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Interview mit Globetrotter-Chef
«In einer Krise kann man nicht wie Kapitän Schettino von Bord gehen»

Globetrotter-Chef André Lüthi (60) sagt, der Berner Reiseanbieter habe den schwersten Sturm der Geschichte überstanden. Vergangene Woche weilte er auf Kreta, wo dieses Bild entstand.
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André Lüthi, nach zwei Jahren Pandemie sind nun wieder Fernreisen möglich. Wo machen Sie diesen Sommer Ferien?

Ich werde im August eine Gruppe auf den Kilimandscharo führen und danach ein paar Tage in Afrika anhängen.

Airlines und Flughäfen kämpfen mit Personalmangel. Sind Sie besorgt, dass viele Flüge gestrichen werden könnten?

Das ist eine unschöne Situation, aber wir lösen die Probleme dann, wenn sie wirklich da sind. Sven Hedin hat gesagt: «Von den vielen Sorgen, die ich mir machte, sind die wenigsten eingetreten.» Sollten Flüge unserer Kunden wirklich annulliert werden, geben wir alles, um Lösungen zu finden. Im Moment müssen wir wegen der Annullationen etwa 1 Prozent umbuchen, also etwa 400 Reisen. Insgesamt sind Fernreisen weniger betroffen als Europaflüge.

Welches sind jetzt die gefragtesten Ferienziele?

Reisen innerhalb von Europa laufen wieder gut, die Zahlen sind fast auf dem Niveau von vor der Pandemie. Auch Reisen nach Kanada und in die USA sind sehr gefragt. Viele Schweizerinnen und Schweizer haben ihre Nordamerika-Reise nach dem Ausbruch der Pandemie verschieben müssen und wollen diese nun nachholen. Die Asienreisen dagegen liegen nur bei 40 bis 50 Prozent von 2019, wohl primär wegen der Corona-Situation in China, die viele verunsichert.

«Viele Leute sind bereit, mehr Geld auszugeben für das Reisen. Wir haben weniger Preisdiskussionen.»

Wo hat es kurzfristig noch Platz für Ferien in diesem Sommer?

Eigentlich noch fast überall, es ist aber zum Teil teuer geworden. Es gibt dieses Jahr einen Run auf Ferien am Mittelmeer, darum empfehle ich, eher mal den Norden zu bereisen.

Sie haben im Frühling gesagt, die Preise für Ferienreisen dürften dieses Jahr um bis zu 20 Prozent steigen. Wie viel teurer ist es nun?

Die Preise sind tatsächlich um bis zu 20 Prozent gestiegen. Mittlerweile gibt es Flüge, die 50 Prozent oder noch teurer wurden. Zum Beispiel Flüge in die USA im Juli. Wir stellen aber fest, dass viele Leute bereit sind, mehr Geld auszugeben für das Reisen. Wir haben weniger Preisdiskussionen. Der Grund dafür dürfte sein, dass man jetzt zwei Jahre sparen konnte und sich einfach freut, wieder reisen zu können. Und viele kommen auch wieder in die Reisebüros, weil sie in der Pandemie gemerkt haben, dass, wenn etwas schiefläuft,  es da jemanden gibt, der ihnen in schwierigen Situationen zur Seite steht.

Die Preise steigen, dann kann doch auch Globetrotter die Marge erhöhen?

Nein, das geht nicht. Fakt ist: Wir haben hohe Risiken und verdienen viel weniger als andere Branchen. Die Betriebsgewinn-Marge im Reisebürogeschäft lag im Durchschnitt vor der Pandemie zwischen 1 und 1,8 Prozent. 2020 und 2021 gab es nur Verluste.

Sie kündigten für 2022 noch 30 bis 40 Prozent weniger Umsatz als vor der Corona-Krise und unter dem Strich rote Zahlen an. Bleibt es dabei?

Aktuell gehe ich noch von 30 Prozent weniger Umsatz aus gegenüber 2019. Und dass wir ein ausgeglichenes Ergebnis schaffen. Denn wir haben Kosten reduziert, vier Filialen geschlossen und sind 170 Mitarbeitende weniger als noch 2019.

«Wären wir immer noch im Lockdown und hätte es die Hilfe von Bund und Kanton nicht gegeben, dann gäbe es uns wirklich nicht mehr.»

Im Subunternehmen Globetrotter Travel Service mussten die Mitarbeitenden untereinander ausmachen, wer geht oder reduziert. Das hat viel Kritik ausgelöst. Würden Sie dies so nochmals durchführen?

Ja, das hat mit meinem Führungsstil zu tun. Zur Globetrotter Holding gehören elf Firmen mit elf Geschäftsleitungen. Ich schenke ihnen viel Vertrauen. Die Geschäftsleitung des Globetrotter Travel Service wollten bereits im 2019 ein neues Führungsmodell einführen, mit weitgehender Selbstorganisation, Förderung der Selbstverantwortung sowie der Möglichkeit für die Mitarbeitenden, aktiv mitzugestalten. Das Modell basiert auf der klassischen Soziokratie. Der Geschäftsleiter hat mich überzeugt. Das Problem war dann, dass es im ersten Schritt um Entlassungen ging, nicht um neue Geschäfte oder Akzente im Marketing.

Ist es nicht einfach so, dass die Führung die Verantwortung, wer gehen muss, nach unten delegierte?

Nein, wenn man sich in das Modell vertieft, ist klar, dass es nicht um das geht. Bei wichtigen Entscheiden wird das Team gecoacht und die Entscheidungsfindung moderiert. Die Mitarbeitenden können aktiv mitgestalten und entscheiden im Sinne ihres Teams. So finden sie gemeinsam die für sie beste Lösung.

Kürzlich haben Sie den Mitarbeitenden dafür gedankt, dass sie das Schiff durch den schwersten Sturm der Geschichte gebracht haben. Wie stark war Globetrotter in Schieflage?

Nie so schief, dass es zu kippen drohte. Wir konnten Gegengewicht geben, indem wir die Kosten reduzierten. Aber wären wir immer noch im Lockdown und hätte es die Hilfe von Bund und Kanton nicht gegeben, dann gäbe es uns wirklich nicht mehr.

Wie sind Sie mit der Krisenbelastung persönlich umgegangen?

Ich ging viel am frühen Morgen joggen an der Aare oder aufs Bike, das hat mich getragen. Aber auch meine vielen Reisen in den Himalaja halfen mir. Ein buddhistischer Mönch sagt mir immer wieder, dass alles, was uns widerfahre, einen Sinn habe, oft sähen wir ihn einfach erst viel später. Was immer sei, man solle versuchen, ruhig zu bleiben und an das Gute zu glauben. So blieb ich zuversichtlich, obwohl wir im Gegensatz zu Konkurrenten wie Kuoni oder Hotelplan keinen grossen Konzern wie DER Touristik Suisse oder die Migros im Rücken haben.

«Einige fragten Globetrotter-Gründer Walter Kamm und mich schon, was wir denn für eine Droge nähmen.»

Im Herbst 2020 wurden Sie vom damaligen Mitbesitzer Diethelm Keller Holding fallen gelassen. Was lief da genau?

Die Diethelm Keller Group liess ihren Reiseanbieter STA, den früheren Studentenreisedienst, in Konkurs gehen. Und es wurde klar, dass sie aufgrund der Pandemie nicht mehr so richtig an den Outgoing-Tourismus glaubten. Globetrotter-Gründer Walter Kamm und ich haben dann beschlossen, die Firma zurückzukaufen. Wir konnten einen fairen Deal machen und die 50 Prozent zurückkaufen, die wir Diethelm Keller acht Jahre zuvor verkauft hatten.

Sie konnten diese 50 Prozent zu einem tieferen Preis zurückkaufen, als sie im Jahr 2013 verkauft haben?

Über Kauf- und Verkaufspreise geben wir keine Auskunft. Aber einige fragten Walter und mich schon, was wir denn für eine Droge nähmen (lacht), dass wir in der grössten Krise, als noch niemand wusste, wohin die Reise geht, in den Tourismus investierten.

Hatten Sie nie den Gedanken, den Bettel hinzuschmeissen?

Nein, vorher – als es gut lief – dachte ich schon ab und zu, was will ich noch machen in meinem Leben. Aber in einer Krise kann man nicht wie Kapitän Schettino von Bord gehen. Wir hatten den Mitarbeitenden unseren Erfolg der letzten Jahre zu verdanken, also musste ich jetzt für sie da sein. Ich sagte immer, wir bringen das Schiff durch den Sturm, aber wir kommen mit Schäden und Verlusten raus.

Haben Sie nicht doch zu viele Mitarbeitende entlassen?

Nein, in der damaligen Situation hatten unsere 12 CEO gar keine andere Wahl. Umsatz null, und wo die Pandemie hinführt, wusste niemand. Jetzt, wo wieder gereist werden kann, haben wir punktuell zu wenig Leute. Es freut mich, dass inzwischen 21 Mitarbeitende zu uns zurückgekehrt sind. Weil sie unsere Unternehmenskultur doch schätzen und eine grosse Leidenschaft fürs Reisen haben. Wir suchen noch einige neue Mitarbeitende.

Warum haben Sie nicht stärker Kurzarbeit und Härtefallgelder genutzt?

2020 gab es noch keine Härtefallgelder, aber wir mussten Reisen von 90’000 Kundinnen und Kunden umbuchen oder annullieren. Wir hatten also enorm viel Arbeit, konnten keine Kurzarbeit beantragen, weil wir eben arbeiten mussten, und hatten gleichzeitig keinen Franken an Einnahmen. Als dann im Herbst 2021 die Härtefallgelder eintrafen, verbesserte sich die Finanzlage, aber das Geschäft zog noch nicht an.

Wie viele der à fonds perdu gewährten Härtefallgelder von Bund und Kantonen hat Globetrotter erhalten?

Diese Zahl kann ich nicht nennen. Aber ich bin sehr dankbar dafür. In der Schweiz wurden viele Unternehmen gerettet. In anderen Ländern gingen viele Unternehmen in verschiedensten Branchen einfach pleite. Ich kann daher die harte Kritik am Bundesrat und den Kantonsregierungen nicht verstehen.

«Ein bis zwei längere Reisen sind ökologischer als zehn Kurztrips.»

Die Schweiz erlebt bereits im Juni eine Hitzewelle. Trotzdem halten sich die Leute beim Fliegen nicht zurück.

Ja, ich habe aber immer noch die Hoffnung, dass der eine oder die andere damit aufhört, achtmal im Jahr für 40 Euro über ein Wochenende irgendwohin zu fliegen. Sondern, dass man wieder spart für eine grössere, intensive Reise, um sich Zeit zu nehmen für Land und Leute. Ein bis zwei längere Reisen sind ökologischer als zehn Kurztrips, und es ist vor allem für einen selber und das bereiste Land nachhaltiger.

Machen Sie keine Kurztrips?

Doch, das habe ich auch schon gemacht, primär geschäftlich. Aber nur für ein Wochenende nach London, darauf verzichte ich.

Ihr Lebenswerk scheint gerettet. Und Sie haben gerade einen Award der European Experts in Marketing für die Kommunikation in der Pandemie erhalten. Wie lange wollen Sie Ihren Job noch machen?

Zuerst wegen des Lebenswerks: Unser Unternehmen ist ein Kunstwerk, für das der Gründer Walter Kamm den Grundstein legte und das alle Mitarbeitenden zu dem machten, was es heute ist. Ich werde bis an mein Lebensende dem Reisen verbunden bleiben. Weil ich das grosse Glück hatte, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen.