Interview zur Wespenplage«Gib der Wespe Konfi, wenn sie Konfi will!»
Wohl kaum jemand versteht Wespen so gut wie Seirian Sumner. Die Biologin hat ihre Doktorarbeit über das unbeliebte Insekt geschrieben. Sie weiss, was zu tun ist, wenn die Tiere um die Tische schwirren.
Kaum jemand kennt sich so gut mit Wespen aus wie die britische Verhaltensökologin Seirian Sumner, die ein Buch zur Verteidigung der unbeliebten Insekten geschrieben hat («Wespen – Eine Versöhnung»). Ein Gespräch über hilfsbereite tropische Wespen mit Monsterstachel, Gemeinsamkeiten zwischen Wespen und Menschen und darüber, was Wespen wollen, wenn sie an den Frühstückstisch kommen.
Alle lieben Bienen, niemand mag Wespen. Warum ist das so?
Wir haben dazu tatsächlich einmal eine Umfrage gemacht und festgestellt, dass fast alle Menschen an positive Dinge denken, wenn es um Bienen geht: an Honig und Blumen, und viele wissen, dass Bienen wichtige Bestäuber sind. Zu Wespen fällt den meisten nur ein, dass sie stechen. Sie wissen gar nicht, was Wespen tun, und halten sie deshalb für überflüssig.
Was tun Wespen denn?
Sie tragen zum Beispiel Sorge dafür, dass Schädlinge nicht überhandnehmen. Eine einzige Kolonie Kurzkopfwespen zum Beispiel fängt pro Jahr etwa 4,3 Kilogramm Raupen, Hautflügler, Fliegen und Spinnen. In einer Welt ohne Wespen würden die Populationen von Fliegen, Spinnen, Kakerlaken und vielen anderen explodieren. Wespen fressen aber nicht nur lebende, sondern auch tote Tiere und spielen deshalb eine wichtige Rolle bei der Entsorgung von Kadavern. Ausserdem sind sie auch wichtige Bestäuber, das weiss nur kaum jemand. Ohne die winzigen Feigenwespen gäbe es zum Beispiel keine Feigen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie als Kind Angst vor Wespen hatten. Trotzdem haben sie sich diese Insekten später als Forschungsobjekt ausgesucht. Warum?
Ich glaube, ich habe ein Herz für Underdogs, also auch für Tiere, die keiner mag. Endgültig erwischt hat es mich während meiner Doktorarbeit. Als ich erfuhr, dass ich Wespen beobachten sollte, war ich zunächst skeptisch, aber mein Doktorvater versprach mir, dass es eine Art sei, die nicht steche. Also lag ich wochenlang mitten im Regenwald von Malaysia unter einem Wespennest, das 20 Zentimeter über meinem Gesicht hing. Ich konnte die einzelnen Tiere unterscheiden, weil ich sie mit Punkten markiert hatte. Ich sah, wie sie zur Welt kamen, wie sie sich gegenüber anderen behaupten mussten und wie manche selbst Nachwuchs bekamen. Und irgendwann habe ich mich dann in diese unbeliebten Tiere verliebt.
Was fasziniert Sie am meisten an Wespen?
Nur eine Sache? Das ist schwierig. Okay. Mich fasziniert am meisten das Zusammenleben Staaten bildender Wespen. Auf den ersten Blick wirkt alles sehr geordnet. Aber bei genauerem Hinsehen merkt man, dass sich die reinste Seifenoper abspielt, mit Streitereien und Auflehnung, aber auch Vermittlung und Arbeitsteilung. Man kann von diesen Insekten viel über die Ursprünge des sozialen Zusammenlebens lernen – im Prinzip auch das von Menschen.
«Wespen können übrigens auch gut sehen. Zum Beispiel erkennen sie die Gesichter von Menschen.»
Stimmt es, dass Wespen besser riechen können als Hunde?
Ja, das ist wahr. Wespen können mit ihren Antennen zum Beispiel winzige Konzentrationen von Chemikalien wahrnehmen, die Pflanzen abgeben, wenn sie von Raupen befallen werden. Die Wespen fliegen dann zu der befallenen Pflanze und fressen die Raupen. Ihr guter Geruchssinn ermöglicht es Wespen auch, die Ausscheidungen ihrer Beute zu riechen und sie auch dann zu finden, wenn sie gut versteckt ist. Man kann Wespen sogar darauf trainieren, Drogen oder Sprengstoff zu finden. Sie können das besser als Hunde, weil sie viel niedrigere Konzentrationen wahrnehmen.
Können Wespen auch hören?
Nein, aber sie nehmen Vibrationen mit ihren Antennen wahr. Auch dieser Sinn ist sehr empfindlich: Zum Beispiel finden parasitäre Wespen damit Raupen unter der Rinde von Bäumen. Die Wespen bohren dann ein Loch durch die Rinde und legen ihre Eier in die Raupe. Wespen können übrigens auch gut sehen. Zum Beispiel erkennen sie die Gesichter von Menschen. Wahrscheinlich orientieren sie sich dabei an markanten Punkten wie der Nase oder den Augen. Warum Wespen diese Fähigkeit haben, ist nicht ganz klar.
Es gibt mehr als 100’000 verschiedene Wespenspezies. Haben Sie eine Lieblingsart?
Ja! Meine Lieblingswespe ist Polistes canadensis, eine Papierwespe, die in Südamerika vorkommt und die ich viele Stunden, tage- und wochenlang beobachtet habe. Die Tiere sind fast zwei Zentimeter lang und haben einen riesigen Stachel. Wenn man sie in ihrem Nest aufschreckt, heben alle Tiere gleichzeitig die Flügel und greifen an, um ihre Brut zu verteidigen. Es tut sehr weh, wenn sie stechen, das habe ich selbst zu spüren bekommen. Aber das Tolle an Polistes ist, dass sie sich an Menschen in der Nähe ihrer Nester gewöhnen und mit der Zeit nicht mehr so aggressiv reagieren. Und dass sie komplett offene Nester bauen, sodass man ihr Verhalten sehr gut beobachten kann.
Haben Sie dabei etwas Besonderes herausgefunden?
Ja, wir haben entdeckt, dass die Polistes-Arbeiterinnen nicht immer in ihrem eigenen Nest bleiben, sondern dass sie in benachbarten Nestern aushelfen, wenn es dort viel zu tun gibt. Das ist schon ziemlich cool. Die Tiere schauen, wo ihre Arbeit am meisten wert ist. Wenn es zum Beispiel im eigenen Nest gerade wenige Larven zu versorgen gibt, bei den Nachbarn aber viele, fliegen sie dorthin und leisten Nachbarschaftshilfe.
Das klingt sympathisch.
Ja, aber diese tropischen Wespen können auch ganz anders. In ihren Nestern gibt es eine strenge Hierarchie. Individuen, die sich nicht ihrem Rang entsprechend benehmen, werden von den anderen hart bestraft. Sie werden gebissen und gestochen, manchmal werden Gliedmassen abgetrennt. Wenn die Königin verschwindet, explodiert die Aggression im Nest, vor allem unter den jüngeren Tieren. Dann bricht Chaos aus; jede will Königin werden, die Wespen beissen, stechen und ringen miteinander und stürzen sich scheinbar blind vor Wut auch auf Menschen in ihrer Nähe.
Dagegen kommen einem die Gemeine Wespe und die Deutsche Wespe, die in unseren Breiten am Kaffeetisch oder in der Beiz nerven, geradezu harmlos vor. Haben Sie Tipps, wie man mit ihnen umgehen sollte?
Wenn eine Wespe an den Tisch kommt, sollte man ruhig sitzen bleiben und sie beobachten: Was will sie?
Und ihr das dann geben?
Ja, genau! Wenn sie Konfi will, dann gib ihr Konfi! Wenn sie diese hat, wird die Wespe wegfliegen. Dabei kann es sein, dass sie zum Beispiel in die Nähe des Gesichts kommt. Das bedeutet aber nicht, dass sie stechen will. Sie will sich nur Orientierungspunkte merken, damit sie später zurückkommen kann, um mehr zu holen. Ein menschliches Gesicht kann für eine Wespe ein solcher Orientierungspunkt sein. Wenn die Wespe weg ist, können Sie Ihre Konfi ein Stück von sich wegschieben, damit sie Ihnen bei ihrer Rückkehr nicht mehr so nahe kommt. Aber Sie müssen wirklich keine Angst haben.
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