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Millionenentschädigung für Funktionäre
Justizblamage kommt Schweiz teuer zu stehen

Das Organisationskomitee der Fussball-WM 2006: Vizepräsident Wolfgang Niersbach, Vizepräsident Theo Zwanziger, Präsident Franz Beckenbauer und der 1. Vizepräsident Horst R. Schmidt 2005 in Frankfurt. 
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Es war eine der blamableren Episoden der schweizerischen Justizgeschichte. Das einzige Gute daran: Das peinliche Ende des «Sommermärchen»-Verfahrens wurde vor über einem Jahr etwas weniger bemerkt, weil Europa gerade in den Corona-Lockdown gegangen war.

Doch jetzt muss die schweizerische Justiz selbst noch einmal daran erinnern, dass sie es nicht geschafft hat, die Betrugsvorwürfe gegen vier ehemalige hohe Fussballfunktionäre im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland rechtzeitig zu beurteilen. Und dass der prestigeträchtige Fall verjährte.

Das Bundesstrafgericht hatte über die finanziellen Folgen der von ihm mitverschuldeten Pleite zu entscheiden. Und ist nun, nach wiederum über einem Jahr, zum Schluss gekommen, dass die drei prominenten Ex-Funktionäre des Deutschen Fussball-Bundes (DFB), Horst Schmidt, Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach, sowie der ehemalige Fifa-Generalsekretär Urs Linsi aus Zürich entschädigt werden.

Die Kosten, die sich für den Schweizer Staat wegen des Entscheids ergeben, belaufen sich auf über eine Million Franken. Hauptsächlich wird das Funktionärsquartett für Verteidigungskosten entschädigt – was bei Freisprüchen, Verfahrenseinstellungen und Verjährung der Regelfall ist. Dafür bekommt jeder Beschuldigte zwischen 207’000 und 256’000 Franken zugesprochen. Hinzu kommt je eine Genugtuung von 15’000 Franken.

Ruf durch Berichterstattung geschädigt

Diese Genugtuung begründet das Bundesstrafgericht mit Rufschädigung, insbesondere durch deutsche Medienberichte: «Die Beschuldigten, die bis dato einen tadellosen Ruf hatten, wurden jahrelang in der Öffentlichkeit unter voller Namensnennung mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert.»

Zusätzlich gibt es nun kleine persönliche Entschädigungen. Damit bleibt die Gesamtsumme, die der Staat den ehemaligen Angeklagten bezahlen muss, knapp unter einer Million Franken. Die schweizerischen Steuerzahler kommt das «Sommermärchen»-Debakel aber weitaus teurer zu stehen. Aus der Staatskasse werden auch die Verfahrenskosten in unbekannter Höhe bezahlt. Dies hat das Bundesstrafgericht nun ebenfalls entschieden. Gemäss Bundesanwaltschaft belaufen sich die Kosten, die bei ihr anfielen, «auf einen einen mittleren fünfstelligen Betrag». Weiter entstanden Gerichtskosten, die bislang nicht ausgewiesen wurden.

Keinen Anspruch auf Entschädigung haben gemäss dem neuen Gerichtsentscheid der Deutsche Fussball-Bund DFB und der Weltverband Fifa. Die Beiden hatten als Privatkläger ursprünglich insgesamt über eine halbe Million Franken gefordert. Die Fifa zog ihre Zivilklage aber zurück.

Parteien schenken sich weiterhin nichts

Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft hatten sich um ungeklärte Transfers grosser Summen vor der WM 2006 gedreht, die wegen des schönen Wetters und der unbeschwerten Stimmung in Deutschland als «Sommermärchen» in die Geschichte eingegangen war. Bei den Transaktionen spielten die Fussballlegende Franz Beckenbauer und der katarische Funktionär Mohammed bin Hammam Hauptrollen, aber beide waren vor dem Bundesstrafgericht nicht angeklagt. Die Bundesanwaltschaft hatte das Verfahren gegen den erkrankten Beckenbauer abtrennen müssen. Bin Hammam, wohl protegiert durch Katar, blieb für die Ermittler nicht greifbar.

Das Bundesstrafgericht setzte die Verhandlung gegen die vier verbliebenen Beschuldigten erst relativ kurz vor dem Verjährungsdatum an. Dem Prozess in Bellinzona blieben zwei der vier Angeklagten fern. Sie machten medizinische Gründe geltend. Nach weiteren Verzögerungen und wegen des Lockdown platzte das Verfahren. (Lesen Sie hier, wer den Prestigefall verbockt hat.)

Der Entscheid über die finanziellen Folgen der Verjährung ist nicht rechtskräftig. Er kann an die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts weitergezogen werden. Die Parteien haben sich auch zuletzt im Kampf um die Kostenfolgen nichts geschenkt.

Strafrechtlich waren die vier Fussballfunktionäre bereits fein raus. Für sie ging es aber weiterhin um die Ehre und um viel Geld. Die Bundesanwaltschaft hatte trotz der Verjährung im April 2020 verlangt, dass die ehemaligen Beschuldigten einen Grossteil der Verfahrenskosten tragen müssten. Die Verteidiger hingegen hatten gefordert, dass der Staat für den ganzen letztlich unnützen Aufwand geradesteht. Die vier Anwälte hatten für ihre Mandanten darüber hinaus von der Schweizer Justiz finanzielle Entschädigung und Genugtuung in Millionenhöhe verlangt. Das Bundesstrafgericht beziffert die Forderungen allein für Anwaltskosten auf ingesamt 3,2 Millionen Franken. Die nun gewährten Beträge fallen deutlich kleiner, aber nicht klein aus.

Linsi sieht Bundesanwaltschaft als Verliererin

Der einzige Schweizer Betroffene, Urs Linsi, hatte einen Erwerbsausfall wegen des Strafverfahrens von rund 800’000 Franken geltend gemacht, unter anderem weil er Verwaltungsratsmandate verlor. Diese Summe wird ihm jetzt nicht entschädigt. Das Bundesstrafgericht sieht einen Zusammenhang zwischen Linsis Verlust und dem Verfahren nicht belegt. Trotzdem will der ehemalige Fifa-Generalsekretär den Gerichtsentscheid nicht weiterziehen. Insgesamt zeigt er sich eher zufrieden: «Alle Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, die zu einer Kostenübernahme der Beschuldigten hätten führen können, wurden abgewiesen. Dies zeigt einmal mehr, dass ein allfälliges Urteil nicht anders als auf Freispruch hätte lauten können.»

Der Verteidiger Wolfgang Niersbachs, Bernhard Isenring, hält fest, sein Mandat sei durch den Entscheid des Bundesstrafgerichts von sämtlichen Vorwürfen im «Sommermärchen»-Prozess «vollumfänglich entlastet und entsprechend umfassend rehabilitiert».

Auch der Kaiser ist fein raus

Die Bundesanwaltschaft schreibt auf Anfrage: «In Bezug auf die Kostenauflage und die Entschädigungen wird die BA den Entscheid nun analysieren und das weitere Vorgehen prüfen.» Weiter teilt sie mit, dass sie das abgetrennte und später sistierte Verfahren gegen Franz Beckenbauer einstellen werde, wenn der nun publizierte Entscheid des Bundesstrafgerichts rechtskräftig sei. Der deutsche Fussball-Kaiser, der der vor der WM 2006 mit zehn Millionen Franken jonglierte, ist, was die Schweiz betrifft, fein raus. Hängig ist im Zusammenhang mit den «Sommermärchen»-Transaktionen eine Anklage wegen Steuerdelikten in Frankfurt am Main.