Firmen kommen trotz Corona ins Land«Wir fanden die Covid-Massnahmen in der Schweiz zurückhaltender»
Selbst während der Pandemie siedeln sich ausländische Firmen im Land an. Stefan Suter ist einer von ihnen. Vieles spreche dafür, auch der «gesunde Menschenverstand» in Sachen Corona.
Ausgerechnet in der Corona-Krise hat das Lifescience-Unternehmen Holmusk eine Niederlassung in Basel eröffnet. Warum? «Wir fanden die Covid-Massnahmen in der Schweiz zurückhaltender, es wird mehr als anderswo nach gesundem Menschenverstand gehandelt», begründet Stefan Suter, Leiter von Holmusk Europa. Die Firma aus Singapur entwickelt Datenmodelle für die personalisierte Medizin bei psychischen Erkrankungen.
«Die Schweiz ist ein liberaler Markt, das hat sich in der Pandemie bestätigt», erklärt Suter die Standortwahl und den Gründungszeitpunkt der siebten internationalen Holmusk-Vertretung. Der Schweizer Markt selber sei zwar nicht attraktiv, dafür aber die in Basel ansässigen Lifescience-Firmen und die Verfügbarkeit von mehrsprachigen, gut ausgebildeten Spezialisten. Beides soll dereinst einen direkten Zugang für eine Expansion nach Deutschland oder Frankreich liefern: «Wir sehen die Schweiz als Tor zu Europa.»
Holmusk ist bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das in der Corona-Zeit die Schweiz als neuen Standort gewählt hat: Gemäss einer Aufstellung der Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren sind im vergangenen Jahr 220 ausländische Firmen zugezogen und haben insgesamt 1168 neue Stellen geschaffen. Das sind 11 Prozent mehr Arbeitsplätze als im Vor-Corona-Jahr 2019.
Der Rest der Welt macht rückwärts
Den positiven Trend bestätigt der jüngste FDI Report der «Financial Times» – ein Bericht, der die Ansiedlungen und Direktinvestitionen ausländischer Firmen weltweit unter die Lupe nimmt. Danach hat die Schweiz im vergangenen Jahr einen Zuwachs von 17,5 Prozent erzielt – als eines von ganz wenigen Ländern weltweit.
Fast alle anderen Staaten mussten dagegen teils empfindliche Einbussen hinnehmen. Von den 30 wichtigsten Ländern, in welche Direktinvestitionen fliessen, hat nur noch Irland zulegen können – allerdings nur um 2,3 Prozent.
Im laufenden Jahr setzt sich der Aufwärtstrend in der Schweiz fort. In den 9 Kantonen, die sich in der Greater Zurich Area zusammengeschlossen haben, siedelten sich im ersten Halbjahr 55 neue Unternehmen an. Gemäss Kommunikationschef Reto Sidler ist das ein Anstieg um 90 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode.
«Mindestens stabil» ist laut Sprecher Martin Jordan die Entwicklung in der Basel Area, der neben den beiden Halbkantonen der Jura angeschlossen ist.
Gut auf Kurs ist auch der Kanton Luzern: «Nun, da sich die Wirtschaft zu erholen beginnt, stellen wir ein gesteigertes Interesse fest und liegen aktuell leicht über dem Vorjahr», sagt Ivan Buck, Direktor der Luzerner Wirtschaftsförderung. Im Juni bezog die US Pharma-Unternehmung Organon mit 200 Mitarbeitenden ihre neue Location in der Stadt Luzern – was die bis dato grösste Ansiedlung dort darstellt.
Nichts Neues wird hingegen im Westen beobachtet. Er merke bisher keine Wirkung der Pandemie, sagt Thomas Bohn, Geschäftsführer der Greater Geneva Bern Area (GGBa), der Standortförderungs-Organisation der Westschweizer Kantone sowie Berns. Übers ganze Land gesehen, gehörte das Corona-Jahr 2020 dennoch zu den stärksten überhaupt, stellt Patrik Wermelinger fest, Leiter Standortpromotion bei Switzerland Global Enterprise.
«Dass wir in der Schweiz den Fokus zunehmend auf hoch spezialisierte Firmen setzen, hat bestimmt nicht geschadet.»
Dass das so ist, hängt nur teilweise mit Corona zusammen. Wermelinger führt zum einen die Strategie der Schweiz ins Feld, auf wertschöpfungsintensive Branchen zu setzen. Zum anderen sei die Schweizer Stärke in Zukunftstechnologien wie künstlicher Intelligenz oder Blockchain während der Pandemie besonders gefragt.
«Dass wir in der Schweiz den Fokus zunehmend auf hoch spezialisierte Firmen setzen, hat bestimmt nicht geschadet», lautet die Erklärung von Matthias Schnyder, dem Generalsekretär der Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren.
Und gerade in der Krise seien die typisch schweizerischen Werte ein wichtiger Standortvorteil: «In unsicheren Zeiten ist ein stabiles Land mit funktionierender Infrastruktur und einem funktionierenden Gesundheitswesen, das die besten Talente hat und innovativ ist, noch wertvoller geworden», sagt Patrik Wermelinger von Switzerland Global Enterprise.
Unsicherheit schadet dem Geschäft
Der Thurgauer Regierungsrat Walter Schönholzer, Co-Präsident der Steuerungsgruppe Landesmarketing von Bund und Kantonen, hebt die Verlässlichkeit hervor. Die Stärke unseres Landes sei, dass unsere Prozesse funktionierten, dass Rechtsstaatlichkeit gegeben sei und man sich absolut darauf verlassen könne, dass ein einmal gefällter Entscheid auch durchgezogen werde: «In der Schweiz ist es nicht so, dass man viel verspricht, und dann passiert nichts.»
«Unsicherheit ist schlecht fürs Geschäft», meint auch der Zürcher Standortförderer Sidler. Und die dauert an. Auch wenn sich die Schweiz bisher gut geschlagen hat, ist die Pandemie noch nicht ausgestanden.
Es gibt auch weitere Risikofaktoren: Die geplante globale Mindeststeuer von 15 Prozent für alle grossen Unternehmen könnte die eine oder andere Firma davon abhalten, sich in der Schweiz niederzulassen: «Wenn deshalb die Steuersätze steigen, werden wir bestimmt an Attraktivität verlieren», fürchtet GGBa-Geschäftsführer Bohn. Die FDP macht daher Druck, dass die Schweiz die drohende Steuerharmonisierung kompensiert, um attraktiv zu bleiben.
Was Standortvermarkter Bohn und seine Kollegen aber mehr beunruhigt, sind die wackligen Beziehungen zur EU. Die gute Nachricht: Von den möglichen Folgen wie dem Ausschluss der Schweiz aus dem Forschungsprogramm Horizon wissen die US-Firmen noch gar nichts. «Wir sprechen es nicht offensiv an», sagt Bohn. «Sondern wir stellen uns auf den Standpunkt: Wir Schweizer finden immer eine Lösung.»
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