Interview mit Bartholomäus Grill«Wir werden für Lebensmittel mehr bezahlen müssen»
Die Bauernproteste in Europa seien verständlich, sagt Autor Bartholomäus Grill. Sie seien aber auch Ausdruck einer «Uneinsichtigkeit», dass eine weltweite Agrarwende dringend sei.
Herr Grill, Europas Bauern gehen für höhere Preise auf die Strasse. Zu Recht?
Die Proteste der Bauern beruhen auf wirtschaftlichen Nöten und sind erst mal verständlich. Die Erzeugerpreise gehen mehr und mehr zurück. Das hängt auch mit dem Preisdiktat der Discounter, Lebensmittelkonzerne und Supermarktketten zusammen.
Die Proteste seien «erst mal verständlich». Haben Sie noch eine andere Einschätzung?
Es gibt eine Uneinsichtigkeit, was die Notwendigkeit grundlegender Änderungen in der Agrarproduktion betrifft. Die «Wutbauern», wie sie in Deutschland genannt werden, protestieren auch gegen Kürzungen von Subventionen für Agrardiesel im Umfang von 900 bis 3000 Euro pro Jahr. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie der Bauernprotest ausfallen wird, wenn die dringend nötige Agrar- und Ernährungswende umgesetzt werden sollte.
Im Buch «Bauernsterben» bezeichnen Sie die Landwirte als Krieger, die Agrarindustrie als Feldherren. Gegen wen wird dieser Krieg geführt?
Der Krieg wird gegen die Natur und unsere Umwelt geführt – und damit letztlich gegen uns selber. Der Agrar- und Ernährungssektor ist für nahezu 40 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit der grösste Emittent. Die Landwirtschaft verbraucht 70 Prozent des weltweiten Süsswassers. Rund 40 Prozent der Nutzflächen sind bereits ausgelaugt und degradiert. Zugleich erleben wir durch den Pestizideinsatz das grösste Artensterben seit 66 Millionen Jahren.
Und das sagen Sie als Bauernsohn aus Bayern?
Die Fünfzigerjahre des vorherigen Jahrhunderts waren eine völlig andere Zeit. Unser Hof betrieb eine nachhaltige Kreislauflandwirtschaft. Anfang der Sechzigerjahre begann in der Landwirtschaft die grüne Revolution. Der Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden, Wachstumshormonen und Antibiotika führte in Kombination mit den Schutzzöllen der EU zu einer gigantischen Überproduktion.
Die Vorläuferorganisation der EU wollte mit der Förderung der Produktion die Abhängigkeit vom Ausland beenden. Das ist doch ein hehres Ziel?
Der Grundgedanke war absolut richtig. Nach der Not im Zweiten Weltkrieg sollten in Europa nie wieder Menschen hungern. Aber die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft schoss weit über dieses Ziel hinaus. Die Überproduktion wurde erst viel zu spät abgebremst.
In Äthiopien fehlen Düngemittel, Saatgut und Marktzugang. Unterernährung ist weit verbreitet. So sah doch auch die europäische Landwirtschaft am Ende des Zweiten Weltkriegs aus?
Afrika braucht eine grüne Revolution wie einst Europa vor achtzig Jahren, um seine Nahrungsmittelproduktion zu steigern. Aber Europa müsste zugleich seine Produktion reduzieren und nicht die Märkte des Südens mit billigen Überschussprodukten überschwemmen. Dadurch werden die afrikanischen Kleinbauern schwer geschädigt.
«Es ist absurd, dass ein Land Getreide exportiert, in dem Teile der Bevölkerung hungern.»
Was muss in Afrika selber geschehen, um die Landwirtschaft produktiver zu machen?
In vielen Ländern braucht es eine Landreform, weil die Bauern den Grund und Boden nicht besitzen und nicht beleihen können. Sie können also nicht investieren. Die Regierungen müssten die entsprechenden Weichen stellen. Sie sehen aber erst allmählich ein, wie wichtig die Landwirtschaft auch als Wirtschaftszweig ist, der Arbeitsplätze schafft und die ländlichen Räume entwickelt.
Auf äthiopischen Strassen haben Sie beobachtet, wie sich Getreidehilfslieferungen mit Getreidetransporten kreuzten, die zum Hafen in Djibouti fuhren. Was läuft da schief?
Länder wie China oder Indien haben wachsende Bevölkerungszahlen und müssen Nahrungsmittel importieren. Dafür pachten sie grosse Flächen in Afrika. Dies führt zur absurden Situation, dass ein Land Getreide exportiert, in dem Teile der Bevölkerung hungern.
Dazu braucht es aber auch korrupte Regierungen, die Hand bieten?
Die korrupten Regierungen hoffen, dass kräftig investiert wird. Aber die Bevölkerungen nehmen das immer weniger hin. In Madagaskar zum Beispiel wollte die Regierung 1,3 Millionen Hektaren Pachtland für 99 Jahre zu einem Spottpreis dem koreanischen Konzern Daewoo überlassen – die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Insel! Man nennt das Landgrabbing. Das Vorhaben löste Anfang 2009 schliesslich einen Volksaufstand aus, und die Regierung wurde gestürzt.
Wie gravierend ist das Landgrabbing-Problem in Afrika heute?
Genaue Zahlen dazu kennt man leider nicht, weil viele dieser Deals geheim sind.
Ein weiteres Problem ist die Spekulation mit Weizen. 2011 wurde mehr als das 73-Fache der realen Weizenernte in Termingeschäften gehandelt. Was ist daran so lukrativ?
Es geht um Spekulationsgeschäfte in Bezug auf die Preisentwicklung. Es ist das übliche Monopoly mit landwirtschaftlichen Rohstoffen.
Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg auf die Spekulation mit Weizen?
Der Krieg hat die Weizenlieferungen aus der Ukraine und aus Russland massiv reduziert. In Zeiten von Verknappung und Unsicherheit werden Börsengeschäfte attraktiver. Seit dem Ende von Corona geht die Börse durch die Decke – trotz oder eben wegen der zahlreichen Krisen und Kriege. Viele Börsianer würden denn auch ein Comeback von Donald Trump als US-Präsident begrüssen. Die Unberechenbarkeit ist der Treibstoff von Spekulation.
Die europäischen Exporte überschwemmen Afrika, es gibt Landgrabbing und Weizenspekulation. Was ist nun das Hauptproblem im Kampf gegen Hunger?
Häufig wird gesagt, wir müssten mehr produzieren, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Das ist gar nicht einmal nötig. Denn nur auf der Hälfte der weltweiten Nutzflächen werden Nahrungspflanzen angebaut. Die andere Hälfte wird für den Anbau von Futtermitteln wie Soja verwendet oder für die Produktion von Bioenergie eingesetzt. Mit billigem Soja als Tierfutter wird der weltweit steigende Fleischkonsum bedient. In Europa geht er zwar langsam zurück, aber in Schwellenländern wie Brasilien und China nimmt er zu, weil dort Fleisch als Zeichen von Wohlstand gilt. So werden tropische Regenwälder in Indonesien und Brasilien abgeholzt, um Platz für Rinderherden und Sojafelder zu schaffen.
«Es könnten weit über zehn Milliarden Menschen ernährt werden.»
Was wäre dagegen zu tun?
Die pflanzliche Produktion sollte grösstenteils für die Herstellung von Nahrungsmitteln verwendet werden. So könnten weit über zehn Milliarden Menschen ernährt werden. Das bedeutet nicht, dass wir alle Vegetarier werden müssen. Aber wir müssen den Fleischkonsum und unser Ernährungsverhalten umstellen und klimaverträglicher machen.
Aufrufe zum Fleischverzicht lösen oft heftige Reaktionen aus.
Es ist einfach ein Fakt, dass wir den Verbrauch reduzieren sollten. Es hungern nicht «nur» 800 Millionen Menschen, es leiden auch fast zwei Milliarden Menschen an Übergewicht. Gesundheitspolitisch wäre es daher vernünftig, die Ernährung umzustellen. Wir müssen weg von industriell verarbeiteten Produkten, die für viele Zivilisationskrankheiten verantwortlich sind.
Was heisst das für ein Land wie die Schweiz?
Die Schweiz hat eine sehr kleinteilige Landwirtschaft mit einer durchschnittlichen Hofgrösse von 22 Hektaren. Mittlerweile wird jeder sechste Betrieb biologisch betrieben. Das ist das Gegenteil der agrarindustriellen Erzeugerschlacht. Zudem ist es vorbildlich, wie sich diese Bauern als Landschaftspfleger und Naturschützer betätigen.
Das klingt sehr schön. Die Schweizer Bevölkerung hat eine Beschränkung des Pestizideinsatzes aber abgelehnt.
Die Bauern sehen ihre Einkommensgrundlage gefährdet, wenn die Pestizide reduziert werden. Ich bin nicht prinzipiell gegen Subventionen. Die Schweiz kann stolz sein auf ihre Kultur- und Berglandschaft. Das ist auch das Ergebnis der Arbeit von Bauern. Und dafür müssen sie honoriert werden.
Sie fordern ein Verbot von Mastfabriken. Die Nachfrage nach Billigfleisch ist aber ungebrochen.
In Mastfabriken werden die Tiere gequält. Die meisten Verbraucher lehnen sie ab. Aber gleichzeitig wollen sie billige und gesunde Nahrungsmittel. Das kann nicht aufgehen. Wir werden künftig mehr für Lebensmittel bezahlen müssen. Europäerinnen und Europäer geben nur 10 bis 12 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. In Afrika sind es 60 bis 70 Prozent.
Sie essen aber nach wie vor Fleisch. Warum?
Ich habe meinen Verbrauch reduziert und esse zweimal die Woche Fleisch aus extensiver Produktion.
«Würde man die Umweltschäden auf die Preise aufschlagen, wäre Fleisch aus Massenproduktion nicht mehr bezahlbar.»
Bioprodukte können sich aber nicht alle leisten.
Im Bioladen bleiben die Besserverdienenden unter sich. Das ist so.
Was tun, damit Biofleisch bezahlbar wird?
Das heutige Subventionssystem begünstigt in der Regel Masse. Wer hat, dem wird gegeben. Es sollte aber das Gegenteil gelten: Je kleiner und nachhaltiger der Betrieb, desto mehr sollte er für seine Produkte bekommen. Wenn man die wahren Kosten der Nahrungsmittelproduktion inklusive der Umweltschäden auf die Preise aufschlagen würde, wäre das heutige Billigfleisch aus Massenproduktion nicht mehr bezahlbar. Es ist eine grosse Herausforderung, die Bevölkerung mit günstigen und gesunden Nahrungsmitteln zu versorgen und die Existenz der bäuerlichen Familienbetriebe zu sichern.
Reicht die Umstellung auf Bio, um die Ernährungswende zu schaffen?
Nein. Es braucht auch eine effizientere Nutzung der Ressourcen durch eine digitalisierte Landwirtschaft. Hat man alle Informationen über die Produktion, kann man Dünger auch gezielter einsetzen. Wenn jede Kuh einen Transponder hat, kann man viel sparen bei den Futterplänen. Spannend ist auch die Entwicklung der mikrobiellen Nahrungsmittelerzeugung in Biomeilern. Das schont Böden, Wasser und Luft. Es gibt mittlerweile «nachgebaute» Steaks, die man kaum mehr von echtem Fleisch unterscheiden kann. Allerdings braucht es dafür viel Energie.
Alles in allem klingt das deprimierend. Was gibt Ihnen Hoffnung?
Das Bewusstsein der Bevölkerung in Bezug auf Tierwohl und Fleischkonsum wächst. Die Klimaveränderung kann man nicht mehr leugnen. Ich hoffe, dass dies einen Mentalitätswandel auslöst, der letztlich auch zu politischen Reformen in Richtung Agrarwende führt.
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