Laschet, Söder, Baerbock?Warum sich Merkel aus der Nachfolgefrage raushält
Im Machtkampf zwischen Armin Laschet und Markus Söder schwieg Angela Merkel – zum Ärger vieler Laschet-Anhänger. Für ihre Zurückhaltung hat die Kanzlerin gute Gründe.
Sieben Stunden lang stritt die Führung der deutschen Christdemokraten über die Frage, ob CDU-Chef Armin Laschet oder Markus Söder von der CSU Kanzlerkandidat werden sollte. Mehr als 60 Vorstandsmitglieder ergriffen das Wort, nur eine nicht: Angela Merkel. Auch als am Ende geheim abgestimmt und Laschet gewählt wurde, enthielt sich die Kanzlerin ihrer Stimme.
Was aus Merkels Sicht wie ein Symbol für jene äusserste Zurückhaltung wirkte, die sie sich auferlegt hatte, war natürlich im Grunde ein ungeheuerlicher Akt: 18 Jahre lang hatte sie die CDU geführt, seit 16 Jahren regiert sie Deutschland. Und nun sollte sie keine Meinung dazu haben, wer aus der Union ihr Nachfolger werden könnte?
Unmöglich, dass Merkel dazu keine Meinung hat: Sie hat ja mit Laschet wie mit Söder durchaus ihre Erfahrungen gemacht.
Merkel hat mit Laschet und Söder in den letzten Jahren ja durchaus ihre Erfahrungen gemacht. Der Rheinländer steht ihr politisch seit langem nahe. In der Flüchtlingskrise verteidigte Laschet ihre Politik auch dann noch, als sie in ihrer Partei nicht mehr viele Fürsprecher hatte. Mit Söder hingegen, der Flüchtlinge einmal als «Asyltouristen» diffamierte, stritt sie sich damals bis an den Rand des Bruchs. Erst in der Pandemie stellte sich der Franke demonstrativ an Merkels Seite – während wiederum Laschet von deren striktem Kurs Abstand nahm.
Setzte sich Merkel deswegen nicht für Laschet ein?, fragten viele in der CDU. Dessen Anhänger machten der Kanzlerin hinter vorgehaltener Hand bittere Vorwürfe: Ihr Schweigen unterstütze faktisch Söder. Ob sie diesen wirklich als Kanzler wolle? Kritiker warfen ihr erneut vor, sie habe es verpasst, «einen Nachfolger aufzubauen».
Geht es ihr am Ende nur noch um sich selbst? Ist ihr das Schicksal der Union egal?
Andere bezichtigten Merkel der Gleichgültigkeit, ja des Zynismus: Es gehe ihr offensichtlich nur um sich. Wer nach ihr folge, sei ihr egal – und sei es die Grüne Annalena Baerbock. In den sozialen Medien wurden dazu gerne Fotos verbreitet, die die Kanzlerin im vertraulichen Gespräch mit der 40-Jährigen zeigten. Es ist bekannt, dass Merkel Baerbock schätzt, vor allem wegen ihrer analytischen Art.
Mit welchem Leitgedanken die Kanzlerin ihre Nachfolge angeht, hat sie vor kurzem noch einmal öffentlich bestätigt: «Ich wollte, will und werde mich heraushalten.» Bereits 2013 hatte sie auf Fragen, ob sie nicht langsam eine Nachfolgerin «aufbauen» müsste, geantwortet: «Ich würde mal sagen, es hat sich schon immer jemand gefunden, der was werden wollte in Deutschland.» Vier Jahre später erklärte sie, sie halte das immer noch für eine «schlaue Antwort». Das findet sie offensichtlich bis heute.
Merkel glaubt nicht daran, dass man in einer Demokratie Macht einfach so auf einen «Nachfolger» übertragen kann.
Dem Vernehmen nach leitet Merkel eine Grundeinsicht: Sie glaubt nicht daran, dass man in einer Demokratie Macht einfach so übertragen kann. Und sie hält es für eine Illusion, zu glauben, eine Kanzlerin brauche nur mit dem Finger auf eine politische Vertraute zu zeigen und die werde dann ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger. Ihre ganze Erfahrung, so wird kolportiert, spreche dagegen, dass es so laufe.
Belegt ist auf jeden Fall, dass in der deutschen Nachkriegsgeschichte bisher kein Kanzler so ins Amt kam. Weder Konrad Adenauer noch Helmut Kohl, Merkels Vorgänger als Langzeitregenten, bestimmten ihre Nachfolger selbst, im Gegenteil: Adenauer versuchte 1963 zu verhindern, dass ihm Ludwig Erhard nachfolgte, Kohl versagte Wolfgang Schäuble 1998 die Kanzlerkandidatur. Am Ende scheiterten beide mit ihrem Plan. Wichtiger als die Frage des Nachfolgers ist Merkel ohnehin, dass sie im Herbst die erste Kanzlerin sein wird, die das höchste Regierungsamt aus freien Stücken abgibt.
Als Annegret Kramp-Karrenbauer Ende 2018 Merkels Nachfolgerin als CDU-Chefin wurde und die Kanzlerin sich öffentlich darüber freute, vermeinten viele, sie habe damit «ihre Nachfolgerin» gefunden. Das war ein Missverständnis, wie sich schon bald zeigen sollte. Merkel ernannte die politisch bereits angeschlagene Saarländerin zwar noch zur Verteidigungsministerin, um ihr ein Amt zu verschaffen, in dem sie sich profilieren könnte. Als die frühere Vertraute aber auch daraus wenig machte, verhinderte Merkel nicht, dass diese Anfang 2020 ihren Kanzlertraum aufgab.
Die Kanzlerin ist überzeugt, dass man sich Macht am Ende immer erkämpfen muss.
Kramp-Karrenbauer habe es am letzten Machtwillen gefehlt, sagte man im Kanzleramt danach hinter vorgehaltener Hand. Sonst hätte sie vielleicht sogar versucht, Merkel aus dem Amt zu drängen, als dies Anfang 2019 vielleicht möglich gewesen wäre. Die Kanzlerin selbst jedenfalls sei überzeugt, dass man sich Macht am Ende immer erkämpfen müsse. Und nur wer sich durchsetze, habe sie auch verdient.
Hätte Merkel sich in der entscheidenden Phase für Laschet ausgesprochen, wäre dessen Wahl später stets mit dem Hinweis versehen worden, er sei «der Kandidat von Merkels Gnaden». Und sie wäre für dessen weiteren Weg ständig in Mitverantwortung genommen worden. Dass Laschet es am Ende ohne ihre Unterstützung schaffte, stärkte, so gesehen, seine Legitimation. Ihr Nachfolger ist er damit aber noch lange nicht.
Die Union könne sich ihres Siegs im Herbst jedenfalls nicht sicher sein, glaubt man im Kanzleramt.
Merkel hat mehrmals erklärt, es sei ihr Ziel, ihr Amt so zu führen, dass ihr eine Frau oder ein Mann aus der Union nachfolgen könne. Natürlich auch aus Eigennutz: Käme es im Herbst zu einem Machtwechsel, würde ihr das bestimmt persönlich als Scheitern ausgelegt.
In der CDU-Zentrale war man sich spätestens seit Ausbruch der Pandemie ganz sicher, dass der künftige Kanzler nur der eigenen Partei entstammen könne. Im Kanzleramt war man schon damals skeptischer. Die Grünen hätten seit einigen Jahren vieles sehr richtig gemacht, glaubt man dort heute. Wer am Ende die Merkel-Wähler in der Mitte für sich gewinne – die CDU oder die Grünen –, sei noch nicht entschieden.
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