Familie top, Einkauf flopSchweizerinnen und Schweizer haben keine Zeit und Lust mehr, zu shoppen
Ihre Zeit verbringen die Menschen lieber mit Familie und Freunden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie. Die Entwicklung dürfte anhalten und den Handel weiter unter Druck setzen.
Nach der Arbeit die Kinder aus der Kita holen, schnell das Nachtessen besorgen, und dann muss zu Hause auch noch dringend das Bad geputzt werden. So sieht bei vielen eine stressige Arbeitswoche aus. Am Wochenende stehen die Familie, Freizeitaktivitäten oder einfach Entspannung auf dem Programm – der Einkaufsbummel am Samstag ist hingegen out.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Gottlieb-Duttweiler-Instituts (GDI), Teil der Stiftung «Im Grüene», die von der Migros teilfinanziert wird. Die Studie bescheinigt dem Handel eine Spass- und Sinnkrise.
Für die Studie befragten die Autoren 1500 Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer zweimal hintereinander. Und die sind sich einig: Shopping macht ungefähr genauso viel Freude und ist etwa so sinnstiftend wie Hausarbeit oder Pendeln.
Den Lebensmitteleinkauf empfinden sie ähnlich wie bezahlte Arbeit: Er macht zwar etwas mehr Spass, wird aber als weniger bedeutsam wahrgenommen – im Gegensatz zur Zeit, die mit Familie und Freunden, Essen, Musikhören oder Lesen verbracht wird. Sie wird als bedeutsam und freudestiftend bewertet.
Jedoch ist Shopping nicht gleich Shopping. Der Einkauf von Lebensmitteln wird noch am ehesten mit Bedeutung und Freude verbunden. Deutlich weniger ist dies beim Einkauf im Baumarkt oder von Gartenprodukten der Fall. Weit abgeschlagen sind Beauty- und Luxusartikel: Ihr Kauf löst kaum Freude aus und wird nicht als bedeutsam wahrgenommen.
Für die Betreiberinnen und Betreiber von Einkaufszentren, Warenhäusern und Läden sind das schlechte Nachrichten, zumindest in der Deutschschweiz. Kämpfen sie doch bereits seit Jahren gegen schrumpfende Umsätze und wachsende Onlineshops, die ihnen die Kundschaft wegnehmen. Um die Kundinnen und Kunden weiterhin in die Läden zu locken, versuchen sich die Händler in neuen Ladenkonzepten, die ein besseres «Einkaufserlebnis» bieten sollen.
Wirklich zu funktionieren scheint das nicht. Nicht nur bei den Warenhäusern sinken die Umsätze. Auch Modeketten haben es schwer – so schloss beispielsweise Kleiderhändler Tally Weijl in den vergangenen Jahren Filialen, das Modehaus Modissa machte in Zürich und Winterthur zu.
Auch die Fachmärkte stehen unter Druck: Die Migros stösst im Rahmen ihrer grossen Restrukturierung fast alle Fachformate ausser dem umsatzstarken Onlinehandel in Form von Digitec Galaxus oder Ex Libris ab. Bereits 2023 wurde bekannt, dass Coop die Marke Microspot sterben lässt und sie in seinen Elektrohändler Interdiscount integriert.
In Zürich schliesst das Traditionswarenhaus Jelmoli Ende 2024 seine Tore und wird nach einem Umbau mit deutlich weniger Verkaufsfläche wiedereröffnen. Und an der Bahnhofstrasse eröffnet der Lebensversicherer Swiss Life nach dem Wegzug von Manor sein Gebäude neu – allerdings ebenfalls mit weniger Verkaufsfläche als vorher, dafür mit mehr Büros.
Fast die Hälfte fühlt sich unter Zeitstress
Shoppen verliert also an Bedeutung. Und während der gefühlte Zeitstress wächst, machen die Menschen immer mehr Abstriche beim Einkaufen. Mit 48 Prozent kennt knapp die Hälfte der Befragten das Gefühl, unter Zeitstress zu stehen – darum setzen sie die Prioritäten neu.
Darum ist Effizienz gefragt: 85 Prozent der Befragten wünschen sich einen schnellen, effizienten Einkauf. Nur 15 Prozent nehmen sich gern Zeit fürs Bummeln.
Doch nicht nur die Zeit ist knapp, auch der Spass am Shoppen schwindet. Die Gründe dafür sind vielfältig. Als Hauptgrund geben knapp 58 Prozent der Befragten ein knappes Budget an. Doch sei Einkaufen auch zeitraubend und kompliziert (49 Prozent). Und 43 Prozent befinden: Das Shopping-Erlebnis ist langweilig.
Dass sich vor allem Frauen weniger Zeit für den Einkauf nehmen, zeigen Daten des Bundesamts für Statistik: Wendeten sie 1997 noch rund 180 Minuten pro Woche dafür auf, waren es 2023 noch 115,6 Minuten.
Bei den Männern ist hingegen eine leichte Zunahme zu sehen: Statt 96 Minuten wie 1997 sind es heute 115 Minuten pro Woche. Die Entwicklung führt Johannes Bauer, Forschungsleiter des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, weniger auf das bessere Angebot für Männer zurück als auf das Rollenverständnis von Mann und Frau, das sich über die Jahre verändert hat. Man teile sich die Aufgaben im Haushalt stärker als noch in den 90er-Jahren. Dazu gehöre das Einkaufen.
Die Ergebnisse der Studie hängen laut Bauer mit der Wirtschaftslage zusammen. Die allgemeine Teuerung und die dadurch eingetrübte Konsumentenstimmung führten dazu, dass das Thema Geld stärker präsent sei. «Wir wurden in den vergangenen Monaten mit verschiedenen Preisanstiegen konfrontiert: Krankenkassenprämien, Energiekosten und Mieten», sagt Bauer.
Sobald wird die Shopping-Lust wohl nicht zurückkehren: Fast ein Fünftel aller Befragten will in Zukunft seine Einkaufszeit weiter senken. In fast allen Altersgruppen überwiegt der Anteil jener, die weniger Zeit fürs Einkaufen aufwenden wollen. Nur die 16- bis 24-Jährigen sind gespalten: 32 Prozent möchten mehr shoppen, knapp 25 Prozent wollen dies weniger tun.
Wie müssen Händler also reagieren? «Nur wenn es dem Handel gelingt, Einkaufen für die Menschen schneller, näher, schöner und sinnvoller zu gestalten, kann er das Einkaufen aus der Spass- und Sinnkrise führen», schreiben die Studienautoren. Dazu gehören der Wunsch nach Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe des Wohnorts und ein schneller, reibungsloser Einkauf. Nicht zuletzt stünden das «Einkaufserlebnis» und die Verantwortung der Händler für mehr Nachhaltigkeit im Fokus.
«In der öffentlichen Meinung setzt sich durch, dass mehr Konsum einen nicht automatisch glücklicher macht»
Mirjam Hauser wundert es nicht, dass Einkaufen im Vergleich zu anderen Aktivitäten nicht die höchste Priorität hat. Sie sieht einen möglichen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. «Shopping konkurriert mit anderen Aktivitäten wie Freunde treffen, die wichtiger geworden sind», sagt die Professorin für Wirtschaftspsychologie, die am Institut für Marktangebote und Konsumentscheidungen der Fachhochschule Nordwestschweiz unterrichtet.
Auch das Thema Gesundheit wird seit Corona als wichtiger wahrgenommen: «Statt Shopping stehen beispielsweise Wellness oder Sport auf dem Programm», sagt sie.
Hauser sieht zwei weitere Faktoren, die die Einkaufslust mindern. Erstens wird der Nachhaltigkeitsgedanke wichtiger. «In der öffentlichen Meinung setzt sich durch, dass mehr Konsum einen nicht automatisch glücklicher macht.» Zweitens sei in unsicheren Zeiten Einkaufen ein Bereich, den man am ehesten aufschieben könne.
Vor allem aber nimmt Onlineshopping an Beliebtheit zu, auch in den sozialen Netzwerken. Dort kaufen vor allem jüngere Menschen ein. In den kommenden Jahren werde sich zeigen, wie sich das Einkaufsverhalten entwickle, sagt Hauser. Sie erwartet vor allem mehr Wachstum in Kanälen wie Tiktok und Instagram, die als Einkaufsplattformen dienen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 4. November 2023. Anlässlich der bevorstehenden Rabatt-Tage rund um den Black Friday erscheint er erneut.
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