«Ihr Sohn hat Sperma gesagt!»
Und plötzlich war mir klar, was mit der Verweiblichung unserer Volksschule gemeint ist: Unsere armen Söhne!

Im Leben einer Mutter gibt es viele Überraschungen. Ich meine nicht die selbst getöpferten Aschenbecher, die Kinder noch bis Ende der Achtziger aus der Schule nach Hause brachten und heute getöpferten Briefbeschwerern gewichen sind. Meine Überraschung war verbaler Natur und fand sich im Elternbüchlein. Kaum leserlich hatte der Dreizehnjährige mit Bleistift eine Entschuldigung hineingekrakelt und bat mich zu unterschreiben. Es tue ihm furchtbar leid, stand da, dass er in Anwesenheit seiner Lehrperson unanständig geredet habe. Ich verzichtete darauf, meinen Abscheu gegen das Wort «Lehrperson» zu artikulieren, sah stattdessen meinen leicht verschämten Sohn an und fragte, was passiert sei.
Eine Tortur ohne Aussicht auf BesserungSie waren mit der Klasse in die Badi gefahren, hatten ein Eis gegessen, und die Lehrerin hatte den Kollegen meines Sohnes darauf aufmerksam gemacht, dass er da noch etwas am Kinn habe. Der Sohn beugte sich darauf zum Kollegen und flüsterte: «Ist wohl Sperma.» Die Buben kicherten, aber die Lehrerin fand es nicht lustig. Sie brummte meinem Sohn eine Ströfzgi auf, dazu der Eintrag im Elternbuch, damit diese Ungeheuerlichkeit auch ja nicht unbemerkt an mir vorüberzieht. Ein Wunder, hat sie nicht gleich die Kesb eingeschaltet.
Vielleicht muss ich hinzufügen, dass das Verhältnis der betreffenden Lehrerin zu meinem Sohn, eigentlich zu allen Buben der Klasse, von Anfang an leicht angespannt war. Das ist umso bedauernswerter, als sie die gesamten sechs Jahre Primarschule Hauptlehrerin, Pardon Hauptlehrperson, der Klasse war – was an sich kein erstrebenswertes Szenario ist. Bei ihr kam hinzu, dass sie schlecht auf den grösseren Bewegungsdrang und die Unruhe der Buben reagierte. Natürlich tat mir der Sohn leid. Schliesslich verbringt man nicht einmal mit seinem Schulschatz so viel Zeit wie mit seinen Lehrern. Und es ist hart genug, bei einer Lehrerin zu landen, die einen nicht mag. Sechs Jahre lang bei ihr bleiben zu müssen, ist eine Tortur ohne Aussicht auf Besserung. Trotzdem hatte ich mich immer zurückgehalten, wenn der Sohn aus der Schule kam und in den schillerndsten Farben neue Ungerechtigkeiten der betreffenden Lehrerin beklagte. Und ich tat, was meine Mutter auch immer getan hatte, und sagte: Sie wird schon ihre Gründe dafür haben. Das kannst du aushalten.
Zum Schaden der BubenDie Leidenszeit meines Sohnes wird im Herbst ihr Ende finden, wenn er in die Mittelschule wechselt. Aber vorher sollte ich noch mit meiner Unterschrift bestätigen, dass ich den Sperma-Witz meines Sohnes zur Kenntnis genommen hatte. Ich dachte jedoch weniger über die Bedeutung des Wortes Sperma im Schulkontext nach als über die Diskussionen der letzten Jahre, die ich nie wirklich ernst genommen hatte: Dass die vielen Lehrerinnen die Volksschulen verweiblichten, zum Schaden der Buben. Dass diese in ihren Bedürfnissen zu wenig berücksichtigt würden, ihnen die männlichen Vorbilder fehlten, etc., etc. Zum ersten Mal verstand ich, was gemeint war.
Ich dachte auch darüber nach, was für eine Person man sein musste, dass man sich in seiner Autorität schon untergraben sieht, wenn ein Dreizehnjähriger in der Badi zum Kollegen einen Witz über Sperma macht. Und ich dachte darüber nach, wie lange meinem Sohn die sechs Jahre vorgekommen sein müssen. Und dass es ein Riesenglück ist, dass ihm die Schule noch nicht total verleidet ist. Und wie ich so da stand mit dem Büchlein, wusste ich nur eine Antwort: Anstatt zu unterschreiben, zeichnete ich als kleine Botschaft an die Lehrerin einen riesigen, ejakulierenden Phallus ins Elternbüchlein. Ich hoffe, sie hat die Nachricht verstanden.
PS: Das habe ich natürlich nicht getan, auch wenn ich zu gern ihr Gesicht gesehen hätte.
Dieser Artikel wurde erstmals am 20. Juli 2017 publiziert und am 31. Juli 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
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