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Interview zu humanitärer Hilfe in Gaza
«Viele Menschen suchen Zuflucht in Spitälern»

Displaced Gazans moving away from their destroyed houses. 11.10.23
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Bei den Terroranschlägen der Hamas auf Israel sind mehr als 1200 Menschen ums Leben gekommen, überwiegend Zivilisten. Israel reagiert mit Luftangriffen auf Hamas-Infrastruktur im Gazastreifen. Dabei wurden bisher mindestens 1100 Menschen getötet und mehr als 5000 verletzt.

Die UNO und internationale Hilfsorganisationen fordern Zugang für humanitäre Hilfe – bislang erfolglos. Vor Ort tätig ist auch das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks). Hakam Awad ist der verantwortliche Landesdirektor, er ist Palästinenser und lebt in Jerusalem.

Hakam Awad, Country Director Israel Palestine

Herr Awad, was wissen Sie über die aktuelle Situation der Menschen im Gazastreifen?

Die Lage ist unübersichtlich. Gaza ist komplett abgeriegelt, alle Zugänge sind geschlossen. Seit Sonntag gibt es schwere Luftangriffe. Heute hat die Elektrizitätsgesellschaft bekannt gegeben, dass es keinen Strom mehr gibt. Damit wird die Wasserversorgung prekär: Die Wasserpumpen funktionieren mit Strom.

Können die Spitäler die Verletzten versorgen?

Die Spitäler sind komplett überfordert mit der Situation. Ihnen fehlen Personal und Material, um alle Verletzten zu versorgen. Zurzeit suchen auch viele Menschen Zuflucht in Spitälern. Es ist ein grosses Chaos.

Sie sind seit 2017 Landesdirektor des Heks. Haben Sie schon vergleichbare Situationen erlebt?

In den letzten Jahren hat sich die Situation der Menschen im Gazastreifen zusehends verschlechtert. Aber eine solche humanitäre Krise habe ich noch nie erlebt. Es gibt in diesen Tagen sehr viel Leid, auf beiden Seiten. Niemand weiss, wohin das führen wird. Klar ist aber, dass es eine Zäsur ist.

Sie sind in Jerusalem. Halten sich zurzeit Heks-Mitarbeitende im Gazastreifen auf?

Eine Mitarbeiterin ist in Gaza. Sie lebt dort mit ihrem Mann und ihren Kindern. Wir stehen in Kontakt mit ihr. Das Quartier, in dem sie lebt, wurde schwer getroffen. Glücklicherweise ist der Familie aber nichts passiert. Wir sorgen uns um sie, denn sie hat keine Möglichkeit, Gaza zu verlassen.

Wie kommen Sie – abgesehen von direkten Kontakten – zu Informationen über die Lage?

Wir informieren uns über die Lageberichte der UNO-Organisation Ocha und über das NGO-Netzwerk, dem wir angehören.

«Es sind noch gewisse Vorräte von früheren Hilfslieferungen vorhanden. Ich weiss aber nicht, wie lange diese ausreichen.»

Israel informiert die Menschen über bevorstehende Bombardierungen und definiert Gebiete, in denen die Menschen sicher sind. Funktioniert das?

Manchmal funktioniert es, aber nicht immer. Manchmal werden die Menschen auch überrascht von einem Angriff. Wenn die Leute per Handy alarmiert werden, dass ein Luftschlag bevorsteht, gehen sie in ein anderes Gebiet. Und dann gibt es dort eine Warnung. Inzwischen sind mehr als 300’000 Menschen intern vertrieben. Viele suchen in Schulen Schutz.

Israel bereitet offenbar eine Bodenoffensive vor. Was würde das für die Bevölkerung bedeuten?

Ich befürchte, dass das länger dauern würde. Die Vorräte würden knapp.

Ist humanitäre Hilfe für die Bevölkerung im Gazastreifen überhaupt möglich?

Im Moment ist es sehr schwierig. Hilfsorganisationen fordern Zugang, erhalten diesen aber nicht. Es sind noch gewisse Vorräte von früheren Hilfslieferungen vorhanden. Ich weiss aber nicht, wie lange diese ausreichen. Ägypten wollte Kraftstoff liefern zur Erzeugung von Strom. Die israelischen Behörden haben das jedoch abgelehnt. Die Lage verschlechtert sich auch im Westjordanland.

Was tun Sie und Ihr Team zurzeit?

Wir versuchen, uns ein Bild der Lage zu machen, und bereiten uns darauf vor, humanitäre Hilfe zu leisten. Wir koordinieren uns mit anderen Akteuren und planen, damit wir helfen können, sobald es möglich ist.

«Wir müssen darauf hinweisen, dass der Konflikt nicht am vergangenen Wochenende mit dieser Eskalation der Gewalt begonnen hat.»

Wie würde die Hilfe konkret aussehen?

Es wird um Grundbedürfnisse gehen: Nahrung, Wasser, Hygieneartikel, vielleicht auch Zelte. Logistische Details planen wir erst, wenn wir wissen, ob und wie wir Zugang bekommen.

Normalerweise steht bei Ihrer Tätigkeit nicht die humanitäre Hilfe im Vordergrund.

Nein, wir setzen uns vor allem für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ein. Das Heks unterstützt mit seinen Projekten zivilgesellschaftliche Akteure, die sich mit gewaltfreien Mitteln für die Überwindung der Konflikte einsetzen – auf beiden Seiten.

Das Heks arbeitet mit israelischen und palästinensischen Organisationen zusammen. Wird das weiterhin möglich sein?

Wir hoffen es, hatten aber noch keine Gelegenheit, entsprechende Gespräche mit Partnerorganisationen aufzunehmen.

In der öffentlichen Debatte in Europa ist nach den schrecklichen Taten der Hamas die Empathie nicht auf der Seite der palästinensischen Bevölkerung. Viele sagen, es sei nicht der Moment, um über die Hintergründe des Konflikts zu sprechen.

Ich sehe das. Als NGO, die diesen Konflikt schon lange mitverfolgt, haben wir aber eine Verantwortung. Wir müssen darauf hinweisen, dass der Konflikt nicht am vergangenen Wochenende mit dieser Eskalation der Gewalt begonnen hat.