Historisches UrteilColorados höchstes Gericht schliesst Donald Trump von US-Wahl aus
Der Ex-Präsident sei ein Aufständischer, urteilt das Oberste Gericht des Bundesstaats. Er dürfe darum nicht mehr als Präsident kandidieren.
Er nennt sie noch immer aufrechte Patrioten, seine Anhänger, die am 6. Januar 2021 das US-Kapitol besetzten, um die Wahl von Joe Biden zum neuen US-Präsidenten zu verhindern. Die Gerichte sehen das ein bisschen anders als Donald Trump. 723 Angeklagte haben sie im Zusammenhang mit dem Kapitol-Sturm bereits verurteilt, zwei Drittel von ihnen landeten im Gefängnis. Enrique Tarrio zum Beispiel, der Ex-Chef der Proud Boys, erhielt 22 Jahre. Tarrio zog beim Angriff im Hintergrund die Fäden.
Nun hat das Oberste Gericht im Bundesstaat Colorado über den Rädelsführer Donald Trump ein Urteil gefällt. Kein strafrechtliches zwar, aber ein historisches. «Das Gericht hält aufgrund klarer und überzeugender Beweise fest, dass Präsident Trump sich an einem Aufstand beteiligt hat», schreiben die Richter in ihren 213 Seiten langen Erwägungen. Die US-Verfassung verbiete es dem Republikaner, noch einmal ein öffentliches Amt zu bekleiden in den Vereinigten Staaten. Bei den Vorwahlen in Colorado dürfe Trump darum nicht auf den Wahlzetteln aufgeführt sein, und sollten Wähler ihn dennoch hinschreiben, dürfe die Staatssekretärin von Colorado die Stimmen nicht zählen.
Historisches Urteil
Das Urteil ist historisch, weil es das erste Mal in der Geschichte der USA ist, dass ein Präsidentschaftskandidat von der Wahl ausgeschlossen werden soll, weil er ein Aufständischer sei. Der besagte Zusatzartikel in der US-Verfassung, das 14. Amendment stammt aus der Zeit, als das Land die Folgen des blutigen Bürgerkriegs zu bewältigen versuchte. Absatz 3 des Zusatzartikels enthält einen Bann für alle Amtsträger, die sich an einem Aufstand beteiligen, obwohl sie zuvor einen Schwur auf die Verfassung geleistet hatten. 1868 waren damit in erster Linie die Sezessionisten gemeint, die sich für die Konföderierten Staaten engagiert hatten.
Nun, 155 Jahre später, sei dieser Verfassungszusatz auf Donald Trump anwendbar, befanden vier der sieben Richter am Obersten Gericht von Colorado. «Wir gelangen nicht leichtfertig zu dieser Schlussfolgerung», schreiben sie. Aber sie hätten die Pflicht, das Recht anzuwenden, «ohne Angst und ohne Bevorzugung, und ohne uns von öffentlichen Reaktionen beeinflussen zu lassen». Das Urteil fällten die Richter nicht entlang von Parteilinien – sie alle wurden von demokratischen Gouverneuren eingesetzt, wenn auch nach einer überparteilichen Nominierung. Der einzige Republikaner, Gerichtspräsident Brian Boatright, teilt die Mehrheitsmeinung in dem jüngsten Urteil nicht.
Signalwirkung für andere Bundesstaaten
In Colorado hat Donald Trump zwar nicht viel zu verlieren: 2020 hatte er dort nur knapp 42 Prozent der Stimmen, Biden gewann mit 55 Prozent. Die zehn Wahlmännerstimmen aus dem Staat der Rocky Mountains dürften darum wahrscheinlich 2024 an den Kandidaten der Demokraten gehen.
Signalwirkung hat das Urteil aber für andere Bundesstaaten, in denen ähnliche Klagen hängig sind. Das Oberste Gericht von Minnesota kam zwar bereits zum Schluss, es könne keine Kandidaten von den Listen für die Vorwahlen entfernen. Es liess aber die Frage offen, ob es Trump für die Wahl vom 5. November disqualifizieren würde. In Michigan befand ein Richter im November, es sei eine politische Frage, ob Trump noch einmal kandidieren dürfe. Nun liegt der Fall beim Obersten Gericht des Bundesstaats.
Oberstes Gericht muss entscheiden
Sollten der Favorit unter den republikanischen Präsidentschaftskandidaten in mehreren Staaten von den Wahllisten gestrichen werden, würden seine Chancen stark geschmälert, im nächsten Herbst eine Mehrheit der Wahlmänner zu gewinnen, die die Präsidentschaftswahl entscheiden.
Trump teilte mit, er werde das Urteil vor dem Obersten Gericht in Washington anfechten. Bei einem Auftritt in Iowa am Dienstagabend ging er gar nicht erst auf den Richterspruch ein. Auf seiner Kampagnenwebseite und in E-Mails war jedoch innerhalb weniger Minuten zu sehen, wie er das jüngste Urteil gegen ihn zu Geld machen und zum Sammeln von Spenden nutzen will.
Trumps Reaktion: «Crooked Joe»
«Crooked Joe», der betrügerische Joe, könne ihn an der Urne nicht besiegen, behauptet Trump, der 2020 gegen eben diesen Joe verloren hatte. «Nun ist ihr neuer Plan, jeden einzelnen Trump-Stimmzettel im Land zu annullieren, um Joe Biden im Weissen Haus zu halten.» Der ehemalige Präsident, der schon nach seiner Niederlage 2020 die Mär verbreitete, die Wahl sei ihm gestohlen worden, bereitet sich bereits darauf vor, dasselbe auch über den nächsten Urnengang in knapp einem Jahr zu behaupten.
Nun muss der Supreme Court in Washington entscheiden, ob er die Beschwerde auf seine Traktandenliste nimmt. Das muss schnell geschehen: Die Vorwahl in Colorado findet am Super Tuesday, dem 5. März statt. Sollte der Supreme Court Trumps Beschwerde nicht berücksichtigen, würde das Urteil aus Denver rechtskräftig.
Konservative Mehrheit bei Bundesrichtern
Wie die neun Richter auf Bundesebene entscheiden werden, ist offen. Allerdings kann sich Trump bessere Chancen ausrechnen als in Colorado. Als Präsident verschaffte er den konservativen Bundesrichtern mit drei Ernennungen eine klare Mehrheit, die schon zahlreiche Urteile nach Trumps Gusto fällten.
Zudem ist einer der Richter, Clarence Thomas, mit der Anwältin Ginni Thomas verheiratet. Sie hatte 2020 in Textnachrichten an Trumps Stabschef über Möglichkeiten diskutiert, das Wahlresultat umzustossen, und in Wisconsin drängte sie republikanische Amtsträger, die Stimmen des Electoral College Trump statt Biden zuzuschlagen.
Vor dem Supreme Court liegen bereits mehrere Fälle zu Donald Trump und seinem Putschversuch. Einer dreht sich darum, ob der Republikaner für seine Taten als Präsident Immunität geniesst. Vorgelegt hat die Frage Sonderermittler Jack Smith, der Trump wegen des 6. Januar 2021 angeklagt hat und ihm in einer anderen Anklage vorwirft, liederlich mit Geheimdokumenten umgegangen zu sein.
In einem anderen Fall wird der Supreme Court urteilen, ob ein Angeklagter vom 6. Januar zu Recht wegen Störung einer Kongresssitzung belangt wurde. Das Urteil könnte sich auf Trumps Fall auswirken, dem Sonderermittler Jack Smith denselben Vorwurf macht.
Trump: «So wird eine Diktatur geboren»
Hinter dem Gerichtsverfahren in Colorado, Minnesota und Michigan steckt eine Organisation namens «Citizens for Responsibility and Ethics in Washington». Sie unterstützte die sechs Republikaner und Unabhängigen in Colorado, die Beschwerde eingereicht hatten. Präsident Noah Bookbinder begrüsste das Urteil. «Es ist nicht nur historisch und gerechtfertigt, sondern notwendig, um die Zukunft der Demokratie in unserem Land zu schützen.»
Republikaner hingegen kritisierten den Richterspruch. Nikki Haley etwa, die zweitplatzierte Präsidentschaftsanwärterin der Republikaner, sagte in Iowa, Trump solle nicht mehr Präsident werden, aber sie wolle ihn bei einer offenen Wahl besiegen. «Richter sollten nicht solche Entscheidungen fällen. Die Wähler sollten solche Entscheidungen fällen.»
Bisher gibt es wenig Anzeichen, dass die diversen Gerichtsverfahren Donald Trump geschadet hätten, zumindest nicht bei der republikanischen Wählerschaft. Die Umfragen zu den Vorwahlen führt er mit grossem Abstand an. Ebenso wenig scheint viele Amerikaner bisher zu beeindrucken, dass Trump und seine Entourage bereits Pläne schmieden, wie sie Regierung und Verwaltung mit Loyalisten besetzen könnten, die dem Anführer bedingungslos ergeben wären.
Über Warnungen vor seinem autoritären Gebaren macht sich Trump lustig. Ein Diktator wolle er nur am ersten Tag im Amt sein, sagte er kürzlich. Nach dem Urteil aus Colorado versucht er nun, den Spiess umzudrehen. Obwohl es dafür keinerlei Hinweise gibt, behauptet Trump, Joe Biden und die Demokraten hätten das Urteil gegen ihn eingefädelt: «So wird eine Diktatur geboren.»
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