Emotionale Rede zum Amoklauf in Texas«Ich habe die Ausreden so satt! Es reicht!»
Die Reaktionen auf das Massaker in den USA sind heftig. Zum Beispiel bei Steve Kerr. Der Basketball-Coach sollte über Sport reden – es kam anders.
«Wann werden wir etwas tun?», schrie Kerr in einer Pressekonferenz vor der Playoff-Partie bei den Dallas Mavericks am Dienstagabend in Texas. «Ich habe es satt, ich habe genug!»
Am Dienstag hatte ein 18-Jähriger in einer Grundschule im US-Bundesstaat Texas mindestens 19 Kinder getötet. Auch mindestens zwei Erwachsene starben bei dem Vorfall in der Kleinstadt Uvalde. Der Schütze wurde ersten Erkenntnissen zufolge von Sicherheitskräften getötet.
Kerr, als Spieler an der Seite von Michael Jordan Meister mit den Chicago Bulls, wollte bei der Pressekonferenz deshalb nicht über Basketball reden. Sichtlich bewegt und zitternd sagte der 56-Jährige: «Ich bin es leid. Ich bin es so leid, hier zu stehen und den zerstörten Familien da draussen mein Beileid auszusprechen.» Immer wieder stockte Kerr die Stimme, mit der Hand schlug er mehrfach auf den Tisch.
Kerr forderte eine strengere Waffenkontrolle in den USA und richtete sich an 50 Senatoren, die das bislang verhindern würden. Der insgesamt achtmalige NBA-Champion spricht sich bereits seit längerem gegen Waffengewalt aus. Sein Vater war 1984 bei einem Terroranschlag in Beirut im Libanon erschossen worden.
Auch andere Sportlerinnen und Sportler äusserten sich zu dem Schulmassaker, darunter Dallas-Coach Jason Kidd. Die Partie der Mavericks gegen die Warriors startete mit einer Schweigeminute.
Grosser Zuspruch auf Twitter
Die emotionale Rede des Trainers ging auf Twitter viral. Alleine auf dem Kanal der Golden State Warriors hat das Video über 16 Millionen Klicks. Zudem wurde es über 200’000 mal retweetet. Stars wie die Basketballer LeBron James und der Warriors-Spieler Stephen Curry, sowie die Sängerin Taylor Swift haben das Video auf ihren Profilen geteilt. Swift schreibt dazu: «Ich bin erfüllt von Wut und Trauer und so gebrochen durch die Morde in Uvalde.»
Der Amokläufer soll am Dienstag so lange gewütet haben, bis ihn Sicherheitskräfte erschossen. Noch ist vieles unklar, Tathergang und Motiv sind unbekannt. Aber sicher ist: Der Amoklauf an der Robb Elementary School in der texanischen Kleinstadt Uvalde ist eines der wohl verheerendsten Massaker dieser Art in den USA. Nur 2012 bei der Schießerei an der Sandy Hook Grundschule in Connecticut starben mehr Menschen.
Das Blutbad lässt viele Amerikaner fassungslos zurück. Wieder einmal. Denn eine Seltenheit sind Attentate wie diese nicht, in einem Land, in dem das Tragen von Waffen vielerorts als Selbstverständlichkeit gilt. Laut der Non-Profit-Organisation The Gun Violence Archive hat es allein in diesem Jahr bislang 215 größere Vorfälle mit Schusswaffen in den USA gegeben, bei denen mindestens vier Menschen getötet oder verletzt worden sind. Zuletzt wurden in einem Supermarkt in Buffalo im Bundesstaat New York zehn Menschen erschossen. Und so tritt US-Präsident Biden nur zehn Tage nach dieser Bluttat erneut vor die Presse: «Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden», sagte er am Dienstagabend sichtlich bewegt.
«Die Vorstellung, dass ein 18-jähriger Junge in ein Waffengeschäft gehen und zwei Angriffswaffen kaufen kann, ist einfach falsch», betonte Biden. Seit dem Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut vor zehn Jahren habe es mehr als 900 Vorfälle gegeben, bei denen Schüsse auf Schulgeländen gemeldet worden seien. Nicht jede Tragödie könne mit schärferen Waffengesetzen verhindert werden - aber restriktivere Gesetze hätten dennoch positive Auswirkungen, so Biden. Etliche Demokraten schlossen sich der Forderung nach schärferen Waffengesetzen an.
Während seiner Rede erinnerte Biden auch an seine verstorbenen Kinder. Sein Sohn Beau starb 2015 an Krebs, seine Tochter kam 1972 bei einem Autounfall ums Leben. «Ein Kind zu verlieren, ist, als würde einem ein Stück seiner Seele herausgerissen», sagte er.
Auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris forderte nach dem Massaker ein Eingreifen der Politik. Genug sei genug: «Als Nation müssen wir den Mut haben, zu handeln.» Es müssten Maßnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, dass derartige Verbrechen nicht mehr geschehen, sagte Harris. «Unsere Herzen werden immer wieder gebrochen.»
Konkreter als Harris wurde in seinen Forderungen der demokratische US-Senator Chris Murphy. Er richtete bewegende Worte an seine Senatskollegen. «Warum verbringen Sie so viel Zeit damit, für den Senat der Vereinigten Staaten zu kandidieren? Warum machen Sie sich die Mühe, diesen Job zu bekommen (...), wenn Ihre Antwort lautet, dass wir nichts tun, während diese Metzelei zunimmt und unsere Kinder um ihr Leben rennen?»
Murphy kommt aus Connecticut, wo im Dezember 2012 ein 20-jähriger Mann mit schweren psychischen Problemen an der Sandy-Hook- Grundschule 20 Kinder und sechs Lehrer erschoss. Solche Massaker seien vermeidbar. «So etwas passiert nur in diesem Land. Und nirgendwo sonst», sagte Murphy. «Nirgendwo sonst gehen kleine Kinder mit dem Gedanken zur Schule, dass sie an diesem Tag erschossen werden könnten.» Es sei die Entscheidung der Politik, ob sich daran in Zukunft etwas ändere. «Arbeiten Sie mit uns zusammen, um einen Weg zu finden, Gesetze zu verabschieden, die dies weniger wahrscheinlich machen», forderte der Demokrat.
Es sind scharfe, emotionale Forderungen, die an diesem Tag von Seiten der Politik laut werden. Doch sie sind auch allzu bekannt. Üblicherweise verhallen sie wenige Tage nach einem solchen Attentat im Nichts. Charles Ramsey, der ehemalige Polizeichef von Philadelphia, fasst es in einer Äusserung auf CNN so zusammen: «Das ist absolut verrückt. Und was noch verrückter ist, ist dass nichts dagegen unternommen werden wird. Absolut gar nichts.» Ein Satz der zynisch klingen mag, mit dem er vermutlich aber Recht behalten wird. Immerhin ist die Waffenlobby in den USA fast übermächtig und eine überwältigende Mehrheit der Republikaner lehnt schärfere Waffengesetze seit jeher vehement ab.
Zu ihnen gehört auch der texanische Gouverneur Greg Abbott, der am Dienstag die Öffentlichkeit über das Attentat informierte. Erst 2021 hatte er ein Gesetz unterzeichnet, dass das Tragen von Schusswaffen in Texas erleichtert. Wer will, kann in dem Bundesstaat ganz ohne Waffenschein oder ein vorheriges verpflichtendes Training eine Waffe mit sich führen.
Auch US-Senator Murphy verweist auf das Beharren der Republikaner auf liberale Waffengesetze: «Ich weiss, dass meine republikanischen Kollegen nicht mit allem einverstanden sein werden, was ich befürworte, aber wir können einen gemeinsamen Nenner finden.»
Auf Twitter meldete sich der ehemalige US-Präsident Barack Obama mit deutlich schärferen Worten in Richtung der Republikaner zu Wort. Seine Frau Michelle und er trauerten mit den Familien in Uvalde, doch beide seien auch wütend. «Fast zehn Jahre nach Sandy Hook – und zehn Tage nach Buffalo – ist unser Land gelähmt, nicht durch Angst, sondern durch eine Waffenlobby und eine politische Partei, die keine Bereitschaft gezeigt haben, in irgendeiner Weise zu handeln, die dazu beitragen könnte, diese Tragödien zu verhindern», schreibt Obama. Es sei längst Zeit zu handeln, jeder weitere Tag, den die Familien der Opfer darauf warten müssten, sei eine Tragödie.
Erschütterte Reaktionen wurden auch unter Künstlern, Aktivistinnen und Sportlern laut. Schriftstellerin und Aktivistin Amanda Gorman postete ein Gedicht auf Instagram, darin heisst es: «Es braucht ein Monster, um Kinder zu töten. Aber zuzusehen, wie Monster immer und immer wieder Kinder töten und nichts tun, ist nicht nur Wahnsinn – es ist unmenschlich.»
SDA/so
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