Angehörige von Hamas-GeiselSie kämpft um ihre verschleppte Cousine
Über 30 der Geiseln sind in Gefangenschaft gestorben. Verschleppte Mädchen und Frauen wurden Opfer von sexualisierter Gewalt. In Zürich hat die Angehörige Ashley Waxman Bakshi von ihren Ängsten erzählt.
Im Leben von Agam Berger gibt es ein Davor und ein Danach. Früher spielte die 19-Jährige Violine, lachte gerne, probierte Make-up aus. Die Israelin war politisch engagiert. Als sie sich in ihrem Tagebuch einen Geburtstagswunsch notierte, schrieb sie: «Friede mit den Palästinensern». Sie wollte Psychologin werden, träumte von einer Weltreise. Eine junge Frau voller Zukunftspläne.
Am 7. Oktober 2023 änderte sich für Berger alles. Die Soldatin befand sich an einem Stützpunkt der israelischen Armee im Süden. Um 6.30 Uhr rief sie ihren Vater an, wegen der massiven Raketenbeschüsse hatte sie Angst. Damals feuerte die Hamas je nach Quelle 3000 bis 5000 Raketen nach Israel. Das israelische Abwehrsystem Iron Dome war überlastet, zahlreiche Raketen schlugen ein.
Sie solle sich keine Sorgen machen, antwortete ihr Vater. Solange sie sich im Luftschutzbunker verstecken würde, sei sie sicher. Seither hat niemand mehr aus der Familie mit Agam Berger gesprochen.
Blutverschmierte Pyjamahosen
Einen Tag später finden die Angehörigen ein Video auf Telegram, das zeigt, wie ein Mitglied einer Hamas-Spezialeinheit Berger ein Gewehr an den Kopf hält. Die junge Frau trägt noch ihre Pyjamahosen, die auf der Rückseite blutverschmiert sind. Der Hamas-Terrorist zwingt sie in ein Auto, das Richtung Gazastreifen fährt.
So erzählt es Agam Bergers Cousine Ashley Waxman Bakshi am vergangenen Dienstag an einer privaten Veranstaltung in Zürich. Eingeladen wurde sie von der Unternehmerin Anat Bar-Gera und der Verlegerin Ellen Ringier.
Agam Berger ist eine von über 130 israelischen Geiseln, die derzeit im Gazastreifen festgehalten werden. Nach israelischen Angaben sind 31 davon bereits gestorben. Das bestätigte der israelische Militärsprecher Daniel Hagari am Dienstag, nachdem die «New York Times» über entsprechende Erkenntnisse berichtet hatte.
Ob Agam Berger noch lebt, ist unklar. Öffentlich einsehbar ist ein älteres Hamas-Video, das sie mit drei anderen Geiseln zeigt. Berger ist angelehnt an einer Wand, der Mund ist blutverklebt. Aus Sicherheitsgründen will Waxman Bakshi nicht alle Details preisgeben, die sie über den Aufenthalt ihrer Cousine kennt. Sie sagt aber, dass Berger nach ihrer Verschleppung von Familie zu Familie transportiert wurde, die sie im Auftrag der Hamas versteckt hielten.
Mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt
An der Veranstaltung in Zürich erzählt Waxman Bakshi, mehrmals den Tränen nahe, von ihren Ängsten. Am 7. Oktober haben Hamas-Terroristen systematisch Frauen vergewaltigt, missbraucht und geschändet. (Lesen Sie hier, wie Terroristen sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel einsetzen.) Auch mehrere der freigelassenen Geiseln haben von sexualisierter Gewalt erzählt. «Mädchen und Frauen wurden belästigt, als sie ins Bad wollten, und gar mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt», sagt sie.
Kürzlich veröffentlichte die Hamas ein Video, auf dem eine Kollegin Bergers zu sehen ist, mit geschwollenem Gesicht. Waxman Bakshi macht sich Sorgen, dass dieses ein Hinweis auf eine mögliche Schwangerschaft sei. In den sozialen Medien hat sie Gerüchte gelesen, gemäss denen die Geiseln als Sex-Sklaven missbraucht werden.
Erfolglose Verhandlungen
Die israelische Regierung und die radikalislamistische Hamas verhandeln über die Freilassung der Geiseln, doch die Parteien liegen weit auseinander. Die Hamas fordert, dass Israel im Gegenzug mehr als 1500 palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen entlässt – unter ihnen 500 Häftlinge, die zu lebenslangen oder sehr langen Haftstrafen verurteilt wurden. Der israelische Premier Benjamin Netanyahu lehnt dies ab. Die Hamas pocht zudem weiterhin auf einen Waffenstillstand. Aus israelischer Sicht ist im Rahmen einer Vereinbarung nur eine vorübergehende Feuerpause denkbar.
Die Medienberichte über einen möglichen Austausch zwischen Geiseln und Gefangenen verfolgt Waxman Bakshi genau, obwohl sie belastend seien. «Manchmal heisst es, es gebe einen Deal, dann wieder nicht. Diese Ungewissheit ist das Schlimmste.» Belastend sei es für die Angehörige auch, zu sehen, wie der Nahostkrieg in sozialen Medien dargestellt werde, vor allem auf Tiktok. Früher hat Waxman Bakshi selber oft Schmink-Videos auf der Plattform geteilt. Heute sieht sie, wie der Algorithmus des chinesischen Konzerns Fake News über Israel verbreitet.
Einmal fragt sie der Moderator in Zürich, woher sie die Kraft nehme, ihre Geschichte zu erzählen. «Langsam verliere ich meine Kraft», antwortet sie. Den direkten Angehörigen gehe es noch schlechter. Die Geschwister Agam Bergers seien nicht an der Schule, die Eltern könnten nicht mehr arbeiten. «Unsere Familie ist zerrüttet.» Waxman Bakshi sagt mehrmals, wie sehr sich die Familie die Rückkehr von Agam Berger wünsche, fügt aber an: «Wir verlieren den Glauben.»
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