Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Russische Angriffe auf die Ukraine
Helfer nennen die Lage «apokalyptisch»

Totale Verwüstung: Ein Mann geht mit einem Fahrrad auf einer durch Beschuss beschädigten Strasse in Mariupol. Aufgenommen am Donnerstag, 10. März, dem 15. Kriegstag.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die russische Armee kämpft derzeit nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen eine ganze Reihe von Problemen, und eines davon ist der Frühling. Tauwetter könnte nämlich schon sehr bald dafür sorgen, dass die Panzer und Versorgungskonvois der Russen in der schwarzen Erde der ukrainischen Äcker stecken bleiben und der Vormarsch noch weiter erschwert wird.

Wobei: Gerade geht ohnehin kaum etwas voran, die Fronten haben sich in den vergangenen Tagen nur wenig verschoben. Die Russen, die wohl Probleme mit Nachschub, Kommunikation und der Truppenmoral haben, setzen allerdings ihre Angriffe vor allem auf Städte mit Artillerie- und Raketenbeschuss aus der Distanz ungemindert fort.

So soll es auf die Stadt Dnipro Luftangriffe gegeben haben, das russische Verteidigungsministerium teilte ausserdem mit, prorussische Separatisten hätten die Stadt Wolnowacha eingenommen. Es sollen auch ukrainische Flugbasen in Luzk und Iwano-Frankiwsk zerstört worden sein. Aus Charkiw berichtete der Bürgermeister von einem Angriff auf eine psychiatrische Klinik. Und der russische Konvoi auf dem Weg nach Kiew soll inzwischen aufgelöst und umstrukturiert worden sein, nachdem die Russen auch hier auf logistische Probleme gestossen und wiederholt angegriffen worden sein sollen.

Kriegsparteien in Patt-Situation

Derzeit plane die russische Armee einen Angriff auf Kiew über die Stadt Irpin, bei dem auch Sondereinheiten der Polizei sowie irreguläre Kämpfer der russischen Söldnerarmee «Gruppe Wagner» zum Einsatz kommen sollen. Am Freitagnachmittag teilte die ukrainische Luftwaffe mit, ein russisches Kampfflugzeug habe aus dem ukrainischen Luftraum eine Siedlung in Belarus beschossen, wohl um das Land in den Konflikt zu ziehen. Überprüfen lassen sich diese Angaben über Angriffe und Erfolge nur schwer.

Das ukrainische Verteidigungsministerium hat ein Video veröffentlicht, das einen Angriff auf russische Panzer nordöstlich von Kiew zeigt. Auch in sozialen Netzwerken kursierten Videos, die zerstörte Fahrzeuge nach diesem Angriff zeigen sollen. Zumindest das Drohnenvideo wird als authentisch angesehen. Trotz solcher anscheinenden Erfolge und obwohl die ukrainische Armee behauptet, russische Stellungen zerstört zu haben, fehlt ihr wohl die Schlagkraft für einen Gegenangriff auf die russischen Invasoren, der in jedem Fall ein grosses Risiko wäre. Die Kriegsparteien haben sich in eine Art Patt manövriert, das wohl nur mit dem Ende der Kampfhandlungen oder noch grösserer Gewalt gelöst werden kann.

Mariupol ohne Hilfsgüter

Unter dem anhaltenden Bombardement ukrainischer Städte leidet vor allem die Zivilbevölkerung, für die noch immer keine sicheren Fluchtkorridore geschaffen werden konnten. Besonders dramatisch ist die Lage im Südosten des Landes. Das Rote Kreuz bezeichnete die Situation in der belagerten Stadt Mariupol als «apokalyptisch». Der Strom ist ausgefallen, es fehlt an Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten. Etwa 400’000 Menschen in der Stadt sollen von russischen Truppen eingekesselt sein, ein sicherer Fluchtweg besteht derzeit nicht. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski sprach in einer Fernsehansprache angesichts des Vorgehens Russlands von «blankem Terror von erfahrenen Terroristen».

Seit Tagen wird versucht, Zivilisten über sichere Korridore die Flucht aus den umkämpften Städten zu ermöglichen. Russland schlug selbst mehrere Fluchtrouten vor, die allerdings vonseiten der Ukraine abgelehnt wurden, da sie auf russisches und belarussisches Staatsgebiet führten. Die wichtigsten Fluchtrouten innerhalb der Ukraine führen derzeit von Sumy nach Poltawa, von Isjum nach Losowa und – wenn sie geöffnet werden kann – von Mariupol nach Saporischschja.

Dominik Stillhart vom Internationalen Roten Kreuz sagte in einem Interview mit der BBC, Mitarbeiter seiner Organisation hätten es auf dem Weg aus Mariupol nur bis zum ersten Checkpoint geschafft, weil der weitere Weg vermint gewesen wäre. Ein Sprecher des Roten Kreuzes sagte später der amerikanischen Zeitung «Newsweek», es habe keinerlei Vereinbarungen für eine sichere Fluchtroute aus Mariupol gegeben. Das russische Verteidigungsministerium teilte unterdessen mit, am Freitag erneut einen Waffenstillstand ausrufen zu wollen, um die Korridore zu öffnen. Dieser wurde bis Redaktionsschluss am Freitag nicht umgesetzt. Bisher waren alle Versuche, den Menschen eine Flucht zu ermöglichen, an anhaltenden Kampfhandlungen gescheitert.

Russen nehmen mehr zivile Opfer in Kauf

Die Einrichtung von Fluchtkorridoren ist ohnehin eine Notlösung. Manche Experten sehen diese Massnahme kritisch, weil sie meist anstelle eines vollständigen Waffenstillstands beschlossen werden. Zugleich sind sie oft die einzige Möglichkeit, der Zivilbevölkerung zu helfen, auch wenn sie auf solchen Routen, wie es in den vergangenen Tagen der Fall war, Angriffen ungeschützt ausgesetzt ist. Durch die Korridore können aber nicht nur Zivilisten fliehen, es können auch Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter in umkämpfte und abgeschnittene Gebiete wie aktuell die Stadt Mariupol gebracht werden.

Dass solche Korridore in der Ukraine aktuell nicht zustande kommen, ist möglicherweise auch im Interesse Russlands. Die Artillerie und andere Waffen der russischen Streitkräfte sind nicht sehr präzise, sie nehmen zivile Opfer beim Bombardement der Städte ohnehin in Kauf. Dazu wissen die Russen, dass sie auch aus der ukrainischen Zivilgesellschaft mit grossem Widerstand bis zu Partisanenkämpfen zu rechnen haben. Wer fliehen soll, sind aus russischer Sicht offenbar nur die Ukrainer, die prorussisch eingestellt sind – und zwar bitte direkt nach Russland.