TV-Kritik «Tatort»Der Mietkrieg
Der neue «Tatort» kommt ganz ohne Schusswaffen aus. Es reicht die Berliner Wohnrealität von ganz normalen Menschen.
Mitten in der Nacht kommt der Lastwagen. Ein Trupp kräftiger Männer und eine Frau steigen aus, gehen ins Haus, bollern an eine der Wohnungstüren, hinter der ein Paar tut, als sei es nicht da. Nein, das ist keine Situation aus den braunen Jahren. Sondern der Einstieg in den jüngsten Berliner «Tatort» über Wohnungsnot und Mietkrieg.
«Ich hab hier einen Räumungstitel», sagt die schicke Blondine, die bei der Aktion dabei ist: der Schockersatz in der deutschen Gegenwart. «Die dritte Haut» (so der Krimititel) – eine Wohnung – gibt es in der Kapitale nur noch für Gutverdiener. Gentrifizierung, unzimperliche Entmietungsstrategien, Zwangsräumung, Profitgier: Im Immobilienwesen brennts.
Aber Autorin Kathrin Bühlig ist es gelungen, aus diesem medialen Dauerbrenner Einzelschicksale herauszufiltern, an denen man dranbleibt, als seien es Storys aus dem wahren Leben. Wie eine Dokufiction hat auch der niederländische Regisseur Norbert ter Hall den Film aufgezogen, inklusive Corona-Masken und Plexiglasvisieren. Und ganz ohne Schusswaffen oder Mafia-Gedöns.
Er habe versucht, «das tägliche Leben in der Stadt so weit wie möglich in die Geschichte zu integrieren und die Grenze zwischen Fiktion und Realität zu verwischen. Viele der Obdachlosen in unserer Geschichte leben tatsächlich auf der Strasse», sagt Nobert ter Hall in einem Interview.
Der öffentliche Raum samt ÖV prägt auch die Optik dieses «Tatorts» rund um einen türkischen Immobilienhai, der rund 24 Stunden nach der Zwangsräumung tot vor dem Haus liegt. Er ist vom Balkon einer der sogenannten Gästewohnungen gefallen – geworfen worden?
Verdächtig ist der Mietrebell, der in dem Haus wohnt und sich mit Videoclips und Netzaktionen gegen den Rauswurf wehrt. Verdächtig ist die Single-Mum mit den zwei Kindern, die im Kiez sicher keine Wohnung mehr findet. Verdächtig ist der Zwangsgeräumte, der nun mit Frau und Kind in einer engen Notunterkunft haust. Auch der Ex-Mann der Alleinerziehenden streicht ständig um das Haus herum. Und in der Immobilienfirma hängt der Haussegen gleichfalls schief.
Bei ihren Recherchen entdecken Karow (Mark Waschke) und Rubin (Meret Becker) all die grossen und kleinen Tragödien in den Leben dieser Menschen; Rubin wird, kleine Pointe am Rande, ebenfalls ihre Wohnung verlieren. Und selbst die Familie, die die Immobilienfirma betreibt, bekommt ein menschliches Gesicht. Alles nich’ so einfach.
Eine schwarz-weisse Moral hat keinen Platz in dem in dunklen, unscharfen Tönen gehaltenen Film voller Ambivalenzen – die ein jazzig schlierender Soundteppich untermalt. Selbst das seit 2015 agierende Ermittlerduo ist nur begrenzt sympathisch.
Dass dies der zweitletzte «Tatort» mit Meret Becker ist, kann, bei allem Respekt für ihre schauspielerische Leistung, nicht recht betrüben: Die konstant nervige Sexkiste zwischen den Ermittlern ist definitiv auserzählt. Aber «Die dritte Haut», die passt.
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