Möglicher Ausfall des InternetverkehrsDurchtrenntes Ostsee-Kabel zeigt, wie verwundbar die Weltwirtschaft ist
Unterwasserleitungen sind das Rückgrat des Datenverkehrs. Telefone, Autos, Fernsehgeräte und sogar Kühlschränke könnten bei einem gravierenden Angriff nicht mehr funktionieren.
![This picture taken on October 12, 2015 shows the C-Lion1 submarine telecommunications cable being laid to the bottom of the Baltic Sea by cable laying ship "Ile de Brehat" off the shore of Helsinki, Finland. Germany and Finland said November 18, 2024 they were "deeply concerned" that an undersea telecommunications cable linking the countries had been severed and opened a probe, at a time of high tensions with Russia.
"Our European security is not only under threat from Russia's war of aggression against Ukraine, but also from hybrid warfare by malicious actors," the countries' foreign ministers said in a joint statement.
sr/sea/js (Photo by Heikki Saukkomaa / Lehtikuva / AFP) / Finland OUT](https://cdn.unitycms.io/images/56MaE4DAaW5Bu_a5auC0aF.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=jdlPTWXzMbQ)
- Unterwasser-Seekabel sind strategisch verletzliche Infrastrukturen.
- Ein Ausfall gewisser Kabel könnte Chaos an Finanzmärkten und im Internetverkehr auslösen.
- Trotz Beschädigung der Ostsee-Seekabel: In der Schweiz war die Swisscom-Kundschaft nicht betroffen.
Sicherheitspolitikerinnen und Militärs sind wegen der Beschädigung zweier Ostsee Unterseekabel alarmiert. Seit Montag wird über die Beschädigung dieser beiden Kabel gemutmasst. Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius vermutet Sabotage. «Niemand glaubt, dass diese Kabel aus Versehen getrennt worden sind», betonte er und deutete eine «hybride Aktion» einer ausländischen Macht an.
Sabotage oder doch bloss ein Unfall? Untersuchungen dürften weitere Details ans Tageslicht fördern. Doch der Ausfall des 1200 km langen Seekabels C-Lion1 zwischen Deutschland und Finnland und tags zuvor des Kommunikationskabels Arelion zwischen Litauen und Schweden wirft ein bezeichnendes Licht auf die strategische Verwundbarkeit des globalen Datenverkehrs. Die Reparatur der Leitungen kann bis zu zwei Wochen betragen.
Unterwasserkabel werden immer wieder beschädigt, pro Jahr sind es im Schnitt 100 Ausfälle. 80 Prozent durch Schiffsanker, Erdrutsche unter Wasser oder Tsunamis. Wie gefährdet die Kabelstränge sind, zeigt der Vorfall vom März 2024, als gleich drei Kommunikationsleitungen im Roten Meer durchtrennt wurden. Das Gebiet ist unter Kontrolle der Huthi-Milizen. 25 Prozent des gesamten Internet-Datenverkehrs zwischen Europa und Asien fielen aus.
Als im Herbst 2023 die Erdgas-Pipeline Balticconnector zwischen Finnland und Estland gekappt wurde, wurde gleichzeitig eine Datenleitung beschädigt.
Swisscom-Kunden waren nicht betroffen
Schweizer Telekommunikationskonzerne oder wichtige Unternehmen sind von dem Ostsee-Unterbruch nicht betroffen. Es seien keine Auswirkungen zu spüren gewesen, erklärt die Swisscom, es seien auch keine Kundenreklamationen bekannt. Die Swisscom ist an globalen Datenautobahnen nicht beteiligt, kooperiert aber mit internationalen Partnern, über die der internationale Datenverkehr geroutet wird.
Bei einer Störung oder einem Totalausfall werden die Datenströme umgeleitet. Man spricht von Redundanzen. Das heisst: Es können mehrere Seekabel genutzt werden. Andere Ausweichmöglichkeiten sind Landleitungen (soweit vorhanden) oder Satelliten. Deren Kapazität ist allerdings begrenzt.
98 Prozent des Datenverkehrs laufen über Unterwasserkabel
Die meisten Daten werden nicht via Satellit, sondern über ein weitverzweigtes Netz am Meeresboden transportiert. Der Internetverkehr ist riesig und steigt ständig. Satte 98 Prozent des digitalen globalen Datenverkehrs würden durch Glasfaserkabel gejagt, erklärt der französische Meeresbodenexperte Eric Lavault.
Weltweit gibt es rund 450 Datenautobahnen unter Wasser. Dutzende neue Leitungen sind in Planung. Der US Think-Tank CSIS schätzt die Gesamtlänge auf rund 1,2 Millionen Kilometer. Vor allem von sogenannten Hyperscalern wie Google, Amazon, Meta oder Microsoft, die nicht nur das Datengeschäft beherrschen, sondern angesichts des Fortschritts bei künstlicher Intelligenz immer mehr Kapazitäten für den Transport benötigen.
Die Kabeltrassen werden von Spezialschiffen verlegt, bis zu einer Tiefe von 4000 Metern. Die führenden Firmen heissen Subcom, Alcatel Submarine Networks, Orange Marine und Global Marine Systems. Doch auch China mischt mit HMN Technologies beim Bau von Unterwasserkabeln kräftig mit und kontrolliert bereits 11 Prozent der Infrastruktur. Bei Reparaturschiffen ist Peking sogar führend. Praktisch alle Länder ausser Nordkorea, Eritrea und die Antarktis hängen direkt oder indirekt am weltweiten Internetverkehr.
Ein massiver Ausfall könnte Chaos auslösen
Die weltweit verlegten Unterseekabel haben eine enorme strategische Bedeutung. Sie sind, ähnlich wie Gas- oder Ölpipelines, Teil der kritischen Infrastruktur und damit Ziel jedweder hybriden Kriegsführung. Schon deshalb, weil sie das Rückgrat der digitalen Welt sind. Das hängt mit den ungeheuren Datenmengen zusammen, aber auch mit der Sensibilität der Informationen.
Denn der Internetverkehr enthält Daten von Unternehmen, Regierungen, Militärs, Botschaften, Cloud-Firmen oder Geheimdiensten, – und gigantische Mengen an Finanzdaten. Pro Tag werden via Zahlungverkehrsanbieterin Swift finanzielle Transaktionen im Wert von 10 Billionen Dollar transportiert. Ein massiver Ausfall könnte an den Finanzmärkten Chaos auslösen.
Eine Kommission unter Leitung der US-Notenbank empfahl 2010, dass Unterwasserkabel besser geschützt werden müssen. Es würden mehr Reparaturschiffe benötigt und separate unabhängige Leitungen, um im «Katastrophenfall» gerüstet zu sein.
Im selben Jahr kam eine englische Studie zu dem Schluss, dass neben nuklearer oder biologischer Kriegsführung auch ein «Totalausfall von Unterwasserkabeln» eine «existenzielle Bedrohung» bedeuten würde. 2016 warnte US-Vize-Admiral James Foggo vor einer «vierten Schlacht im Atlantik», die auch den Internetverkehr betreffen würde.
Anfang November verwies Ex-Nato-Generalsekretär Fogh Rasmussen in einem Artikel der «Financial Times» auf die «gefährliche Verwundbarkeit» der kritischen Infrastruktur Europas. Dabei erwähnte er explizit die Unterseekabel. Aber auch Telefone, Autos, Fernsehgeräte und sogar Kühlschränke würden bei einem gravierenden Angriff nicht mehr funktionieren. Rasmussen befürchtet die Schaffung «naiv neuer Schwachstellen» und wies darauf hin, dass Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew mit einem Angriff dieser Art bereits gedroht habe.
Hinter den Kulissen tobt ein Wettlauf zwischen den USA und China um die Kontrolle der Glasfaser-Netzwerke. Denn die Leitungen werden auch für Abhöraktionen genutzt. 2017 hatte Microsoft-Präsident Brad Smith noch gefordert, dass die Tech-Industrie eine «neutrale digitale Schweiz» sein soll. Doch 2020 verbot es das US-Justizministerium Google, Meta und Amazon wegen chinesischer Spionageaktivitäten, eine Leitung nach Hongkong zu verlegen. Chinesische Hacker hatten eine US-Militärbasis auf Guam angegriffen. Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums bezeichnete daraufhin die USA als «Hacking-Imperium».
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