TV-Kritik «Tatort»«Herr muss ich sein!»
Das ist dieser Verbrecher auch. Der neue Kiel-«Tatort» ist ein grossartiges Abschiedsbouquet für einen Mörder: Borowski jagt Kai Korthals.
Kai Korthals wird in die Annalen der «Tatort»-Geschichte eingehen. Als Drehbuchautor Sascha Arango 2012 diesen traumatisierten und traumatisierenden Frauenmörder erfand, war eigentlich ein klassischer Krimi geplant: Am Filmende geht der Verbrecher ins Netz. Aber der grossartige Lars Eidinger, Superstar der Berliner Schaubühne, eidingerte in «Borowski und der stille Gast» so umwerfend, dass Arango seinem Antihelden kurzerhand eine Flucht ins Finale hineinschrieb – als Steilvorlage für die allererste echte «Tatort»-Sequel.
Der Frauenmörder mit dem weichen Gesicht und dem scheinbar soften Wesen entwischte 2012 also, kehrte 2015 zurück und wurde von Kommissar Borowski (Axel Milberg) gefasst – der durch diesen Fall seine neue Liebe verlor. Jetzt, in «Borowski und der gute Mensch», irrlichtern die beiden früheren Episoden durch die Story; sie werden in Einblendungen und etlichen geschmeidigen Verweisen zitiert. Aber die Chose packt auch ohne Vorwissen.
Schon Kais erster grosser Auftritt ist verstörend genial: Er spielt im Gefängnistheater den seit seiner Kindheit zutiefst verletzten Franz Moor von Schillers «Die Räuber». Es brodelt in ihm: «Jeder hat gleiches Recht zum Grössten und Kleinsten ... Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin. Herr muss ich sein!» Man glaubt sofort, dass Eidinger es vor rund zwei Jahrzehnten durch das Vorsprechen eben dieses Monologs an die Berliner Schaubühne geschafft hat.
Im Gefängnis bricht Chaos aus, wer daran schuld ist, bleibt offen. Und Kai flieht, nicht ohne vorher noch einen Mord zu begehen. Er rettet sich in den Wald, tötet und skalpiert eine junge Frau, schnappt sich ihr Velo, ihr Kleid, ihre Haare; und radelt ungerührt an der Polizeipatrouille vorbei.
«Wer wars?» ist hier nicht die Frage. Auch der dritte Teil der Korthals-Trilogie fokussiert auf die vibrierende Aura des Mörders, die zahlreiche Frauen dazu getrieben hat, ihm leidenschaftliche Briefe in den Knast zu schicken – und die ihm hier eine blinde Telefon-Seelsorgerin als Helferin beschert. Wieder beschäftigt sich der Film zudem auf brillante Weise mit dem merkwürdigen Verhältnis zwischen Borowski und «Kai», wie Borowski ihn stets nennt. Enttäuschter Vater und endgültig verlorener Sohn?
Erneut zielt Kai auch auf Borowskis weiblichen Sidekick. Milbergs Kommissar wiederum gibt sich kühl bis beinahe zynisch, lässt den Mörder aber dennoch tief in sein Leben eindringen. Er verhindert, bis hin zur Selbstaufgabe, auch die Selbstjustiz durch einen gebrochenen Opfer-Angehörigen. Und in all diesem Thriller-Nervenkitzel, den der 1984 in Berlin geborene Filmemacher Ilker Catak mit einem echten Händchen für Kammerspiel-Beklemmungen generiert, säuselt böse Peter Maffays 1970er-Hit «Du». Wir dagegen rufen laut: «5 Sterne!»
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