Deutschland wähltIn der Union greift Panik um sich
CDU und CSU fürchten den Verlust der Macht und wirken dabei immer kopfloser. Markus Söder lädt alle Schuld bei Armin Laschet ab. Und Angela Merkel hilft auch nicht weiter.
Wie man mit überzogenen Erwartungen Enttäuschungen provoziert, lässt sich im Sport und in der Politik täglich beobachten. Die bayerische CSU ist eine Meisterin in der Disziplin – vor allem wenn es um Erwartungen an die grosse Parteischwester CDU geht.
«Wenn es noch eine Chance gibt, den Trend zu brechen, dann an diesem Wochenende»: Derart ultimativ begrüsste CSU-Generalsekretär Markus Blume CDU-Chef Armin Laschet zum am Freitag beginnenden Parteitag der Christlich-Sozialen in Nürnberg, der Heimatstadt von CSU-Chef Markus Söder. Und damit das Publikum auch begreift, wie der Gruss an den gemeinsamen Kanzlerkandidaten gemeint ist, schickte Blume noch hinterher, dass die Union mit Söder als Kandidat «natürlich besser» dastünde.
Laschet winken am Wochenende tatsächlich zwei wichtige Auftritte, neben der mit Spannung erwarteten samstäglichen Rede bei der CSU am Sonntagabend das zweite TV-Streitgespräch mit den übrigen Kanzlerkandidaten, diesmal bei ARD und ZDF.
Zwei Wochen vor der Wahl halten sich die Sozialdemokraten dank Olaf Scholz in den Umfragen mit rund 25 Prozent als stärkste Kraft, die Union dümpelt wegen Laschet mit drei bis fünf Punkten Abstand dahinter. Das braucht bis zum Wahltag nicht unbedingt so zu bleiben. Obwohl die Briefwahl längst begonnen hat, sind sich laut der jüngsten Umfrage des ZDF vom Freitag immer noch 41 Prozent der Deutschen unsicher, welche Partei sie wählen sollen (und ob überhaupt).
Was eine andere Umfrage dieser Woche auch zeigt: Wäre Söder Kanzlerkandidat der Union, würde die Lage, wie Blume behauptet, wohl tatsächlich ganz anders aussehen: Söder läge mit 38 Prozent an der Spitze der Kanzlerpräferenzen, Scholz’ Werte würden sich auf 21 Prozent mehr als halbieren.
Die CSU erschüttert vor allem, dass die Laschet-Schwäche der CDU jetzt auch sie selbst in den Abgrund zieht. In Bayern ist die Partei trotz der Beliebtheit ihres Ministerpräsidenten zuletzt unter die 30-Prozent-Schwelle gefallen – bislang galten schon Werte unter 40 Prozent als Katastrophe. Dass Söder durch die monatelange Zurschaustellung, er wäre der bessere Kandidat gewesen, wesentlich zur Demontage Laschets beigetragen hat, diese Einsicht ist bei der CSU eher wenig verbreitet.
Aber nicht nur in Bayern, auch im Hauptquartier der CDU in Berlin regiert längst die Panik. Statt des «Schlafwagenwahlkampfs», den Söder Laschet vorwarf, ist längst grösste Hektik ausgebrochen. Um den Zweifeln an seiner Person zu begegnen, stellt der CDU-Chef gerade jeden zweiten Tag irgendwelche Kompetenzteams für wichtige Themen vor – meist mit frischen Köpfen, die kaum einer kennt. Bis zur Wahl kann sich das auch nicht mehr ändern.
Angesichts der Lage hat die Union zudem ihre Wahlkampfstrategie geändert: Statt vor den «Verbots-Grünen» zu warnen, malt sie jetzt das Gespenst einer Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei an die Wand. Merkel-Wählerinnen und -Wähler der politischen Mitte, die zuletzt in Scharen zu Scholz übergelaufen sind, bringt man damit zwar nicht zu Laschet zurück. Die eigene Basis lässt sich damit aber womöglich mobilisieren.
Auf einmal macht Merkel Wahlkampf
Auch Angela Merkel, die scheidende Kanzlerin, erachtet die Entwicklung offensichtlich als derart bedrohlich, dass sie nicht mehr abseitsstehen will. Hatte sie sich bei der Frage, wer ihr in Partei und Kanzlerkandidatur nachfolgen sollte, noch eisern zurückgehalten, ist es mit der quasipräsidialen Zurückhaltung nun vorbei. In den letzten zwei Wochen zeigte sie sich immer häufiger mit Laschet, ihre womöglich letzte Rede im Bundestag diese Woche verwendete sie weniger für eine Bilanz ihrer Kanzlerschaft als vielmehr dafür, für Laschet als Nachfolger zu werben.
Dass Merkel der Wahlkampf eher zuwider ist und sie findet, ein Kandidat müsse schon selbst laufen lernen, ist bekannt. Gleichzeitig wurden die Rufe nach Unterstützung durch die immer noch beliebteste Politikerin Deutschlands in ihrer Partei immer lauter. Ihre konservativen Gegner wiederum bereiten für den Fall einer Niederlage ohnehin längst die Erzählung vor, dass daran nicht der lasche Anwärter Laschet, sondern vor allem die Kanzlerin schuld sei.
Um den Vorwürfen zu begegnen, liess sich Merkel zu ein paar Wahlspots herab – so interpretierten deutsche Medien ihr Engagement diese Woche mehrheitlich. Nützen wird es dem Kandidaten wohl eher wenig.
Steht Laschet am Wahlabend als klarer Verlierer und ohne realistische Machtperspektive da, wird in der CDU jedenfalls kein Stein auf dem anderen bleiben. Die Partei wird dann – nach zuvor 18 Jahren Merkel – zum dritten Mal innert drei Jahren einen neuen Vorsitzenden benötigen. Die Kämpfe um das, was nach dem Abtritt der Langzeitkanzlerin von der Partei übrig bleibt, beginnen dann erst.
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