TV-Kritik: «Tatort»Wo steckt bloss das Kind?
Der fünfjährige Mike taucht beim «Tatort» aus Franken tagelang nicht mehr auf. Ein Horror für seine Eltern, nicht aber für die Zuschauer.
Eltern wissen, was es heisst, zweifach verletzbar zu sein: Wenn einem Kind etwas zustösst, ist das schlimmer als eigenes Leid. Darum war man ängstlich gefasst, als der Franken-«Tatort» «Wo ist Mike?» ausgestrahlt wurde. Der fünfjährige Sohn eines getrennt lebenden Ehepaares taucht tagelang nicht mehr auf. Als sich seine Eltern – er Arzt, sie Impfgegnerin – bei der Übergabe ihres Kindes mal wieder streiten, entwischt Mike unbemerkt in den nahe gelegenen Wald.
Dort findet ihn Titus (Simon Frühwirth). Der 17-Jährige will Mike vor seinem gewalttätigen Vater schützen und versteckt ihn in einem Schrank im Keller von Rolf Glawogger (Sylvester Groth), der für ihn eine Art Ersatzvater ist. Danach haut der psychisch schwer angeschlagene Jugendliche ab nach Amsterdam, wo er einen Horrortrip nach dem anderen erlebt. Da der unter psychotischen Wahrnehmungsstörungen leidende Titus das Kind in seinem Versteck vergisst, stirbt Mike in dem Schrank, der sich von innen nicht öffnen lässt.
Unten sterben, oben lieben
Damit nicht genug: Im Schlafzimmer just dieses Hauses schläft die Hauptkommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) mit Rolf, ihrer neuen Liebe. Erst später erfährt sie, dass zwei Schüler dem Lehrer vorwerfen, sie unsittlich berührt zu haben. Auch wenn sich das dann als Verleumdung herausstellt, lässt ihn das tote Kind im Keller nicht gut aussehen. Nun muss die Kommissarin gegen ihren Lover ermitteln: Was wusste Rolf? Hatte sie Sex mit einem Kinderschänder – ausgerechnet in jener Nacht, als Mike im Keller starb?
«Wo ist Mike?» greift ein aktuelles Thema auf: die psychische Unter- beziehungsweise Überversorgung von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft. Leider geht das aber bald vergessen, da die Handlung dieses «Tatorts» so konstruiert ist, dass man den Stift auf dem Reissbrett zu hören glaubt. Definitiv zu viel des Guten ist es, dass neben Titus auch noch Hauptkommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs) unter Visionen leidet.
Wieso sind die Bösen immer reich?
Diese Schwächen dieser «Tatort»-Folge haben aber einen nicht zu unterschätzenden positiven Nebeneffekt: Sie schonen unsere Nerven. Das mit höchst unwahrscheinlichen Begebenheiten überladene Drama, dessen Glaubwürdigkeit auch die Schauspieler nicht mehr retten können, berührt uns kaum – trotz Kindstod.
Es bleibt daher Zeit für andere Fragen: Wieso wohnen die Bösen eigentlich immer in Villen? Reichtum verdirbt den Charakter, diese simple Kapitalismuskritik bedient der «Tatort» ja seit Jahren. Von dieser ideologischen Schlichtheit könnte sich die herbeifantasierte Handlung ruhig ein paar Scheiben abschneiden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.