Interview mit Psychologe über Emotionen«Manche Menschen haben viel Sex, um Gefühle zu vermeiden»
Podcaster Lukas Klaschinski hat ein Buch über Gefühlsbereitschaft geschrieben. Ein Gespräch darüber, wie wir Wutanfälle vermeiden und was wir tun können, wenn unser Gegenüber keine Emotionen zulässt.
Herr Klaschinski, in Ihrem neuen Buch behaupten Sie: «Im Leben geht es immer ums Gefühl.» Ist das nicht eine verweichlichte Ansicht?
Überhaupt nicht. Alles, was wir sehen, hören und schmecken, übersetzt unser Körper in Gefühle. Egal, ob wir eine rationale Entscheidung oder eine Bauchentscheidung treffen, wir handeln immer aus einem Gefühl heraus.
Der Generation Z wird oft vorgeworfen, sie sei zu gefühlsduselig. Ist sie das also gar nicht?
Nein. Ich glaube zwar schon, dass wir uns heute mehr mit unseren Gefühlen beschäftigen als früher. Aber auch junge Leute haben teilweise Probleme damit, Gefühle zuzulassen. Wir sind die ganze Zeit online, konsumieren immer irgendwas. So werden wir vor allem für eines taub: unsere innere Stimme.
Ihr Buch «Fühl dich ganz» ist eine Anleitung zu mehr Gefühlsbereitschaft. Was meinen Sie damit?
Jedes Gefühl, das wir haben, macht sich körperlich bemerkbar. Die Angst zum Beispiel spüren viele als Druckgefühl in der Brust. Sind wir gefühlsbereit, versuchen wir nicht, diese Empfindungen sofort zu unterdrücken, sondern widmen ihnen unsere Aufmerksamkeit. Die Achtsamkeit ist die erste Komponente der Gefühlsbereitschaft. Hinzu kommt die Akzeptanz. Wenn wir akzeptieren, dass wir Angst haben, können wir danach aktiv entscheiden, wie wir mit ihr umgehen.
Gefühle zuzulassen, heisst also nicht automatisch, launisch zu sein?
Das Gegenteil ist der Fall. Wir streiten uns eigentlich nur, weil wir mit unseren Emotionen nicht umgehen können. Wenn ich meine Gefühle zulasse und akzeptiere, kann ich mir danach überlegen, wie ich reagieren möchte. Will ich sagen: So redest du nicht mit mir? Oder vielleicht eher: Was du gerade gesagt hast, verletzt mich?
Welche Strategien wenden wir an, um unsere Gefühle zu verdrängen?
Da gibt es unzählige Möglichkeiten. Manche Menschen essen aus Frust oder Langeweile, andere konsumieren wahnsinnig viele Medien, damit keine Stille aufkommt, wieder andere haben viel Sex, um Gefühle zu vermeiden, sind sarkastisch oder überanalysieren ihre Emotionen, um sie nicht fühlen zu müssen.
Was sollten wir stattdessen tun, als uns nach einem harten Arbeitstag etwas Süsses zu gönnen oder eine Serie anzuschauen?
Kurz innehalten, die Hand auf die Brust legen und einchecken. Wie fühle ich mich gerade? Bin ich traurig? Wieso? Habe ich mich vielleicht nicht gesehen gefühlt heute? Und dann ins Selbstmitgefühl gehen und sagen: Danke Gefühl, dass du mir das angezeigt hast. Stellen Sie sich vor, Sie essen über zehn Jahre Süsses nach der Arbeit, anstatt vielleicht zu bemerken, dass Ihr Job gar nicht der Richtige für Sie ist.
Wie merke ich, dass ich nicht gefühlsbereit bin?
Wenn man eine ständige innere Unruhe verspürt, sollte einen das aufhorchen lassen. Ein weiteres Zeichen ist häufiges Ausflippen. Wenn ich Wut spüre und dann direkt ausflippen muss, oder wenn ich Angst habe und dann direkt wegrennen muss, ist das auch eine Strategie, meinen Gefühlen zu entkommen. Viele Menschen merken es aber auch gar nicht, wenn sie mit einem emotionalen Abstand zum Leben leben. Sie wissen nicht, was ihnen fehlt. Es ist nur so, dass sie sich häufiger fragen: Kommt da noch was? Oder sie versuchen, sich mit immer neuen Reizen abzulenken. Sie denken: Mit dem neuen Job müsste das Glück kommen. Oder: Meine Partnerin muss ich jetzt schnell verlassen und die neue Partnerin wird mich endlich glücklich machen.
Welche Probleme können auftauchen, wenn wir Emotionen wegdrücken?
Wenn wir alle unangenehmen Gefühle aussperren – wie es beispielsweise der Positivity-Trend fordert – dann können wir nie feststellen, wie es uns gerade wirklich geht. Das kann zu Burn-out, Depressionen und anderen psychischen Krankheiten führen. Die Forschung zeigt, dass wir glücklicher sind, je mehr wir in Momenten richtig fühlen, das heisst angemessen der Situation gegenüber.
Können Sie konkrete Tipps geben, wie wir mehr Gefühle zulassen können?
Wenn man über Jahre Gefühle ausgesperrt hat, kann es sein, dass die körperliche Empfindung nicht mehr wirklich da ist und man sein Leben wie hinter einer Milchglasscheibe lebt. Der Start ist dann, den Bezug zum Körper wieder herzustellen. Dazu gibt es eine ganz einfache Übung, den Körperscanner. Man kann morgens, wenn man noch im Bett liegt, einfach mal seinen Körper durchgehen. Wie fühlen sich meine Augen an, mein Mund, meine Brust und der Rest des Körpers? Am Anfang denkt man sich: Das ist doch total bescheuert! Aber das ist eine Technik, die in ganz vielen Therapien eingesetzt wird.
Und damit wird das Leben leichter?
Es ist ein bisschen so, als ob man das Dach seines Cabrio aufmachen würde. Wenn man durch kalte Gebiete fährt, spürt man die Kälte mehr, wenn man durch die Sonne fährt, spürt man die Wärme mehr.
Gefühle zulassen heisst auch, traurig zu sein, wenn man traurig ist. Wie tröstet man jemanden, ohne seine Gefühle zu übergehen?
Ganz häufig, wenn jemand neben uns traurig ist, dann versuchen wir, ihn sofort wieder aufzumuntern, sagen: «Das wird schon wieder.» Warum machen wir das? Weil wir Spiegelneuronen haben und das gleiche Gefühl spüren. Wenn wir nicht gefühlsbereit sind, können wir die Trauer, die da in uns aufkommt, nicht ertragen und wollen die beim anderen deshalb ganz schnell weghaben. Aber der Trauer hilft das nicht. Viel besser ist es, wenn wir nicht direkt einen Ratschlag geben, sondern wenn wir einfach nur da sind und sagen: Hey, ich kann mir sehr gut vorstellen, wie du dich gerade fühlst.
Was kann ich konkret machen, wenn die Wut in mir aufsteigt?
Da gibt es Methoden, zum Beispiel die Luft-Beinpresse. Die kann man auch gut während eines Meetings machen. Man stellt sich einen Ball zwischen den Beinen vor, den man dann zusammenpresst. So fliesst Energie ab. Wichtig dabei ist, dass wir die Atmung locker weitergehen lassen und uns nach 15 Sekunden überlegen: Wieso bin ich wütend und wie möchte ich mich verhalten?
Und was kann ich tun, wenn ich denke, dass mein Partner keine Gefühle zulässt?
Daran können Sie erst mal gar nicht so viel ändern. Aber Sie können selbst Gefühle zulassen. Wenn Ihr Partner sieht, wie Sie mit Gefühlen umgehen und wie Sie diese auch äussern, wird sich automatisch viel bei ihm verändern.
Ist am Klischee, dass Männer schlechter Gefühle zulassen können als Frauen, etwas dran?
In meinen psychologischen Gesprächen stelle ich eher fest, dass Männer andere Gefühle zulassen als Frauen. Mit Wut und Freude haben sie wenig Probleme, weil diese bei Männern gesellschaftlich akzeptiert sind. Gefühle, die uns einen Eindruck von Verletzlichkeit geben können wie Angst, Traurigkeit und Scham, werden Männern hingegen abtrainiert.
Wie ist das bei Frauen?
Bei Frauen ist es umgekehrt. Da wird häufiger gesagt: Sei nicht so eine Zicke, wenn eine Frau sich durchsetzen möchte. Anstelle von Wut kommt dann oft die Traurigkeit. Natürlich gilt das nicht für alle Frauen – und nicht nur für Frauen. In asiatischen Ländern gibt es etwas, was als Wut-Krankheit bezeichnet wird. Wenn Wut gesellschaftlich überhaupt nicht akzeptiert ist, dann laufen die Menschen Gefahr, Depressionen zu entwickeln. Wie wir mit Gefühlen umgehen, hat eben immer auch damit zu tun, wie wir sozialisiert sind.
Lukas Klaschinski: «Fühl dich ganz. Was wir gewinnen, wenn wir unsere Emotionen verstehen und zulassen». Knaur Balance, 2024. 256 S., ca. 29 Fr.
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