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Probefahrt
Im Familien-SUV auf den Dragstrip

Der sechsplätzige SUV katapultiert sich in 2,6 Sekunden auf Tempo 100 – die Elektromobilität macht es möglich.
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Schöne neue Autowelt. Der Wandel zur Elektromobilität verringert nicht nur die lokalen CO2-Emissionen, mit ihm kehrt auch endlich wieder Vernunft ein in der PS-Branche. Dachte man – doch weit gefehlt: Der Elektroantrieb eröffnet den Herstellern Möglichkeiten, von denen auch die grössten Leistungsfanatiker vor Jahren nicht zu träumen gewagt hätten. Brave Familienkutschen beschleunigen plötzlich wie Supersportwagen, die Autohersteller überbieten sich gegenseitig mit immer grösseren Batterien und immer noch höheren Leistungswerten. Das PS-Wettrüsten ist nicht abgeflaut, sondern läuft auf noch höheren Touren.

Ein Beispiel dafür ist der Tesla Model X. Die Neuauflage des fünf Meter langen, sechsplätzigen SUV ist auch in der Grundversion schon enorm leistungsstark, doch die neue Variante Plaid sprengt jeden Rahmen. Die drei Elektromotoren, die den über 2,5 Tonnen wiegenden Familienwagen über alle vier Räder antreiben, erzeugen gemeinsam eine Leistung von 750 kW – das sind 1020 PS in alter Währung. Noch vor wenigen Jahren waren solche Werte Formel-1-Boliden oder hochgezüchteten Dragstern mit Nitroeinspritzung auf dem Dragstrip vorbehalten, heute fährt die Familie damit ins Wochenende. Die Hersteller machen es, weil sie es können – die neue Antriebsform macht solche Leistungsexzesse ohne grossen technischen Aufwand möglich. Die Kunden goutieren es, indem sie die Showrooms leerkaufen.

Der neue Leistungswahn

Um die Käufer zum Umstieg auf ein Elektroauto überzeugen zu können, benötigen die Fahrzeuge eine hohe Reichweite, und die erreicht man nur mit einer grossen Batterie. Wegen der Akkus sind die E-Autos deutlich schwerer als vergleichbare Modelle mit Verbrennungsmotor, daher benötigen sie mehr Leistung, um auf die gleichen Fahrleistungen zu kommen. Und um mehr Leistung aus einem Elektromotor zu holen, braucht es wiederum eine grosse Batterie. Dieser Teufelskreis erklärt den neuen Leistungswahn aber nur zu einem kleinen Teil. Denn statt sich mit einer Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in fünf, sieben oder neun Sekunden zu begnügen, sprintet der Tesla Model X Plaid in unfassbaren 2,6 Sekunden auf Tempo 100 – ein Wert, den selbst exklusivste Hypercars mit Verbrennungsmotor nicht erreichen.

Die einzigen Tasten im Cockpit sind am Lenkrad zu finden. Das braucht Eingewöhnung, funktioniert aber gut.

Solche Beschleunigungskräfte müssen erst mal verkraftet werden. Beim unvorsichtigen Tritt auf das Fahrpedal wird der Körper in den Sitz gedrückt, die Atmung stockt, die Beschleunigung ist enorm. Gottlob geht es auch langsamer, wenn man behutsam mit dem Pedal umgeht. Um bei dieser Leistung und dem Gewicht eine alltagstaugliche Reichweite bieten zu können, haben die Amerikaner eine 100-kWh-Batterie verbaut – damit schafft der SUV mit den charakteristischen Flügeltüren im Fond eine Normreichweite von 543 Kilometern. Der Testwagen schaffte bei winterlichen Bedingungen keine 400 Kilometer, und wer die Leistung beim Beschleunigen geniesst, reduziert die Reichweite nochmals drastisch. Genau deshalb ist der Model X Plaid mit einem ultraschnellen Ladesystem ausgestattet: An einer entsprechend leistungsfähigen Ladesäule saugt der Tesla mit bis zu 250 kW – damit kann gemäss Hersteller in 15 Minuten Strom für weitere 280 Kilometer geladen werden.

Es geht auch gemächlich

Doch der neue X kann nicht nur schnell und aggressiv. Im Long-Range-Modus ist alles auf eine möglichst grosse Reichweite ausgelegt – dann beschleunigt er sanfter und wird zum komfortablen Gleiter. Die Einzelsitze aus veganem Leder sind bequem, die Materialien im Innenraum fühlen sich hochwertig an, von den viel zitierten Verarbeitungsmängeln keine Spur. Das Cockpit mit riesigem Touchscreen, über den so gut wie alles eingestellt werden muss, ist inzwischen ein Markenzeichen der Amerikaner. Nach kurzer Eingewöhnungszeit lässt sich das System ziemlich intuitiv bedienen. Dass der gigantische Bildschirm vom Fahren ablenkt, lässt sich nicht wegdiskutieren. Tesla begegnet dem mit dem wohl besten Spurhalteassistenten auf dem Markt. Etwas längere Eingewöhnungszeit braucht das Yoke genannte Lenkrad, das gar kein Rad ist, sondern eher ein abgerundetes Rechteck im «Knight Rider»-Stil (siehe Box). Dieses optionale Feature ist typisch Tesla: Futuristisch, cool und vielleicht sogar bahnbrechend – eine Verbesserung gegenüber dem konventionelle Volant ist es aber nicht.

Der neue Tesla Model X Plaid ist zweifellos ein beeindruckendes Auto. Da aber dermassen viel Leistung auf der Strasse nicht mal annähernd «ausgefahren» werden kann, stellt sich die Frage nach dem Sinn. Vernünftiger wirkt die Basisvariante, die mit einer Leistung von 492 kW/670 PS und einer Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 3,9 Sekunden ebenfalls extrem potent motorisiert ist, mit einer Batterieladung rund 30 Kilometer weiter kommt und erst noch 20'000 Franken weniger kostet. Doch um Vernunft geht es bei den grossen Elektroautos allenfalls noch am Rand. Tesla hat im PS-Wettrüsten einmal mehr vorgelegt – die Konkurrenz aus Europa und Asien wird zweifellos bald nachziehen.

Die Reichweite ist gut, aber nicht überragend. Dafür kann der Model X Plaid superschnell laden.