Illegaler Organhandel«Das ist moderne Sklaverei»
Sie verkaufen ihre Niere, weil sie sonst nichts mehr haben. Aufgrund gefälschter Papiere der Spender und Empfänger könnten solche Operationen auch in der Schweiz stattfinden, sagt ein Experte für Transplantationen.
Ein armer Strassenhändler aus Lagos wurde für eine Organtransplantation nach London gebracht. Doch der 21-jährige Nigerianer bekam es dort plötzlich mit der Angst zu tun, als die Ärzte im Royal Free Hospital ihn nach seinen wirklichen Beweggründen für eine freiwillige Spende seiner Niere befragten. Daraufhin verliess der junge Mann fluchtartig das Spital und ging zur Polizei.
Später sagte er am Strafgerichtshof Old Bailey gegenüber dem Richter, dass er seinen Körper nicht verkaufe. Wäre alles nach Plan gelaufen, sollte seine Niere die 25-jährige Tochter von Senator Ike Ekweremadu erhalten, einem sehr einflussreichen nigerianischen Politiker. Zusammen mit seiner Ehefrau Beatrice und einem Doktor als «Mittelsmann» wurde der vermögende Senator und einst praktizierende Anwalt letztlich zu mehreren Jahren Haft verurteilt, wie das «British Medical Journal» letztes Jahr berichtete.
«Das war die erste Strafverfolgung wegen kommerzieller Organspende im Rahmen des britischen Gesetzes und ist moderne Sklaverei», sagt Thomas Müller von Swisstransplant. Als Co-Vorsitzender der internationalen Organisation zur Umsetzung der ethischen Prinzipien für Organspende und Transplantation (DICG) hilft er mit, solche Verbrechen aufzudecken und zu stoppen. Die damals in London zuständigen Fachleute im Spital seien ebenfalls zuerst getäuscht worden, betont Müller. Sie hätten falsche Angaben für die bevorstehende rund 90’000 Franken teure Transplantation erhalten.
Eine Niere für die «Cousine»
Das Ärzteteam ging somit davon aus, dass es sich um eine altruistische Spende dieses jungen Mannes aus Lagos handeln würde. Denn gemäss den Unterlagen sah alles danach aus, dass er von Nigeria nach England kam, um dort seiner angeblichen «Cousine» Sonia Ekweremadu zu helfen. Sie litt an einer schwerwiegenden Funktionsstörung der Nieren und musste deshalb regelmässig zur Dialyse, um ihr Blut reinigen zu lassen.
«Die weltweite Zunahme von Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten hat den Organhandel noch weiter angekurbelt», sagt Müller, der über dieses brisante Thema zusammen mit seinem indischen Kollegen, dem Chirurgen Sanjay Nagral, vor kurzem in der Fachzeitschrift «Nature Reviews Nephrology» berichtete. Inzwischen sei es zu einem Multi-Millionen-Dollar-Business geworden. Die meisten der dabei gehandelten Organe sind Nieren, weil diese sich einfacher als andere Organe entnehmen und transplantieren lassen, aber auch die Nachfrage dafür am grössten ist.
Lebendspende muss freiwillig sein
Weil der Mensch grundsätzlich auch mit einer seiner zwei Nieren leben kann, kommt bei einer Transplantation anstatt einer Organspende durch verstorbene Personen auch oft die Lebendspende infrage. In solchen Fällen können medizinische Vorabklärungen ohne Zeitdruck vorgenommen und der Eingriff optimal geplant werden. Bei einer Spende durch Blutsverwandte ist die Gefahr einer Abstossungsreaktion meist geringer, was die Erfolgsaussichten der Transplantation verbessert. Dennoch gehen Spenderinnen und Spender durch die Operation auch gewisse Risiken ein, weshalb sie nach einer Organentnahme medizinisch sehr gut betreut werden müssen.
Eine Lebendspende muss laut internationalen Vereinbarungen stets freiwillig sein und in fast allen Ländern der Welt auch unentgeltlich. Demnach ist es beispielsweise überall in Europa verboten, einen finanziellen Gewinn oder einen anderen Vorteil zu gewähren oder anzunehmen. Angesichts des globalen Mangels an Organen für eine Transplantation wird mancherorts jedoch die Notsituation armer Menschen brutal ausgenutzt, um damit im Verborgenen viel Geld zu verdienen. Andererseits warten viele Patienten und Patientinnen dringend auf die Transplantation einer gesunden Niere, damit sie nicht dreimal in der Woche vier Stunden zur Dialyse gehen müssen.
Die Mafia des Organhandels
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden global rund 100’000 Nieren transplantiert und mindestens eine Million Nierenkranke hoffen verzweifelt auf eine Spenderniere. «Es ist wie eine Schicksalslotterie, da es wesentlich davon abhängt, in welchem Land man geboren wurde», erklärt Müller. Deshalb sei es nicht überraschend, dass leider auch viele grausam vorgehende Organhändler tätig seien.
In Nepal hat zum Beispiel das Dorf Hokse am Fusse des Himalaja den Namen «Tal der Nieren» bekommen, weil dort seit Jahrzehnten arme Menschen für den Organhandel in Indien rekrutiert werden. Die Opfer dieses niederträchtig operierenden Schwarzmarktes erhalten zwar um die 2000 Dollar als Entschädigung. Doch ihre finanziell äusserst prekäre Lage ändert sich dadurch nicht nachhaltig, wie Untersuchungen gezeigt haben. Sie bleiben arm und finden keinen Job mehr. Zudem haben sie nun vor allem für immer lange Narben an ihrem Körper und sind meist psychisch gezeichnet von dem traumatischen Ereignis.
Rund um den Globus sind vor allem Dialysepatienten aus wohlhabenden Ländern auf der dringenden Suche nach einer möglichen Nierentransplantation. Eine vor kurzem publizierte Umfrage im Journal «Kidney International Reports» ergab, dass in Kanada von insgesamt 708 Erkrankten mit Nierenversagen 23 Prozent bereit wären, auch gegen die Empfehlung ihres Arztes für eine Transplantation irgendwohin ins Ausland zu reisen. 5 Prozent der Befragten hätten sogar nichts dagegen, eine durch Bestechung, Zwang oder Nötigung gespendete Niere zu akzeptieren.
Trotz bisheriger Erfolge zur Bekämpfung dieser dunklen Seite des Gesundheitswesens braucht es weiterhin noch viel Aufklärung, da vor allem auch Fake News auf Social Media die Debatten anheizen. «Oft werden beispielsweise Horrorgeschichten erfunden, in denen kriminelle Gangs an geheimen Orten den Leuten einfach die Nieren stehlen», erzählt der Schweizer Transplantationsexperte Müller. Doch eine solche Operation sei aufwendig und liesse sich nicht einfach in einer Badewanne im Hotelzimmer oder sonst wo in einem Hinterhofgebäude durchführen.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass solche verbotenen Organtransplantationen dort gemacht werden, wo es auch die nötige Infrastruktur dafür gibt. Ähnlich wie bei dem Fall in London wird das medizinische Team im Spital oft belogen, sodass sie dann wider besseren Wissens in die ganze Sache hineingezogen werden. «Dies kann aufgrund des Medizintourismus auch bei uns in der Schweiz jederzeit passieren», erklärt Müller. Kein Land sei davor gefeit.
Spender spurlos verschwunden
Dass beim Organhandel auch die Not der Empfänger zum Teil schamlos ausgenutzt wird, zeigt der Fall eines 51-jährigen Nierenkranken aus Israel. Um für die Transplantation eine Summe von 200’000 Dollar aufzubringen, musste er sein Haus verkaufen. Als er zwei Wochen nach seiner Operation in Kenia wieder nach Hause flog, zeigte sein Körper jedoch eine so schwere Abstossungsreaktion, dass die zuvor implantierte Spenderniere eines 24-jährigen Mannes aus Zentralasien umgehend wieder entfernt werden musste.
Der Grund: Das für die Untersuchung zuständige Labor in Indien hatte die Niere einfach zur Transplantation freigegeben, obwohl die Gewebeeigenschaften von Spender und Empfänger nicht passten. «Der sehr kranke Mann aus Israel verlor letztlich alles», gibt Müller zu bedenken. Denn er sei durch die enormen Kosten der Operation in Armut gegangen und sogar fast gestorben. Besonders dramatisch sei aber auch, dass über den Verbleib des jungen Spenders und sein weiteres Schicksal bis jetzt jegliche Informationen fehlen.
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