Firmen mit RekordgewinnHöhere Steuern für «Kriegsprofiteure» – bald auch in der Schweiz?
Europäische Länder haben eine Sondersteuer für Unternehmen eingeführt, die dank der hohen Gaspreise wachsen. Auch hierzulande wird eine solche Steuer debattiert.
So zynisch das klingen mag, der Krieg auf europäischem Boden verhilft der Rüstungs-, Öl- und Gasindustrie zu lukrativen Geschäften.
Der weltweit zweitgrösste Ölhändler, die Trafigura-Gruppe, erzielte beispielsweise im Halbjahr bis Ende März einen Gewinn von 2,7 Milliarden Dollar – 27 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der britische Ölkonzern BP steigerte seinen Gewinn im ersten Quartal gar um 50 Prozent. Und Shell gab bekannt, dass der Konzern im ersten Quartal 9,1 Milliarden US-Dollar verdient habe – ein Plus von 43 Prozent.
In der Schweiz profitierte etwa Glencore von der steigenden Nachfrage nach Kohle. Die Firma teilte am Freitag mit, dass sie im entsprechenden Segment bereits im ersten Halbjahr mit einem bereinigten Betriebsgewinn von über 3,2 Milliarden Dollar rechne. Damit würde bereits in den ersten sechs Monaten die Prognose für das Gesamtjahr 2022 übertroffen.
Eine Sondersteuer auf ausserordentliche Gewinne
Weil gleichzeitig der Grossteil der Unternehmen und Konsumenten erheblich unter steigenden Energiekosten leidet, werden die Stimmen nach einer Sondersteuer für solche Gewinne immer lauter – auch in der Schweiz.
Die Rede ist von der sogenannten Windfall Tax oder Zufallsgewinnsteuer: Eine einmalige Steuer für Unternehmen, deren Gewinne aussergewöhnlich stark angestiegen sind – und zwar nicht aufgrund von klugen Investitionsentscheidungen, Effizienzsteigerungen oder Innovationen. Sondern einzig aufgrund eines zufälligen Ereignisses wie etwa eines Kriegs oder einer Pandemie.
Der Präsident der Grünen, Balthasar Glättli, fordert per Vorstoss, die Gewinne von Ölkonzernen, Rohstofffirmen – wie etwa Glencore – und Rüstungsfirmen zu besteuern, wie die «SonntagsZeitung» berichtete.
Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle (KOF) an der ETH Zürich, thematisierte während der ersten Pandemiewelle 2020 eine solche Sondersteuer auf Unternehmensgewinnen. Die Pandemie damals und der Krieg heute seien jedoch nicht zu vergleichen, sagt Sturm.
«Im Jahr 2020 hatten wir wegen Corona einen gigantischen wirtschaftlichen Einbruch.» Der Staat habe damals die Wirtschaft und die Gesellschaft schon breitflächig unterstützt. Jetzt sei die Situation eine völlig andere. Die Schweiz habe Wachstumsraten von drei Prozent – «die Schweizer Wirtschaft muss nicht gerettet werden».
Andere Länder haben bereits eine Windfall Tax eingeführt, so zum Beispiel England, Italien, Spanien und Griechenland.
In England beschloss die rechtskonservative Regierung, alle Gewinne der Öl- und Gasbranche, die ab dem 26. Mai anfallen, mit zusätzlichen 25 Prozent zu besteuern. Die Berechnungsgrundlage orientiert sich an den Gewinnen von Energiekonzernen, für die in Grossbritannien ohnehin eine spezielle Definition gilt. Durch die Sonderabgabe erhöht sich der Satz der Unternehmenssteuer im Erdöl- und Erdgassektor temporär auf 65 Prozent.
Kreditkosten dürfen aus dem Reingewinn herausgerechnet werden. Zudem gibt es Freigrenzen für Investitionen. Die Steuererhöhung ist bis spätestens Ende 2025 befristet. Wenn die Öl- und Gaspreise spürbar sinken, soll sie aber schon zuvor rückgängig gemacht werden.
Die erhöhte Abgabe soll im ersten Jahr 5 Milliarden Pfund einbringen. Davon sollen Britinnen und Briten profitieren. Etwa mit einer einmaligen Zahlung von 650 Pfund für 8 Millionen der bedürftigsten Haushalte. Hinzu kommt eine Rabatterhöhung auf Energierechnungen für alle Haushalte im Oktober von 200 auf 400 Pfund.
Italiens Mitte-Regierung unter Mario Draghi erhebt eine Sondersteuer auf die Gewinne aller Unternehmen, die mit Strom, Methan-, Erdgas oder Erdöl handeln. Die italienische Ausgestaltung definiert den Sondergewinn wie folgt: Verglichen wird der Zeitraum von Anfang Oktober 2021 bis Ende März 2022 mit der Vorjahresperiode. Überschreitet in dieser Zeit der Überschuss den Vorjahreswert um 5 Millionen Euro, liegt ein Zufallsgewinn vor. Dieser wird mit einem Steuersatz von 25 Prozent besteuert. Die Sondersteuer soll rund zehn Milliarden Euro einbringen.
Mit dem Geld will Draghi Hilfen finanzieren: Personen, die 35’000 Euro pro Jahr oder weniger verdienen, sollen eine einmalige Zahlung von 200 Euro erhalten. Das betrifft laut Draghi 28 der fast 60 Millionen Italienerinnen und Italiener. Auch Steuererleichterungen von 20 Prozent für alle energieintensiven Unternehmen, die einen Preisanstieg von mindestens 30 Prozent verzeichnen, sind vorgesehen.
Glättli will primär der Ukraine helfen
Balthasar Glättli möchte mit den zusätzlichen Einnahmen aus einer möglichen Sondersteuer dagegen nicht Hilfen für die Bevölkerung bezahlen; er will mit dem Geld den Wiederaufbau der Ukraine finanzieren und ärmeren Ländern helfen, die unter den stark steigenden Nahrungsmittelpreisen leiden.
KOF-Experte Jan-Egbert Sturm kann den Wunsch, die Ukraine zu unterstützen, «politisch und menschlich» nachvollziehen. Er verweist indes auf die Umsetzungsschwierigkeiten: «Wie identifiziert man ganz konkret, was der eigene Verdienst und was Zufall ist? Und viel wichtiger noch: Was für Anreize setzt man mit einem solchen Eingriff?»
Denn die Wirtschaft lebe von dieser Art Zufälle. Für ein Unternehmen müsse es sich lohnen, Gewinn zu machen. «Diesen Anreiz nun selektiv aus dem System zu nehmen, wäre problematisch», sagt Sturm. Die hohen Gewinne und Preissignale würden Anreize schaffen, um die Abhängigkeit von fossilen Energien zu senken, argumentiert er: «Und genau das wollen wir doch erreichen. Auch wenn das im Moment unfair sein kann.»
So umstritten eine Übergewinnsteuer ist, auch um Energiehilfen für die Schweizer Bevölkerung wird gerungen. Im Parlament und im Bundesrat haben Vorschläge dazu einen schweren Stand. Vergangenen Donnerstag hat der Nationalrat vier Vorstösse für tiefere Energiekosten deutlich verworfen. Finanzminister Ueli Maurer argumentierte, dass die Wirtschaft in der Lage sei, eine Teuerung von 2,5 Prozent auszugleichen. «Wir werden uns damit abfinden müssen, dass die Lebenshaltungskosten höher sein werden.»
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