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Hizbollah dominiert den Libanon
Ein Land im Würgegriff der Terrormiliz

Hezbollah fighters hold their group flags, as they parade during a rally to mark Jerusalem day, in a southern suburb of Beirut, Lebanon, Friday, April 14, 2023. Since Iran's Islamic Revolution in 1979, the rallies marking what is also known as al-Quds Day have typically been held on the last Friday of the Muslim holy month of Ramadan. (AP Photo/Hussein Malla)
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Über die Corniche von Beirut, die lange Strandpromenade am Mittelmeer, laufen Mütter und Kinder mit palästinensischen Flaggen. Die Sonne geht unter, manche Kinder zünden Kerzen an, andere halten selbst gemalte Bilder mit der grün-weiss-roten Flagge und dem Satz «Rettet die Kinder von Palästina» hoch.

Es sind Mütter und Kinder aus dem Libanon, die für Mütter und Kinder in Gaza demonstrieren. Sie tun das in einer Region, in der gerade alles politisch ist, angefangen damit, ob man noch eine Pepsi kauft oder als Zeichen des Protests gegen «den Westen» lieber darauf verzichtet. Die Kinder und Mütter demonstrieren aber so unpolitisch, wie es eben geht. Kein Kind ruft Parolen gegen Israel, keine Frau wünscht Israelis den Tod.

«Niemand verdient es, in Gaza in Stücke gesprengt zu werden. Und niemand verdient es, auf einem Musikfestival getötet zu werden», sagt Paola Rebeiz, die mit ein paar Freundinnen mitläuft. Ihre Grosseltern mussten einst aus Palästina flüchten, die Enkelin ist im Libanon geboren, wie so viele Nachkommen von Flüchtlingen aus Palästina.

Hizbollah hat 40’000 Kämpfer und 150’000 Raketen

Rebeiz hat in der Gastronomie gearbeitet und als PR-Beraterin. Als 2019 Hunderttausende gegen die korrupte Elite auf die Strasse gingen, wurde sie zur Aktivistin, baute für die vielen Demonstranten eine der grössten Suppenküchen der Stadt auf.

Vier Jahre später und einen Krieg weiter demonstriert Rebeiz mit zahlreichen anderen gegen die grosse Zahl der von Israel getöteten Zivilisten in Gaza – und dagegen, dass dieser Protest von der Hizbollah vereinnahmt wird.

Deren Anhänger stehen auch an diesem Tag nur ein paar Meter weiter mit ihren gelb-grünen Fahnen, sie wünschen Israel den Tod, und im Süden feuern Hizbollah-Kämpfer täglich Raketen nach Israel ab, das stets zurückschlägt. «Es ist wie ein Tennismatch zwischen Israel und der Hizbollah», sagt Rebeiz. «Du schickst mir eine Bombe, ich schicke dir eine Bombe, und du sagst: Okay, lass uns noch einen Satz spielen.»

«Wir haben genug Kriege gesehen»: Paola Rebeiz, Aktivistin in Beirut.

Das Spiel ist bitterer Ernst. Eine Terrormiliz hat das Land im Griff, sie entscheidet, ob sie es mit in den Krieg reisst, indem sie die Angriffe auf den Nachbarn intensiviert. Nach der gezielten Tötung des Hamas-Vizechefs Saleh al-Arouri am Dienstabend wartet der ganze Libanon darauf, wie die Hizbollah reagiert. Wird sie Rache schwören für den Tod ihres Alliierten?

Wie die Hizbollah gehört die Hamas zur «Achse des Widerstandes» gegen Israel. Im Libanon spielte die Hamas aber bisher keine grosse Rolle, nutzte ihn vor allem als Rückzugsraum. Und war sich mit der Hizbollah auch nicht immer einig, nach dem 7. Oktober warf sie ihr zu wenig Unterstützung vor. Nun könnte sich die Hizbollah gezwungen fühlen, den Krieg zu eskalieren.

Sie sei ein Staat im Staate, hiess es lange über die Hizbollah. Mittlerweile fragen sich viele Libanesen, ob die Hizbollah mit ihren etwa 40’000 Kämpfern und 150’000 Raketen, mit ihren Abgeordneten im Parlament, Spitälern und Armenküchen nicht der Staat selbst ist. Viele fragen sich auch, wie man diesem Würgegriff entgehen kann.

Die libanesische Armee spielt keine Rolle

Manche tun es leise, wie Paola Rebeiz, die die Toten beider Seiten beklagt, bei Demonstrationen, auf denen nicht der Hass der Hizbollah gepredigt wird. «Wir haben genug Kriege gesehen», sagt sie. Die meisten ihrer Freunde haben seit Wochen einen Koffer an der Tür stehen, falls es wieder losgeht. So wie 2006, als die Hizbollah israelische Soldaten entführte und Israels Armee in den Süden einmarschierte. Nicht noch einmal, sagt Rebeiz.

Auch der Libanon hat eine Armee, die aber keine Rolle spielt. Die Soldaten verdienen gerade einmal 100 Dollar und brauchen Zweit- und Drittjobs, um zu überleben. «In einem funktionierenden Staat können eine Miliz und eine Armee nicht nebeneinander existieren», sagt Mark Daou.

Er sitzt in seinem Altbaubüro in Mar Mikhael, dem Stadtteil mit den schönsten Häusern, der 2020 bei der Explosion im Hafen von Beirut am härtesten getroffen wurde. Bis heute hat der libanesische Staat nicht nach den Schuldigen suchen lassen. War womöglich die Hizbollah involviert?

Hizbollah-Kritiker: Mark Daou, Abgeordneter im libanesischen Parlament.

Mark Daou ist einer der neun Abgeordneten, die bei den Wahlen 2022 neu ins Parlament kamen und den Einfluss der Hizbollah kritisieren. Er sitzt im Parlament eines Landes, das von seinem eigenen Ministerpräsidenten, Najib Mikati, als «Fake» bezeichnet worden ist.

Das Land kann nicht selbst entscheiden, ob es in den Krieg zieht oder nicht. Nach dem Terror der Hamas und Israels Gegenangriff musste der Libanon einen Monat lang warten, bis Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah sich öffentlich äusserte und sagte, seine Kämpfer würden weiter Raketen auf Israel schiessen, aber noch keine totale Eskalation suchen. Das habe zwar alle erleichtert, sagt Daou, aber auch dem Letzten gezeigt, wer das Sagen hat im Land. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Die neue Gefahr im Nahen Osten».)

epa11055541 People watch a televised speech of Hezbollah secretary general Hasan Nasrallah, during an event to mark the fourth anniversary of top Iranian commander Qasem Soleimani death, in southern suburb of Beirut, Lebanon, 03 January 2024.  EPA/ABBAS SALMAN

Was kann man tun? «Es ist immer noch ein langer Prozess für uns, das Land zu stabilisieren und die Gewalt zu minimieren, damit die Menschen glauben, dass ihr Glaube kein Grund zur Verfolgung ist», sagt Daou. «Wenn wir eine stabile Regierung, ein faires System und eine gerechte Justiz haben, dann glaube ich, wird die Gefährdung durch gegeneinander mobilisierte Sekten drastisch sinken.»

Kritiker werden als «Agenten Israels» geschmäht

18 anerkannte Religionsgemeinschaften, hier Sekten genannt, gibt es im Libanon. Die Hizbollah konnte auch deshalb so stark werden, weil viele Schiiten sich durch Christen und Sunniten, die den Präsidenten und Ministerpräsidenten stellen dürfen, jahrzehntelang benachteiligt fühlten.

Die Hizbollah sagte den Schiiten, nur wir kämpfen für euch, und erreichte mit ihren Verbündeten eine Mehrheit im Parlament, das den Präsidenten bestätigen muss, auch wenn er Christ ist. Damit war die islamistisch-schiitische Partei im Zentrum der Macht angekommen.

Bei der Wahl 2022 verlor sie diese Mehrheit wieder. Nicht zuletzt, weil Abgeordnete wie Daou versprachen, alles dafür zu tun, den Libanon von der Übermacht der Hizbollah zu befreien. Kein ungefährliches Unterfangen. In den sozialen Medien werden Hizbollah-kritische Politiker und Journalisten als «Agenten Israels» geschmäht. So versucht die Hizbollah nicht nur, Gegner einzuschüchtern, sondern zeigt auch den eigenen Leuten die Grenzen auf.

Prominenter Hizbollah-Kritiker ermordet

In den vergangenen Jahren hatten manche Anhänger argumentiert, dass die Hizbollah das Wohl des Libanon in den Vordergrund stellen sollte – und nicht die Interessen ihres Gönners Iran. Sie mussten sich dann öffentlich dafür entschuldigen.

Wie riskant Kritik sein kann, weiss Monika Borgmann. Ihr Mann Lokman Slim, ein bekannter Filmemacher und Publizist, rügte die Hizbollah so laut wie wenige andere. Im Februar 2021 wurde er in Beirut erschossen. «Er hat den höchsten Preis bezahlt», sagt Borgmann beim Treffen in einem Beiruter Café.

Vor fast 40 Jahren kam Borgmann aus Deutschland in den Libanon, arbeitete als Journalistin, lernte ihren Mann kennen und drehte mit ihm eine preisgekrönte Dokumentation über ein Massaker an palästinensischen Flüchtlingen. Später gründeten sie UMAM Documentation & Research, ein Archiv und Forschungszentrum zur Geschichte der Gewalt im Libanon.

Kleine Schritte in die richtige Richtung

Das Archiv gegen das Vergessen, gegen die Straflosigkeit, liegt in der Dahieh, dem schiitischen Teil von Beirut, der Hochburg der Hizbollah. «Nach dem Mord an Lokman haben sie wohl gedacht, dass ich nach Deutschland zurückkehre», sagt Borgmann. Doch sie ist geblieben.

Der Kampf gegen die Straflosigkeit ist ein persönlicher geworden. Borgmann versucht, den Staat dazu zu bringen, die Mörder ihres Mannes zu stellen. An Indizien, Videoaufnahmen, Zeugen mangelt es nicht. Der Staat aber zeigt genauso wenig Interesse daran wie an der Aufklärung der Explosion im Hafen.

Dieser Mord an ihrem Mann, der selbst Schiit war, habe damals «einen immensen Schock und auch Angst in der schiitischen Community ausgelöst», sagt Borgmann. Mittlerweile trauten sich aber wieder einige, die Hizbollah zu kritisieren. «Es mehren sich die Stimmen und Initiativen, die einen neuen Weg einschlagen und verhindern wollen, dass die Hizbollah das Monopol über die Schiiten hat.»

Es seien kleine Schritte, so Borgmann, aber ein Anfang. Ein Anfang, der durch die neue Eskalation schnell wieder zerstört werden könnte.