Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Stefan Blättlers Knacknüsse
Hier muss der neue Bundesanwalt anpacken

Er erhielt 206 von 208 Stimmen: Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern und neuer Leiter der Bundesanwaltschaft.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Über ein Jahr funktionierte die Schweiz ohne Bundesanwalt. Im Bundeshaus war trotzdem Erleichterung zu spüren am Mittwochmorgen, als die Vereinigte Bundesversammlung endlich zur Wahl von Stefan Blättler schreiten konnte. Diese Erleichterung nach einem turbulenten und langwierigen Auswahlverfahren schlug sich auch im Resultat, einem Glanzresultat, nieder: Mit 206 von 208 gültigen Stimmen gewähren National- und Ständerat dem langjährigen Kommandanten der Berner Kantonspolizei einen grossen Vertrauensvorschuss. Und sie übertragen dem 62-jährigen Juristen schwierige Aufgaben. Hier eine Übersicht.

Die Schockstarre überwinden

Die Affäre um die Geheimtreffen von Blättlers Vorgänger Michael Lauber mit Fifa-Chef Gianni Infantino hat die Bundesanwaltschaft (BA) gelähmt – insbesondere seit Laubers Rücktrittsankündigung im Juli 2020. Die Behörde wirkte seither etwas führungslos. Interimistisch haben die beiden stellvertretenden Bundesanwälte Ruedi Montanari und Jacques Rayroud den Chefposten übernommen.

Während des Interregnums wurden bislang kaum grössere Fälle angepackt. Die einzigen Eröffnungen internationaler Verfahren aus dieser Zeit, die der BA eine Medienmitteilung wert waren, betrafen Korruptionsvorwürfe im Erdölhandel in Ecuador und einen mutmasslichen schweizerisch-deutschen Sanierungsbetrug.

Blättlers wichtigste Aufgabe deshalb: Er muss die Schockstarre der BA überwinden. Denn sie hat nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie komplexere Formen organisierter Kriminalität, von Terrrorismus, Spionage sowie Geldwäscherei und Korruption erfolgreich bekämpfen kann.

Endlich wieder kommunizieren

Eine Schockstarre lässt sich auch der Kommunikation der BA attestieren. Seit der Affäre um die Fifa-Geheimtreffen, in die auch Informationschef André Marty verwickelt war, blieb die Behörde in der Öffentlichkeit defensiv. Selbst in Fällen, die überhaupt nichts mit Korruption im Weltfussball zu tun hatten, kommunizierte die Medienstelle, mit sieben Angestellten gut dotiert, oft äusserst zurückhaltend. Der begnadete Kommunikator Lauber wehrte sich anfangs energisch und tauchte dann ab; Ex-TV-Journalist Marty verabschiedete sich in Richtung SBB.

Stefan Blättler kann nun die Informationschefstelle nach seinem Gusto besetzen und damit sowie eigenen Auftritten die Aussenwahrnehmung der BA verbessern.

Bei seinem ersten Gang vor die Bundeshausmedien im Anschluss an seine Wahl blieb Blättler noch zurückhaltend und bedankte sich dreisprachig für das Vertrauen des Parlaments. Er wolle zuerst mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern reden, bevor er sich öffentlich auf einen Kurs festlege, sagte er. Dann zitierte er noch aus der «Vision» der BA: «Wir setzen uns dafür ein, dass sich Verbrechen nicht lohnen.»

Den Überbau abbauen

Blättler kann gleich noch eine zweite Schlüsselposition besetzen. Auch der Posten des Generalsekretärs oder der Generalsekretärin ist ausgeschrieben, eine zentrale Position in der BA, denn der Überbau ist zuletzt stark angewachsen. Von den rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist rund ein Drittel im Generalsekretariat tätig.

Derweil beklagen sich Staatsanwältinnen und Staatsanwälte über zu wenig Ressourcen. Die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) teilt ihre Sorgen: Sie hat dem neuen Bundesanwalt «für das Generalsekretariat eine Verzichtsplanung» zugunsten der operativen Bereiche empfohlen.

Den Fussball-Komplex abschliessen

Auch der neue Bundesanwalt muss sich mit der Korruption im Weltfussball herumschlagen. Die Anschuldigungen zum «Sommermärchen»-Fall um undurchsichtige Zahlungen vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland sind zwar wegen Versäumnissen des Bundesstrafgerichts und der Corona-Pandemie verjährt. Ex-Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke hingegen wurde der Urkundenfälschung schuldig gesprochen. Er hat das Verdikt aber weitergezogen.

Mit Spannung erwartet wird eine mögliche Anklage von Sepp Blatter und Michel Platini. Der Ex-Fifa- und ebenso der Ex-Uefa-Präsident wehren sich energisch gegen Vorwürfe rund um eine 2-Millionen-Zahlung. An ihrem Fall dürfte sich entscheiden, ob die Fussballermittlungen als Erfolg oder als Fehlschlag in die Geschichte der Schweizer Justiz eingehen.

Im Finanzsektor weiter aufräumen

Der neue Bundesanwalt erbt auch Fälle, in denen gegen Grossbanken ermittelt wurde oder wird: In den nächsten Monaten kommt es vor dem Bundesstrafgericht zum juristischen Showdown um einen «Drogenkönig» aus Bulgarien, für den die Credit Suisse Geld gewaschen haben soll. Auch die UBS ist im Visier der BA, im Zusammenhang mit Geschäften eines mutmasslich korrupten jemenitischen Ex-Präsidenten. Beide Grossbanken wehren sich gegen die Vorwürfe.

Erfolgreich war die BA zuletzt in internationalen Korruptionsaffären, in denen mit harten Bandagen weitergekämpft wird. So fechten sowohl der ukrainische Oligarch Mykola Martynenko als auch ein Banker der Zürcher Goldküste, der für einen ehemaligen griechischen Verteidigungsminister Geld gewaschen haben soll, ihre Verurteilungen an.

Im Finanzbereich muss die BA weiterhin die ganz grossen Player anpacken, soweit es die gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Das Geldwäschereigesetz greift aber immer noch nicht in allen Bereichen, zum Beispiel nicht bei Anwälten oder Treuhändern.

Die Mafia ins Visier nehmen

Von eher laxen Schweizer Gesetzen profitiert auch die Mafia. Dies führte dazu, dass die Strafverfolger in der Schweiz lebende Mafiosi nicht hier, sondern in Italien verhaften liessen. Denn dort erwarten sie höhere Strafen. Die Bundeskriminalpolizei hat in jüngerer Zeit ihre Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen aus Italien intensiviert. Unter Blättler könnte die BA nachziehen.

Wachsam bleiben bei Terroristen und Kriegsverbrechern

Anders als die meisten Nachbarländer ist die Schweiz von Al-Qaida und IS weitgehend verschont geblieben. Terroristisch motivierte Angriffe in Morges und Lugano haben aber gezeigt, dass es auch hier zu solchen Gewalttaten kommen kann. Die BA muss auch unter Blättler wachsam bleiben und sich weiterhin eng mit Polizei und Nachrichtendienst austauschen. Dies gilt auch bei der Suche nach Kriegsverbrechern, die sich in der Schweiz niederlassen wollen. (Lesen Sie zum Thema: Wenn Terroristen die Schweiz als Ziel haben)

Mehr Härte bei Spionen

Bei illegalem Nachrichtendienst nimmt die BA oft Rücksicht auf aussenpolitische Interessen. Zum Teil muss sie das tun, weil ihr der Bundesrat die Ermächtigung für Ermittlungen nicht erteilt, zum Teil tut sie dies aus eigenem Antrieb oder in vorauseilendem Gehorsam. So liess die BA zwei mutmassliche Spione aus der türkischen Botschaft in Bern entwischen, die eine Entführung eines Zürcher Geschäftsmanns geplant hatten. (Zum Thema: Türkei wollte Schweizer Manager entführen)

Keine neuen Altlasten

Michael Laubers Verdienst war es, dass er viele uralte Fälle der BA vorantrieb und abschloss. Sein Nachfolger muss nun dafür sorgen, dass keine neuen Altlasten entstehen. Wirtschaftsverfahren sind hier besonders gefährdet.