Steigende GesundheitskostenSo können Spitäler über 3 Milliarden Franken einsparen
Zu Hause gesund werden: Das «Hospital at Home» ist in Israel oder den USA etabliert. Jetzt hat der Kanton Zürich eine Finanzierung über drei Jahre gesichert.
Zweimal pro Tag bekommt Léo Dubois Besuch von einem Arzt und einer Pflegefachfrau. Nicht am Spitalbett, sondern bei sich zu Hause. Dubois, der eigentlich anders heisst, leidet an Morbus Crohn, einer Darmerkrankung, die unter anderem zu Entzündungen im Verdauungstrakt führt. Eigentlich müsste er in der Zürcher Hirslanden-Klinik liegen, doch dort bot man ihm diese Alternative. «In meinem eigenen Bett fühle ich mich wohler als im Spital, und ich bin erstaunt, wie gut die Betreuung ist», sagt der 30-jährige Franzose.
Dubois ist einer von rund 100 Patientinnen und Patienten, die seit letztem Sommer daheim statt im Spital gesund werden konnten. Möglich macht es das sogenannte Hospital at Home (Spital zu Hause). Und die gleichnamige AG von Abraham Licht, die jene Personen betreut.
So funktioniert es: Personen, die eigentlich im Spital stationär aufgenommen werden müssten, aber noch so weit mobil sind, dass sie selber aufstehen oder kochen können, dürfen stattdessen zu Hause genesen. Und das bei einer täglichen Betreuung durch Ärzte, Pflegepersonen, die Spitex und technische Geräte. Ein erstes Pilotprojekt startete das Spital Zollikerberg im Herbst 2021. Es betreute Patienten in einem Radius von fünf Kilometern ums Spital.
Radius auf 30 Autominuten ausgeweitet
In der Schweiz ist Abraham Licht ein Pionier auf dem Gebiet. Seit elf Jahren kümmert sich der Chefarzt des Notfallzentrums der Hirslanden-Klinik um das Thema. Er hat ein Konzept verfasst und wurde damit bereits fünfmal bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich vorstellig. Nun hat diese einen Subventionsbeitrag für die kommenden drei Jahren für Hospital at Home gesprochen. Auch Krankenkassen wie CSS Zürich, Sanitas und Swica sind mit Licht im Gespräch. Das Modell kann endlich wachsen.
Mit seiner AG weitet der Arzt den Betreuungsradius aus: Personen, die 30 Minuten mit dem Auto von der Hirslanden-Klinik entfernt leben, können zu Hause genesen.
Was in der Schweiz noch in den Kinderschuhen steckt, hat in über 30 Ländern bereits an Akzeptanz gewonnen. Darunter in Spanien, den USA, Israel, Frankreich, Australien, Grossbritannien und Singapur.
Zu Hause genesen Patienten besser
Was Kosten und Nutzen des Modells angeht, ist die Datenlage im Ausland daher fundierter. Denn die zentralen Fragen lauten: Ist das Spital zu Hause besser für die Patientinnen und Patienten? Und wie wirkt es sich auf die Gesundheitskosten aus?
Die erste Frage lässt sich schnell beantworten: Patientinnen und Patienten werden zu Hause besser gesund und haben weniger Komplikationen wie Verwirrungszustände oder Infektionen mit Spitalkeimen. Die Sterblichkeit und die Aufenthaltsdauer sind im Vergleich zum Spital nachweislich nicht erhöht.
Besonders ältere Menschen würden profitieren, sagt Licht. Rund die Hälfte, die im eigenen Zuhause genesen konnte, mussten danach nicht in ein Pflegeheim. Nach einem Spitalaufenthalt sei die Zahl deutlich höher.
Die Frage nach den Gesundheitskosten lässt sich nicht ganz so einfach beantworten. Dass eine Kostenreduktion möglich ist, darin stimmen internationale Studien überein. Wie hoch diese ausfällt, ist von Land zu Land jedoch verschieden, da die Gesundheitssysteme nicht immer vergleichbar sind.
15 bis 20 Prozent weniger Spitalbetten
Ein Artikel aus dem amerikanischen Magazin «Nature Medicine» von diesem Februar untersucht die Kostenwirksamkeit des Modells Hospital at Home in den USA. Das Fazit: Entsprechende Programme sind nachweislich weniger kostspielig als die herkömmliche stationäre Versorgung im Spital.
Studien, die für den Artikel untersucht wurden, weisen teilweise auf Einsparungen von rund 40 Prozent hin. Dies ist in erster Linie auf den geringeren Bedarf an Infrastruktur und eine kürzere Dauer der Akutversorgung zurückzuführen.
Weitere Einsparungen kann die Integration von tragbaren Geräten, Telemedizin und Fernüberwachungsplattformen bringen. Denn sie verringern den Bedarf an persönlichen Besuchen durch Ärzte und Pflegepersonen.
Für Schweizer Spitäler schätzt Abraham Licht das Einsparpotenzial von Hospital at Home gemäss internationalen Studien auf mindestens 10 Prozent. Was einer Summe von 3,2 Milliarden Franken entspricht. Denn laut aktuellen Zahlen des Bundesamts für Statistik trug die Versorgung durch die Krankenhäuser im Jahr 2022 mit 32,6 Milliarden Franken zu den Kosten im Gesundheitswesen bei.
«Ist das Modell erst etabliert, könnte wohl auf 15 bis 20 Prozent der Spitalbetten verzichtet werden», sagt Abraham Licht. Besonders für Spitäler, die unter einem hohen Kostendruck leiden und ihre Betten nicht immer füllen können, wäre das eine finanzielle Entlastung. Dass aktuell viele Spitäler stark unter Druck stehen, zeige auf, dass es in der Schweiz in Zukunft wohl weniger Spitäler geben werde – «umso mehr müssen wir über diese Alternative nachdenken», sagt Licht.
Neuer Tarif, um Kosten abzurechnen
Ein Knackpunkt ist die Frage der Abrechnung: Heute werden die stationären Kosten zu 55 Prozent durch die Kantone und zu 45 Prozent durch die Krankenversicherungen getragen. Ambulante Kosten werden komplett durch die Versicherer gedeckt. Wie abgerechnet wird, wenn eine Person stationär im Spital aufgenommen wurde, die Behandlung aber zu Hause stattfindet, ist unklar.
«Im Prinzip braucht man einen ganz neuen Tarif», sagt Simon Wieser, Professor für Gesundheitsökonomie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Laut Krankenversicherungsgesetz müsste der Tarif aufgrund der durchschnittlichen Kosten pro Patient definiert werden. Anders als im Spital ist die Dauer der Behandlung zu Hause nicht klar festgelegt. Das sieht Wieser als eine Herausforderung.
Was das Sparpotenzial für Spitäler angeht, ist Wieser skeptisch: «Wenn man es schafft, die Behandlung zu den gleichen Kosten durchzuführen wie im Spital und dabei eine bessere Patientenzufriedenheit erreicht, wäre das sicher schon gut.»
Gesundheitsökonom Stefan Boes von der Universität Luzern schätzt die Kosteneinsparungen deutlich niedriger ein als die in einer Studie genannten 40 Prozent. Dies, weil nur ein Teil der Patientinnen und Patienten überhaupt im Hospital at Home behandelt werden könnte. Ausserdem würden in Zukunft viel mehr Behandlungen im Spital ambulant statt stationär durchgeführt, was die Kosten deutlich senke.
Damit Patienten wie Léo Dubois rundum betreut werden können, kooperiert Abraham Lichts AG mit den Notfallstationen der Hirslanden-Klinik und der Klinik Im Park in Zürich, Spitex-Organisationen und Hausärzten. Die Firma ist noch im Aufbau und daher noch nicht profitabel. Doch nun soll das Angebot im Kanton Zürich wachsen, eine Zusammenarbeit mit weiteren Kantonen wäre erfreulich: «Entsprechende Gespräche laufen», sagt Licht.
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