze nach Pakistan zu einer der wichtigsten Einnahmequellen für die Clans in der Region geworden. Diese Clans fühlen sich in der Regel weder pakistanisch noch iranisch, sondern ihren Provinzen zugehörig.
Zuvor Polizeistation angegriffen
Die Jaish al-Adl, die sich immer wieder in den pakistanischen Teil von Belutschistan zurückzieht, ist eine sunnitisch-islamistische Miliz, die gegen die schiitische Regierung des Iran kämpft. Hervorgegangen ist sie aus der Terrorgruppe Jundallah, die dem sogenannten Islamischen Staat (IS) im Irak und in Syrien nahesteht. Die Jaish al-Adl hat im Iran Anschläge gegen das mächtige Korps der Revolutionsgarden verübt; zuletzt griff sie im Dezember eine iranische Polizeistation an und tötete mehrere Beamte. Die iranischen Raketen und Drohnen vom Dienstag waren wohl als Vergeltung dafür gedacht.
Das pakistanische Aussenministerium bezeichnete die Operation am Donnerstag als «eine Reihe hoch koordinierter und zielgerichteter militärischer Präzisionsangriffe auf terroristische Verstecke» im Iran. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unter Berufung auf eine Quelle im pakistanischen Geheimdienst, dass die Angriffe von Militärflugzeugen ausgeführt worden seien. Ziel seien die Kämpfer der Balochistan Liberation Front (BLF) gewesen, die eine Unabhängigkeit Belutschistans anstreben. Ihr Hauptgegner: der pakistanische Staat.
Anschläge auf chinesische Bürger
Dazu gehörten in der Vergangenheit allerdings auch Anschläge auf chinesische Bürger und Investitionen in Belutschistan. Der sogenannte China-Pakistan Economic Corridor (CPEC), ein milliardenschweres Investment Chinas in die Transport- und Energie-Infrastruktur Pakistans, verläuft durch Belutschistan. Im Rahmen von Pekings «Belt & Road»-Initiative, auch als neue Seidenstrasse bekannt, führt die Route vom Himalaja über den pakistanischen Teil Kashmirs bis runter in den ehemaligen Fischerort Gwadar, wo China einen gigantischen Tiefwasserhafen gebaut hat. Islamabad hat sich wegen der neuen Seidenstrasse in grosse Abhängigkeit von Peking gebracht, wie viele Länder in der Region. Daher rührt vermutlich die antichinesische Haltung der BLF, die der Regierung in Peking grosse Sorgen bereitet.
Mao Ning, Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums, rief am Mittwoch bei einem regelmässigen Briefing «beide Seiten auf, Zurückhaltung zu üben und Handlungen zu vermeiden, die zu einer Eskalation der Spannungen führen». Der Iran und Pakistan sind ausserdem Mitglied der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), einer Union von Ländern unter der Initiative Pekings, die sich über einen Grossteil Eurasiens, darunter auch Indien und Russland, erstreckt.
Pakistan scheint deeskalieren zu wollen
Pakistan scheint trotz der Attacke von Donnerstag eher deeskalieren zu wollen. Das Aussenministerium sicherte die Aktion mit der Klarstellung ab, dass Pakistan «voll und ganz die Souveränität und territoriale Integrität der Islamischen Republik Iran» respektiere, und betonte: «Das einzige Ziel der heutigen Aktion war die Verfolgung der eigenen Sicherheit und der nationalen Interessen Pakistans.» Man sei ein verantwortungsbewusstes Mitglied der internationalen Gemeinschaft und unterstütze Grundsätze und Ziele der UN-Charta.
Fraglich ist, wie es nun weitergeht. Pakistan hatte bei allen Unruhen und Eskalationen, die es zuvor in Belutschistan gab, die Grenze zum Iran nie überschritten. Die Raketen von Donnerstag sind etwas Neues. Und die Gegenseite? «Die Motivation des Iran für den Angriff auf Pakistan bleibt undurchsichtig», erklärte Asfandyar Mir, Sicherheitsexperte für Südasien am US Institute of Peace, gegenüber Reuters. «Aber angesichts des allgemeinen iranischen Verhaltens in der Region könnte es eskalieren.»
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