Abschied von Angela MerkelKanzlerschaft im Schnelldurchlauf
Grosser Zapfenstreich für Angela Merkel: Die Ehrung zum Abschied nach 16 Jahren im Amt entwickelt sich beim Blick auf die Ehrengäste zu einem kleinen Film über Höhen und Tiefen einer Regierungszeit.
Letztlich ist es wie so oft bei Angela Merkel: ziemlich sachlich. Aufmerksam, aber ohne wirklich erkennbare Regung verfolge die Kanzlerin am Donnerstagabend den Grossen Zapfenstreich am Berliner Bendlerblock. Zur Musik wippt sie andeutungsweise mit den Beinen, mehr nicht. Der Zapfenstreich, die höchste Ehrung der Bundeswehr für Zivilisten, ist die Zeremonie, mit der Merkel nach 16 Jahren offiziell verabschiedet wird – mit der sie sich aber auch selbst von vielen Weggefährten verabschiedet.
Ein feierlicher Anlass und für manche auch ein wehmütiger. Aber wie man Merkel so kennt, hat sie vielleicht sogar ein wenig Freude daran, all jene zu enttäuschen, die eine gute Dreiviertelstunde lang auf ein feuchtes Schimmern in ihren Augen warten. Die Kanzlerschaft ist für Merkel kein Show-Business.
Bei fast schon winterlichen Temperaturen ist das Wachbataillon des Ministeriums angetreten und bildet mit Fackeln den Rahmen der Veranstaltung. Merkel sitzt die meiste Zeit auf einem Stuhl, in einen dicken schwarzen Mantel gehüllt, eingerahmt von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn. Die Anordnung auf dem Podium vor der Zuschauertribüne, mit rotem Teppich und grossen Rosensträussen an beiden Seiten, entwickelt geradezu monarchische Züge.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Dem wirkt die Geehrte selbst entgegen. In einer kurzen Rede vor Beginn des Zapfenstreiches sagt Merkel, sie empfinde Demut vor dem Amt, das sie so lange habe ausüben dürfen, und Dankbarkeit für das Vertrauen, das ihr gegeben worden sei. Sie wirbt für die demokratische Auseinandersetzung, für Selbstkritik in der Politik und die Fähigkeit zur Korrektur, aber auch für die Achtung von Fakten. Und sie fordert dazu auf, Hass und Gewalt entgegenzutreten.
Die Kanzlerschaft habe sie politisch wie menschlich gefordert, aber auch erfüllt. Für die Zukunft wünsche sie sich, dass die Menschen sich nicht «mit Missmut, Missgunst und Pessimismus» an die Arbeit machten, sondern «mit Fröhlichkeit im Herzen». So habe sie es schon in der DDR versucht und erst recht «unter den Bedingungen der Freiheit».
Etwa 200 Gäste sind eingeladen worden, wegen der Pandemie deutlich weniger als üblich. Und doch ordnen sich die Gesichter und Stimmen im Laufe des Abends wie von alleine zu einer Art Geschichte von Merkels Regierungszeit im Schnelldurchlauf. Das Kabinett ist erschienen, viele Ministerpräsidenten, Parteivorsitzende – nur CSU-Chef Markus Söder nicht.
Die wichtigsten Mittarbeiter sind da, auch solche, die selten in der Öffentlichkeit zu sehen sind wie Merkels Büroleiterin Beate Baumann. Seit dem ersten Vorstellungsgespräch, zu dem Baumann Merkel wegen eines gebrochenen Beines im Spital besuchen musste, sind fast 30 Jahre vergangen.
Alte Bekannte sind gekommen
Ronald Pofalla ist trotz der obligatorischen Maske leicht auszumachen, weil sein charakteristischer rheinischer Singsang sich über dem Gesprächsteppich vor der Zeremonie genauso abhebt wie das laute Lachen von Andrea Nahles. Die Sozialdemokratin, die sich mit Merkel blendend versteht und sie auch nach ihrem Rücktritt im Kanzleramt besucht hat, steht mittlerweile im Mittelpunkt wilder Spekulationen über die Kabinettsliste von Olaf Scholz.
Als die Knie zu Beginn ihrer Amtszeit ein wenig weich geworden seien, so erzählte es Merkel, habe Müntefering ihr gesagt: ‹Wird schon›».
Franz Müntefering ist gekommen, Wegbereiter der grossen Koalition von 2005 und Merkels erster Vizekanzler. Als die Knie zu Beginn ihrer Amtszeit ein wenig weich geworden seien, so erzählte es Merkel jüngst im Kabinett, habe Müntefering ihr auf seine typisch knappe Art gesagt: «Wird schon.» Philipp Rösler sitzt mit stark beschlagenen Brillengläsern auf seinem Platz, die personifizierte Glücklosigkeit der einzigen schwarz-gelben Koalition unter Merkel. Und auch Michael Mronz hat die Kanzlerin eingeladen, den Witwer von Guido Westerwelle.
Die besonders unbeschwerten Zeiten von Merkels Kanzlerschaft vertritt Oliver Bierhoff, Manager der Fussball-Nationalmannschaft sowohl 2006, als Merkel die Strassenfeste während der WM in Deutschland vom Balkon des Kanzleramtes verfolgen konnte, wie auch 2014, als Deutschland die WM gewann und Merkel sich mit Bundespräsident Joachim Gauck zum Foto in den Kreis der verschwitzten Spieler stellte.
Jeder zweite Platz blieb in der Regel frei, nur gemeinsame Haushalte oder Familien durften beieinander sitzen.
Links hinter Merkel spiegeln sich quasi die die letzten zwei Jahre ihrer Kanzlerschaft, die vor allem aus der Beschäftigung mit Corona bestanden: Für den Virologen Christian Drosten ist ein Platz reserviert worden, aber auch Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts, ist eingeladen. Die beiden dürften zufrieden gewesen sein mit dem Arrangement auf der Tribüne: Jeder zweite Platz blieb in der Regel frei, nur gemeinsame Haushalte oder Familien durften beieinander sitzen.
Das grösste Häuflein bildet so Merkels Ehemann Joachim Sauer mit seinen Kindern. Vor ihnen sitzt der künftige Kanzler Olaf Scholz, dem Merkel in ihrer Rede Glück und Erfolg wünscht. Und dann gibt es noch die, die nicht gekommen sind. Wolfgang Schäuble zum Beispiel.
Dann endlich spielt das Stabsmusikkorps unter der Leitung von Oberstleutnant Reinhard Kiauka. Es war zuvor mächtig Buhei gemacht worden um die überraschende Musikauswahl der Wagner-Liebhaberin Merkel, auch weil in aller Eile noch Arrangements für die Blaskapelle geschrieben werden mussten.
Zu Nina Hagens «Du hast den Farbfilm vergessen» (hier gehts zum Original) war die Kanzlerin am Donnerstag kurz vor dem Zapfenstreich noch in der Pressekonferenz nach ihrer Corona-Sitzung mit den Ministerpräsidenten befragt worden. Das Lied der Punkerin sei ein Highlight in ihren jungen Jahren in der DDR gewesen, so Merkel, und spiele zudem auf Hiddensee, was wiederum in dem Wahlkreis liegt, den Merkel seit 1990 im Bundestag vertrat. Eine typische Merkel-Antwort: bitte nicht zu viel Küchenpsychologie.
Auf Nina Hagen folgt Hildegard Knefs Chanson «Für mich soll's rote Rosen regnen», der den Kindheitstraum eines jungen Mädchens beschreibt. «Die Welt sollte sich umgestalten», heisst es in dem Lied. Das hat Merkel mit der Wende 1989 erlebt. Und in dem Satz: «Mir sollten sämtliche Wunder begegnen», wiederholt sich ein Motiv, das Merkel gerne in die etwas profaneren Worte kleidete, es sei ihr «nicht in die Wiege gelegt gewesen», Bundeskanzlerin zu werden – mit allem, was dazugehört. Zum Abschluss der Serenade erklingt das Kirchenlied «Grosser Gott, wir loben Dich.»
Nach Gebet und Nationalhymne wird Merkel mit langem Applaus verabschiedet, für den sich die Gäste von ihren Plätzen erhoben haben – und für den sie sich lächelnd und mit einem Winken bedankt, ehe sie in ihr Auto hinter dem Wagen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steigt und davongefahren wird.
Fehler gefunden?Jetzt melden.